Medizin und Wahnsinn, Folge 149:Der heilende Geist

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Autos rufen automatisch den Notarzt und Ärzte überwachen gleich mehrere OPs am Monitor. Wie lange wird es dauern, bis der sogenannte "eDoktor" die Mediziner ersetzt?

Werner Bartens

Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt. Dieses Codewort hilft fast immer. Als Mediziner kommt man noch schneller ans Ziel als mit einem Journalistenausweis oder als Angehöriger des Diplomatischen Korps. Ständig muss man helfen, lindern, heilen - das duldet nun mal keinen Aufschub. Trost spenden, ein offenes Ohr für die Nöte und Sorgen der Patienten haben, den Rezeptblock zücken und zwischendurch Leben retten: Wer einen solchen Tagesablauf hat, genießt Vorfahrt. Doch es gibt ein Dilemma. Auch ein hauptamtlicher Lebensretter kann nicht überall gleichzeitig sein.

eCall, das Auto, das automatisch den Notarzt ruft, gibt es bereits. Wie lange wird es dauern, bis es das eKrankenhaus mit eOP-Saal gibt, die automatisch den Arzt rufen? (Foto: AP)

Findige Chefärzte haben eine Lösung für dieses eigentlich unlösbare Problem gefunden. Sie wollen ihre ärztliche Weisheit und ihr operatives Geschick keinem Patienten vorenthalten und keine Unterschiede machen. Legendär der Chefarzt der Anästhesie, der Kameras in alle Operationssäle der Klinik einbauen ließ, um auf diese Weise jede Narkose von seinem Büro aus überwachen und im Notfall rettend eingreifen zu können. Das ist wahre Telemedizin. Böse Zungen unterstellen ihm zwar, er hätte den Videobeweis nur eingeführt, um alle Operationen abrechnen zu können, aber das verkennt sein ärztliches Ethos - zu helfen, wann und wo immer er kann.

Allerdings hat der ehrenwerte Doktor nicht beachtet, dass er während der Visite, in der Ambulanz oder bei einer Besprechung nicht über das aktuelle Geschehen während Narkose und Operation wachen kann. Wie schnell läuft da ohne seine engagierte Kontrolle etwas schief? Innovative Chirurgen haben auch hierfür einen Ausweg gefunden. Ihr Chef trägt sich grundsätzlich in jedem OP-Bericht als Operateur ein. Permanent im Einsatz.

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Auf diese Weise haben nicht nur die Assistenz- und Oberärzte das Gefühl, dass ihr Leitwolf ihnen immer beisteht, auch für Patienten ist das beruhigend. Auf die irritierte Nachfrage eines Privatversicherten, dass er den Chefarzt weder vor noch nach der Operation gesehen habe und dieser nach Auskunft des Teams die Operation auch nicht vorgenommen habe, erklärte ein anderer Arzt die Strategie: "Der Chef war aber im Hause." Was kann es schöneres für einen Patienten geben als diese Gewissheit? Nur Kleingeister reden angesichts des offensiv interpretierten OP-Berichts von Urkundenfälschung oder kommen mit der abgegriffenen Unterstellung, dieser Chefarzt wolle eben bei allen Patienten mitkassieren.

In konfessionell geführten Häusern verbietet sich dieses Wortspiel, aber man muss sich einen solchen Chefarzt als ebenso heilenden wie eilenden Geist vorstellen. Immer zur Stelle, immer vorbereitet. Einzig dem Dienst am Kranken verpflichtet. In Kölner Kliniken wurde bereits die Aktion ,,Fußnetz'' gegründet, vermutlich werden hier Tipps unter Chefärzten ausgetauscht, die ständig unterwegs sind. Und auf der Messe ,,electronica'' in München wird kommende Woche das Prinzip eCall vorgestellt, "das Auto, das automatisch den Notarzt ruft". Es wird sicher nicht lange dauern, bis es das eKrankenhaus mit eOP-Saal gibt, die automatisch den Arzt rufen. Natürlich nur, wenn er gebraucht wird.

Wenn Ärzte ständig unterwegs sind, tun sie aber nicht nur ihren Patienten, sondern auch sich selbst etwas Gutes. Wer so viel auf Achse ist, trainiert Herz und Gefäße - und sogar sein Gehirn. Neurologen aus den USA haben kürzlich gezeigt, dass die Größe des Gehirns bewahrt und das Gedächtnis geschult wird, wenn man regelmäßig zu Fuß unterwegs ist. Die Chefärzte können es brauchen und sich unterwegs überlegen, welche Patienten sie noch nicht mit ihrer virtuellen Anwesenheit beehrt haben.

© SZ vom 23. Oktober 2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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