Medizin und Wahnsinn (44):Therapiehund am Kommunikationsbecken

Manchmal ist der Wahnsinn ganz nah. Im Schwimmbad kann man ihm begegnen - oder spätestens auf dem Zahnarztstuhl.

Werner Bartens

Manchmal ist der Wahnsinn ganz nahe. Neulich am See etwa. Ein freilaufender Hund springt die Kinder an. Sein Frauchen sagt nicht, der will nur spielen. Sie sagt stattdessen: "Das ist ein Therapiehund, der nimmt Kindern die Angst."

Medizin und Wahnsinn (44): Was haben Zahnärzte mit Therapiehunden gemeinsam?

Was haben Zahnärzte mit Therapiehunden gemeinsam?

(Foto: Foto: istock)

Die Kinder schreien aber. Die Frau erklärt unterdessen, wie wichtig Tiere im Alltag sind, nicht immer nur Computer. Der Therapiehund schnuppert, die Kinder schreien weiter. Später am Tretbootverleih sagt der Tretbootverleiher, dass Hunde von Natur aus schwimmen könnten, Menschenbabys auch, die würden es nur wieder verlernen.

Ob ein Therapiehund Menschenkinder retten würde, wenn sie aus dem Tretboot fallen? Wahrscheinlich würden sie abtauchen statt loszuschwimmen, sobald das Tier auf sie zukommt.

In Zehnergruppen zum Zahnarzt

Am selben Wochenende im Schwimmbad. In einem Becken für Nichtschwimmer lärmen einige junge Menschen mit Migrationshintergrund. Kein Therapiehund weit und breit gebietet ihnen Einhalt. Die Jugendlichen spritzen, schreien, springen - und immer wieder hüpfen sie mit dem Gesäß voran ins Wasser. Großes Hallo. Die Nichtschwimmer sind längst vertrieben.

Der Bademeister steht mit rankem Becken am Beckenrand, hat schon Verwarnungen ausgesprochen. Jetzt will er den jungen Lärmhanseln endgültig Badeverbot erteilen. Dabei steht Kommunikationsbecken auf einem Schild am Beckenrand.

Zurück in der Innenstadt. Diverse Mediziner preisen sich und ihre Dienstleistungen an, inserieren an Rolltreppen, Fahrradständern und vor der eigenen Tür. Eine Zahnärztin hat offenbar besonders viel zu bieten. Gleich zwei Schilder sind vor ihrer Praxis angebracht. Darunter finden sich aber auch obskure Praktiken, etwa die Solo-Prophylaxe, was eindeutig zweideutig klingt.

Wahrscheinlich ist es aber ganz harmlos und die gesundheitspolitisch interessierte Zahnärztin will nur darauf hinweisen, dass die Zeiten endlich vorbei sind, in denen man sich in Zehnergruppen beim Zahnarzt anstellen musste, um hintereinander mit hartem Strahl den Zahnstein entfernt zu bekommen.

Weiter: Warum man auf manche Zahnärzte einen Therapiehund hetzen sollte...

Therapiehund am Kommunikationsbecken

Vielleicht ist Solo-Prophylaxe wirklich ein besonderer Service, weil das Gesundheitswesen so weit heruntergekommen ist, dass für den einzelnen Zahn gar keine Zeit mehr bleibt und andere Dentalhandwerker in mehreren Mündern gleichzeitig bohren, schleifen, füllen und polieren, statt jeden Zahn in seiner Einzigartigkeit zu sehen.

Auf manche Zahnärzte kann man nur noch einen Therapiehund hetzen oder sie ins Kommunikationsbecken tunken. Zur Solo-Prophylaxe, was anderes hilft da nicht mehr. Wahrscheinlich benennen Zahnärzte die Spuckrinne, in die man nach schier endloser Mundöffnung das Gemisch aus Blut, abgeschliffenem Schmelz und Speichel entleeren darf, bald in Kommunikationsbecken um.

Man muss dann einen Aufpreis zahlen, je nachdem ob es aus Porzellan, Gold oder Hartkunststoff gearbeitet ist. Amalgam wird natürlich nicht mehr verwendet. Nach dem Ausspucken, wenn das Kommunikationsbecken wieder gespült ist, kann und darf man wieder reden. Meistens hat man seinem Zahnarzt aber nichts zu sagen, Kommunikationsbecken hin oder her.

Neulich saß ein junger Arzt auf meinem gelben Sofa. Er weinte bitterlich. Ich hätte gerne einen Therapiehund zum Trösten dabei gehabt. Dem Doktor war Schreckliches passiert. Er hatte im Krankenhaus mit ansehen müssen, wie grob ein Kollege mit Patienten umgegangen war.

Auf dessen Arztkittel, auf dem über dem Namen das Wort "Arzt" eingraviert ist, hatte er daraufhin eine kleine Veränderung vorgenommen. Mit wasserfestem Stift machte er "Tierarzt" aus der Berufsbezeichnung. Die Rache des Kollegen war allerdings fürchterlich. "Zahnarzt" schrieb er auf das Revers des arglosen Humanmediziners.

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