Medizin und Wahnsinn (33):Die angegriffene Hasenwürde

Wenn Haustiere leiden, geht es auch dem Menschen nicht gut. Nicht selten aber ist er selbst Schuld - insbesondere wenn es um die Psyche der Vierbeiner geht.

Werner Bartens

Es geht um Menschenwürde, Hasenwürde und Rückenschmerzen, denn schließlich hängt das alles miteinander zusammen. Ist der Hase gesund, freut sich der Mensch. Ist der Mensch gesund, hat zumindest der Haushase einen Überlebensvorteil, weil er dann von seinem Herrchen oder Frauchen versorgt werden kann, auch wenn das der Hasenwürde manchmal schwere Belastungen zufügen kann, wie später gezeigt wird.

hase; istockphotos

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(Foto: Foto: istockphotos)

Zunächst zum Rücken, dem vielleicht stolzesten Körperteil des Menschen, der sich schnell in seiner Würde angegriffen fühlt. Neulich rief jedenfalls der Kollege von zu Hause aus an und wollte einen virtuellen Sprechstundentermin auf meinem gelben Sofa.

Er kann nicht sitzen, sagt er, er kann nicht gehen, nicht stehen und auch nicht liegen. Als Wissenschaftsredakteur möchte man natürlich wissen, ob die Schwerelosigkeit im All und ein dickes Abc-Pflaster seine Beschwerden lindern würden. Im Orbit werden angeblich permanent medizinische Experimente gemacht, das wäre endlich mal ein volksnaher Versuch von Nasa, Esa oder Tesa (oder wer immer Abc-Pflaster herstellt) und womöglich eine - wenn auch teure - Therapieoption gegen das lästige Volksleiden Rückenschmerzen.

Assistierter Suizid oder passive Sterbehilfe?

Der Kollege will aber nicht in die Erdumlaufbahn geschossen werden, er denkt eher an sein fragiles mentales Gleichgewicht. Vor Jahren, da habe er diese heftigen Rückenschmerzen gehabt und es ging ihm persönlich gar nicht gut, erläutert er seine Seelenlage. "Jetzt ist psychisch aber alles stabil und trotzdem habe ich diesen furchtbaren Hexenschuss", sagt er fast anklagend. Als treuer Anhänger der psychosomatischen Lehre kann er es kaum glauben, dass ihm das Kreuz wehtut, obwohl die Seele nicht knirscht.

Ein anderer Kollege, der mit den Hasen, zuckte jäh zusammen, als er die Geschichte mitbekam. Er war gerade sehr empfindlich in Leidensdingen, denn in seinem familiären Umfeld wäre es fast zur Sterbehilfe gekommen - allerdings bei Hasen, wobei allen Beteiligten unklar blieb, ob die in Deutschland verboten ist und in den Niederlanden erlaubt.

Die pubertierende Tochter des Kollegen sollte jedenfalls auf die beiden Tiere im Garten-Freigehege aufpassen, hatte aber gemeinsam mit ihrem Freund den Impuls, den Hasen lieber die Freiheit zu schenken, statt sie in ihrem Maschendrahtgefängnis von einem knurrenden und ständig die Zähne fletschenden Hund umkreisen zu lassen. Sie nahmen die Hasen und setzten sie am Waldesrand aus - was junge Leute halt so machen, wenn sie von der großen Freiheit träumen.

Die Familie war entsetzt, als sie wieder nach Hause kam. Der kleine Bruder weinte - was kleine Brüder halt so machen, wenn sie von großen Schwestern gepeinigt werden. Die sofort eingeleitete Großfahndung war jedoch erfolgreich. Das Hasenpaar wurde vier Stunden später zitternd an derselben Stelle am Waldrand gefunden, an der die Jugendlichen die Tiere ausgesetzt hatten.

Die Tiere hatten sich nicht fortbewegt, was sie wohl unter ihrer Haushasenwürde empfunden hätten. Unklar blieb, ob das, was die Adoleszenten hier als Freiheit verstanden hatten, in Hasenkreisen eher als assistierter Suizid, als aktive oder als passive Sterbehilfe aufgefasst worden wäre.

In der Familie wurde noch lange über die unteilbare Hasenwürde diskutiert, ohne allerdings das Aufenthaltbestimmungsrecht der Tiere im heimischen Garten anzutasten.

Der Kollege mit den Rückenschmerzen war immer noch lendenlahm und zu allem bereit. Konkret: Er wollte sich jetzt doch eine Spritze geben lassen, Psyche hin oder her. Wieder genesen, erklärte er im kleinen Kreise bei gebratenem Hasenrücken an Spätzle Rückenschmerzen zu einem perfiden Angriff auf die Menschenwürde. Schließlich würde kein akutes Leiden den Menschen und seinen aufrechten Gang so entwürdigen wie ein Hexenschuss.

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