Medizin und Wahnsinn (67):Die Wissenschaft vom Laster

Wir können uns mäßig attraktive Frauen schön saufen und gegen Alzheimer anpaffen. Wenn's ums Laster geht, bedienen wir uns gern der Wissenschaft.

Werner Bartens

Man kann wirklich nicht behaupten, dass sich die Menschen zu wenig für die Wissenschaft interessieren würden. Medizinischen Laien geht es sogar fast ausschließlich um wissenschaftliche Details. Man muss eben aus den schier unübersehbaren Forschungsergebnissen herausfiltern, was relevant für die eigene Lebensführung ist.

bier laster

Spült Bier die Blase? Wie schön, wenn man für seine Wünsche und Laster auch noch eine medizinische Begründung findet.

(Foto: Foto: iStockphotos)

So kam kürzlich ein unsportlicher Kollege mit einer Flasche Rotwein in mein Zimmer und setzte sich auf mein gelbes Sofa. Er wollte mir den Alkohol aber nicht überreichen, sondern lediglich wissen, ob er damit seinen ungeübten Herzkranzgefäßen etwas Gutes tun könnte. Es handelte sich um eine apulische Südlage, auf dem Etikett war aber kein Hinweis der italienischen Kardiologenvereinigung zu finden.

Während einer für die Öffentlichkeit zugänglichen Tagung referierte ein Redner langatmig über verschiedene Formen der Lungenerkrankungen. Am Rande streifte er auch das weniger bekannte Leiden Lungenhochdruck.

Viagra gegen Lungenhochdruck

Während das Publikum die meiste Zeit vor sich hingedöst hatte, wurde jetzt plötzlich ein älterer Zuhörer munter. Ob es denn stimme, dass ein Medikament, "das der Volksmund als Sildenafil kennt, auch gegen Lungenhochdruck hilft", wollte er wissen.

Der Volksmund kennt das Mittel eher als Viagra, erwiderte der Referent wenig dezent. Aber es sei unbestritten, dass die blauen Potenzpillen auch den Druck in der Lunge mildern. Wie schön, wenn man für seine Wünsche und Laster auch noch eine medizinische Begründung findet.

Auch die Frage im Anschluss an einen öffentlichen Vortrag über die Gefahren des Rauchens und Passiv-Rauchens war wohl hauptsächlich autobiographisch motiviert. Ausführlich hatte der Referent die verschiedenen Gesundheitsrisiken erläutert, kein Krebs, kein Lungenleiden und kein Gefäßschaden blieb unerwähnt.

Das Einzige, was eine Zuhörerin hinterher wissen wollte, war, ob Zigarre und Pfeife vielleicht harmloser seien als Zigaretten. Als der Referent verneinte und das Publikum um weitere Fragen gebeten wurde, meldete sich noch ein Zuhörer. Ob Schnupftabak harmloser sei, wollte er wissen. Oder wenigstens die Kombination von Schnupftabak und Zigaretten, wie Helmut Schmidt sie pflege.

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Die Wissenschaft vom Laster

Aus mäßig schön wird schön

Selektive Wahrnehmung macht das Leben einfacher, auch für Mediziner. Neurologen reden sich das Rauchen schön, weil es in Fachartikeln vage Hinweise dafür gibt, dass Nikotin die Überträgerstoffe im Gehirn anregen könnte.

Wir tun etwas gegen das drohende Alzheimer-Leiden, sagen Ärzte schmunzelnd, wenn sie sich - natürlich aus Vorsorgegründen - zum Paffen zurückziehen. Und einige Männer haben erfreut das Glas gehoben, als sie von der Studie erfuhren, wonach Männer sich mäßig attraktive Frauen schönsaufen können - während Frauen diese Gabe offenbar nicht haben.

Damit man an den wissenschaftlichen Nutzen seiner Laster glauben kann, hilft es ungemein, wenn es sich bei den vermeintlichen Beweisen um eine Art Geheimwissen handelt. Deshalb steht auch auf keiner Rotwein-Flasche "Grand Cru du Coeur" - obwohl "Beaujolais cardiovasculaire" oder auch "Rioja Corazón" ganz hübsch klingen würde.

Manchmal gibt es allerdings auch einen Konflikt zwischen Geheimwissen und notwendiger Aufklärung. So liegen Hinweise dafür vor, dass Weinfranken länger leben als Bierfranken. Ob es das bevorzugte Getränk oder die geographische Lage ist - keiner weiß es.

Sofern die Bierfranken SPD wählen, ist ihre Lebenserwartung noch stärker verkürzt, so die Datenlage. Nachdem die bayerische Regierung von ihrem ursprünglichen Plan Abstand genommen hat, alle bierseligen Oberfranken nach Würzburg umzusiedeln, um aus ihnen Weintrinker zu machen, hält sie eine andere Strategie für hilfreicher.

Sie will die gefährdeten Oberfranken zu einem Austritt aus der SPD bewegen - aus Gesundheitsgründen.

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