Medizin und Wahnsinn (84):Arzt im Test

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Die AOK hat immer prima Ideen. Jetzt kam die Krankenkasse mit dem Vorschlag, dass Patienten ihre Ärzte benoten sollen. Ein zwiespältiges Unterfangen.

Werner Bartens

Die AOK hat immer wieder prima Ideen. Jetzt kam Deutschlands größte Krankenkasse mit dem Vorschlag, dass Patienten ihre Ärzte im Internet benoten sollen. Klingt gut, wird aber zu zwiespältigen Ergebnissen führen.

Auf die Finger geschaut: Ärzte sollen öffentlich beurteilt werden können (Foto: Foto: iStockphotos)

Langjährige Erfahrungen am Krankenbett zeigen: Das Einzige, wofür sich Patienten in der Klinik interessieren, ist die Qualität des Essens. Nun sind Schmelzkäse-Ecken an einer traurigen Tricolore von Schwarzbrot, Graubrot und Weißbrot zwar wahrlich keine kulinarische Offenbarung.

Andererseits sagt die Auswahl zwischen Bierschinken oder Serranoschinken nichts darüber, mit welcher Finesse die Chirurgen der Klinik den Beinschinken frei präparieren, bevor sie das künstliche Hüftgelenk einsetzen.

Das Zweitwichtigste in der Klinik ist für die meisten Patienten, wie freundlich und ansehnlich die Pflegekräfte sind. Nun ist zwar erwiesen, dass eine Umgebung, in der man sich wohlfühlt, zur Genesung beiträgt. Es gibt aber wichtigere Kriterien, etwa ob die Ärzte ihr Handwerk verstehen und genug Erfahrung in dem haben, was sie tun.

Trotzdem wird es wahrscheinlich bald im Privatfernsehen den Klinikkantinen-Tester geben. Andere neue Sendungen könnten heißen: "Deutschland sucht die Super-Schwester" oder "Einsatz in vier Krankenzimmer-Wänden" - mit Einrichtungstipps für die Pflege daheim.

Seriösere Kriterien sind ebenfalls manchmal heikel, um eine Klinik zu beurteilen. Wenn etwa die Rate der Infektionen in einer Klinik höher ist, muss das nicht heißen, dass dort ein Stümper wirkt. Vielleicht ist der Chirurg sogar besonders gut, traut sich auch an die Patienten, die von anderen Ärzten nicht mehr operiert werden. Weil die behandelten Fälle komplizierter sind, kommt es womöglich auch zu mehr Komplikationen.

Die Bewertung von Arztpraxen ist nicht viel einfacher. Für viele Patienten ist es wichtig, wie lange sie warten müssen. Kommen sie schnell dran, ist der Arzt gut, so ihre Schlussfolgerung. Mich würde es skeptisch machen, wenn das Wartezimmer jedes Mal leer ist, wenn ich zum Arzt komme.

Andere Patienten beurteilen ihren Arzt nach der Auswahl der Zeitschriften. Focus Money liest niemand mehr. Liegt es noch im Wartezimmer, ist der Arzt nicht auf der Höhe der Zeit. Zu viele Hefte über Segeln, Motorboote, Polo und Golf deuten darauf hin, dass der Doktor zu viele unnötige IGe-Leistungen anbietet.

Die Plakate der Kassenärztlichen Vereinigung oder der Fachverbände sind als sichere Drohung zu verstehen, dass der Arzt Sie gleich in ein Gespräch über den Gesundheitsfonds, extrabudgetäre Leistungen oder Ulla Schmidt verwickeln wird und vermutlich wenig Interesse für Ihre Beschwerden aufbringt.

Andere Kriterien für Patienten sind a) bekomme ich eine Krankschreibung, wenn ich es will, b) verlasse ich mit einem anständigen Rezept die Praxis oder will mir der Arzt wieder erzählen, meine Beschwerden seien nur psychischer Natur, c) behandelt er seine Topfpflanzen genauso schäbig wie mich, d) sieht seine Praxis noch immer so aus wie ein Postamt in den Siebziger Jahren, verziert mit ein paar Magritte- und Miró-Kunstdrucken der Pharmafirmen?

Ob der Arzt zuhört, auf die Probleme seiner Besucher eingeht und geduldig alle ihre Fragen beantwortet, können Patienten natürlich am besten beurteilen. Zu kurz kommen wird bei all' diesen Umfragen und Bewertungen aber das, was einen guten Arzt aus fachlicher Sicht auch auszeichnet: Veranlasst er nur die Eingriffe und Behandlungen, die tatsächlich medizinisch notwendig sind und den Patienten etwas nutzen? Überaktivismus in der Medizin mag die Patienten zwar kurzfristig beruhigen. Langfristig ist das aber zum Schaden und produziert nur weitere Patienten. Die könnten dann allerdings mit Unterstützung der AOK wieder neue Ärzte testen und benoten.

© SZ vom 20.06.2009/mmk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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