Süddeutsche Zeitung

Medizin und Wahnsinn (91):Schwimmunterricht und Whisky

Wer schwimmen lernt, senkt das Risiko zu ertrinken. Als Russe sollte man Whisky in Wales trinken, um Infektionen zu verhindern. Die Welt ist voller wissenschaftlich wertvoller Ratschläge.

Werner Bartens

Deutschland geht es gut. Während die Welt darüber rätselt, ob Vogelgrippe, Lungenpest oder Schweinegrippe gefährlicher sind, haben die Menschen hier ganz andere Sorgen.

Ein Freund hat sich die Rückseite des Oberschenkels gezerrt, als er von der Toilette aufzustehen versuchte. Ein Bekannter ist im Stehen eingeschlafen und umgekippt, weil er bei einem Heavy-Metal-Open-Air irgendwann nicht mehr konnte. Das ist einer der raren Fälle, in denen ein Patient die Diagnose Hörsturz wörtlich genommen hat.

Übertroffen werden diese Missgeschicke nur von dem spanischen Fußballtorwart Santiago Cañizares, der immerhin 46 Länderspiele für sein Land absolviert hat. Der Keeper des FC Valencia war für die Weltmeisterschaft 2002 in Japan und Südkorea als Nummer eins gesetzt, doch ein selten dämliches Malheur kam ihm dazwischen. Kurz vor dem Turnier fiel ihm im Bad die Aftershave-Flasche hinunter. Als mitspielender Torwart wollte er sie mit dem Fuß auffangen, zerschnitt sich dabei aber eine Sehne, sodass er zur WM nicht einsatzfähig war.

Das für seine Praxisnähe bekannte Medizinstudium in Deutschland bereitet angehenden Ärzte auf solche Wechselfälle des Lebens vor. Statt sich mit lebensfernen Dingen wie der Behandlung von Zuckerkranken zu beschäftigen, lernt man, dass Pima-Indianer häufiger Diabetes bekommen als andere Volksgruppen.

Man ist dankbar zu erfahren, dass Reiter an einer Muskelverhärtung im Oberschenkel leiden können, die als Reiterknochen bezeichnet wird, und dass eine Fraktur des Mondbeins - ein Handwurzelknochen - als Berufskrankheit von Presslufthammerarbeitern und anderen Schüttlern und Rüttlern anerkannt wird.

Weil in der Aus- und Weiterbildung der Ärzte so sonderbare Schwerpunkte gesetzt werden, müssen Tausenden Diabetikern in Deutschland jedes Jahr die Füße amputiert werden, obwohl das durch eine bessere ärztliche Versorgung und mit geringen Kosten verhindert werden könnte. Bei mehr als einem Drittel der Patienten mit Bluthochdruck ist der Druck nicht optimal eingestellt, weil der Arzt falsche Medikamente oder die richtigen in der falschen Kombination verordnet. Die Spätfolgen für Herzen, Hirne und Nieren sind verheerend.

Damit die Medizin besser wird, gibt es die Wissenschaft. Der beständige Fortschritt der Forschung lässt der Heilkunde permanent neue und alltagsnahe Erkenntnisse zufließen. Der Chefarzt einer Hautklinik, die auf natürliche Heilverfahren setzt, will uns ein Interview andienen, in dem er die steile These aufstellt, dass hellhäutige Menschen eher zum Sonnenbrand neigen als dunkle.

Besonders erfreut haben uns zwei englischsprachige Fachartikel aus der jüngsten Zeit: In einem dokumentieren Wissenschaftler, dass regelmäßiges Training die körperliche Leistungsfähigkeit erhöht. Der zweite ist geradezu von lebenswichtiger Bedeutung, ein medizinischer Durchbruch allererster Güte: Schwimmunterricht für Kinder im Vorschulalter führt dazu, dass weniger Kinder ertrinken, haben Wissenschaftler festgestellt.

Neben der Forschung sollte man auch die Erfahrungen von Selbsthilfegruppen nicht geringschätzen. Russische Fußballfans sind eine besondere Art der Selbsthilfegruppe. Für die Reise zum WM-Qualifikationsspiel ihrer Mannschaft in Wales am 9. September haben sie eine aparte Empfehlung parat.

Demnach sollten die Anhänger, die auf die britische Insel reisen, vor Ort spezifische Schutzmaßnahmen gegen die Schweinegrippe ergreifen. "Wir mahnen unsere Fans an, viel Whisky als eine Art Desinfektion zu trinken. Das sollte der Infektionsgefahr vorbeugen", sagt Alexander Scharping, der Chef der russischen Fan-Vereinigung. Die Fans sollten allerdings aufpassen, dass Santiago Cañizares nicht unter den Zuschauern weilt und eine Flasche mit dem Fuß auffangen will.

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SZ vom 08.08.2009/mmk
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