Süddeutsche Zeitung

Medizin und Wahnsinn (140):Deutschland sucht den Super-Arzt

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Über die Wahl dieses oder jenen Arztes lässt sich herrlich debattieren. Nur die Begründungen fallen oftmals fragwürdig aus.

Werner Bartens

Mehrere Männer beim gemeinsamen Sport. Es gibt ein paar Sujets, die zuverlässig immer wieder erwähnt werden, wenn die Joggingrunde bewältigt oder das Fußballspiel beendet ist. Die unverdiente Niederlage und die unerreichbare Frau sind Klassiker dieser Nachbesprechung im Schwitzen, manchmal hängen die Themenfelder Frau und Niederlage auch untrennbar zusammen. Nicht weit dahinter auf der Tagesordnung erschöpfter Freizeitsportler taucht der fachkundige Austausch über die fähigsten Ärzte auf, wobei es hier nicht nur um jene Heilkundigen geht, die bevorzugt die in Kampf, Hatz und Spiel erworbenen Blessuren verarzten.

Ein Sportkamerad schwört auf den Knie-Experten, weil der sich nicht nur seines arthrotischen Gelenks annimmt, sondern zugleich auch das mongolische Olympiateam im Viererbob betreut. Dieser Qualitätsbeweis wird überhaupt gerne genommen, ob es sich nun um den Augenarzt der senegalesischen Tischtennis-Equipe oder den Urologen dänischer Springreiter handelt. Mich würde das eher skeptisch machen: Hat ein Arzt die Zeit, sich nebenbei um verletzungsanfällige und mental betreuungsintensive Athleten zu kümmern, wird seine Praxis wohl nicht so gut laufen.

Fragwürdig auch das Argument, das ebenso bei langhaarigen Promisportmedizinern wie dem Zahnarzt um die Ecke bemüht wird: Wenn er/sie nicht so gut wäre, würden die Athleten respektive Patienten ja nicht immer wieder kommen. Andersrum klingt das schon logischer: Wäre er/sie wirklich gut, müssten die Patienten nicht alle naslang erneut zur Behandlung erscheinen, sondern blieben eine Zeit beschwerdefrei, ohne dass der Arzt permanent nachbessern müsste.

Hübsch auch die Begründung des Sportfreundes für den Laserexperten seiner Wahl, der im südosteuropäischen Ausland seiner Profession nachgeht: Dort sei die Augenbehandlung billiger, und der Mann trete sogar auf Kongressen als Redner auf! Mit jeder Desillusionierung geht ein Stück Weltgeheimnis verloren, aber es gibt nun mal den medizinischen Merksatz: Für jeden Arzt, der des Alphabets einigermaßen mächtig ist, findet sich ein Kongress, auf dem er seine ungeschliffenen Daten zum Besten geben kann. Zudem gilt: Wer oft auf Kongressen auftritt, verbringt seine Zeit eher im Labor oder vor dem Computer als mit Patienten.

Es muss noch andere Kriterien für die Wahl des allerbestmöglichen Arztes geben. Ein eher zurückhaltender Kollege will nicht, dass er die Haut-, Organ- oder Gewebeproben, die ihm entnommen werden, auch hinterher oder gar schon während des Eingriffs gezeigt bekommt. Diese Sammelleidenschaft hat man spätestens dann hinter sich, wenn die kleine Dose mit den Milchzähnen nicht mehr aus eigenen Ressourcen aufgefüllt werden kann.

Ein anderer Kollege akzeptiert jedes noch so scheußliche Aquarell einer künstlerisch überambitionierten Arztgattin im Wartezimmer, wenn er dafür verschont bleibt von den schlecht formulierten Plakaten gegen die aktuellsten Wendungen der Gesundheitsreform. Schlimmer ist es nur noch, wenn der Arzt das Gespräch mit dem Patienten modern interpretiert und über die Gesundheitspolitik schimpft oder wahlweise sein niedriges Honorar beklagt, während er in einer komplizierten Prozedur den Nagel aus dem Knochen entfernt oder gerade eine tiefe Fleischwunde näht.

Viel entspannter fällt hingegen die Begründung einer Bekannten für die Wahl ihres Gynäkologen aus: "Der hat einen so geschmackvollen Teppich in seinem Sprechzimmer mit vielen hellen Hirschen drauf." Das sind klare, objektive Kriterien. So ähnlich muss man sich das Zustandekommen der gängigen Ärzte-Listen vorstellen.

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Quelle:
SZ vom 14./15.08.2010
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