Medizin und Wahnsinn (95):Die Furcht des Arztes vor dem Kranken

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Manche Patienten sind nun mal ansteckend. Also tragen Ärzte Schutzaccessoires - oder ignorieren die Kranken.

Werner Bartens

Auch Ärzte möchten nicht ständig krank sein, obwohl sie berufsbedingt zwangsläufig ein enges Verhältnis zu Kranken und ihren Krankheiten pflegen. Es ist für Ärzte nicht immer einfach, bedrohlichen Keimen aus dem Weg zu gehen. Bei ordnungsgemäßer Berufsausübung lässt sich der Kontakt mit Patienten selten vermeiden, und manche Patienten sind nun mal ansteckend. Im Krankenhaus gilt die Faustregel, dass Assistenzärzte in den ersten sechs Monaten im Job fast so oft das Bett hüten müssen wie ihre Patienten. Danach wird es besser. Ärzte haben dann eine gewisse Robustheit und zudem einen körpereigenen Vorrat an Antikörpern erworben.

Wer Arzt ist, aber diese Abhärtung gegen die Mikroben nicht mitmachen will, wird Pathologe, Gerichtsmediziner oder Medizinhistoriker mit dem Schwerpunkt Seuchengeschichte. Fein raus sind auch die Chirurgen, die - ähnlich wie die Zahnärzte - den ganzen Tag lang mit umgebundenem Mundschutz herumlaufen, sodass es nicht auffällt, ob sie das Vlies gerade im Gesicht oder unter dem Kinn tragen.

Medizinischen Laien sind derartige Schutzaccessoires nicht zu empfehlen. Das kann tragisch enden und lächerlich aussehen. Zudem ist es anstrengend, jede Türklinke nur mit Papiertaschentüchern oder Handschuhen zu berühren. Und es macht auf Dauer einsam, in jedem Mitmenschen nur einen Zwischenwirt für Viren und eine gefährliche Keimschleuder zu sehen.

Multimillionär Howard Hughes hat sich in seinem Hygienewahn von aller Welt isoliert und aus Angst vor Erregern zeitintensive Reinlichkeitsrituale entwickelt. Seine Bediensteten mussten alles abdecken, was ihr Herr anzufassen plante. Bei Michael Jackson wusste man nicht, warum er manchmal wie ein Cowboy aussah und Mundschutz unter dem Hut trug. Hatte er Angst davor, dass der Rest seiner Nase abfiel oder fürchtete er sich tatsächlich vor feindlichen Erregern?

Der kollektive Schweinewahnsinn

Der Hausarzt aus dem Rheinland, um den es im Folgenden geht, würde wohl nie Schutzkleidung wie Michael Jackson anziehen, nicht mal zu Karneval. Vielleicht sollte der Arzt über seinen Schatten springen und sich zweckdienlich vermummt endlich den Kranken stellen. Einer seiner Patienten hat sich nämlich darüber beklagt, dass der Arzt sich weigert, ihn persönlich zu sehen. Der Doktor hat Angst, seine anderen Patienten könnten sich infizieren, denn der Mann, den der Arzt nicht sehen will, hat Schweinegrippe. Er ist schlapp, er hat 40 Grad Fieber, aber davon abgesehen geht es dem Patienten nicht schlecht. Zu schaffen machen ihm weniger die Erreger, sondern die Reaktionen der Menschen.

Es scheint der kollektive Schweinewahnsinn ausgebrochen zu sein: Die Kinder des Kranken wurden aus der Schule nach Hause geschickt, weil sich herumgesprochen hatte, dass ihr Vater infiziert war. Der Arbeitgeber des Mannes hatte alle informiert, die mit dem Erkrankten Kontakt hatten. Und der Arzt, der es besser wissen sollte, meidet hartnäckig den Umgang mit seinem Patienten.

Infektionsschutz und Seuchenprävention werden hier mit Panikmache und Diskriminierung verwechselt. Denn bisher verläuft die Schweinegrippe harmlos im Vergleich zu der jährlichen Grippewelle: Bisher gab es keinen einzigen Toten durch die Schweinegrippe in Deutschland, während die konventionelle Grippe jedes Jahr 5000 bis 20.000 Tote fordert.

Der infizierte Mann will sich nicht gefallen lassen, wie man mit ihm umspringt. Zusammen mit anderen Patienten, die an Schweinegrippe erkrankt sind, demonstriert er auf dem Neumarkt, einem der am stärksten von Fußgängern frequentierten Orte in Köln - direkt vor dem Gesundheitsamt. Der Eindämmung der Schweinegrippe dient das nicht gerade, im Gegenteil. Andererseits ist es nur konsequent. Wenn sich die Ärzte nicht zu den Kranken trauen, kommen die Kranken zu den Ärzten.

© SZ vom 05.09.2009/aro - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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