Süddeutsche Zeitung

Medizin und Wahnsinn (139):Von Ärzten und Geiern

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Ärzte sollten Kranke heilen oder wenigstens ihre Leiden lindern. Zu welcher Kategorie also zählen Schönheitschirurgen, Sportmediziner und Zahnärzte?

Werner Bartens

Manchen Ärzten sollte man die Zulassung entziehen. Im Extremfall reicht die Begründung, dass sie sind, wie sie sind, und man sie keinesfalls auf die Menschheit loslassen sollte. Ihnen möge berufliche Unterkunft in Sparten mit wenig Publikumsverkehr gewährt werden, etwa bei Gewässerkundlern, Leuchtturmwärtern oder Glöcknern, obwohl es reizende Exemplare gibt, die diese Professionen ausüben.

Ein Menschenfeind zu sein, ist allerdings nicht spezifisch ärztlich. Das gibt es auch in anderen Berufen, in denen traditionell Umgang mit Menschen zu erwarten ist, so bei Lehrern, ICE-Schaffnern, Pförtnern und Zahnärzten, die hier aus guten Gründen nicht zu den Ärzten gezählt werden.

Dann gibt es noch die Ärzte, die sich formal zwar völlig zu Recht zu den Ärzten zählen dürfen, deren Tätigkeiten aber eher den kosmetischen Berufen oder dem Karosseriebau entlehnt sind. Klar, sie reden sich immer damit heraus, dass sie Patienten nach Krebsoperationen oder Unfällen wieder zu einem passablen Äußeren verhelfen. Manche geben sogar vor, Psychotherapie mit dem Skalpell zu betreiben. Doch soll man das wirklich ärztliche Kunst nennen, wenn ansehnlich gebauten Menschen die Brüste aufgeblasen und schmale Schenkel noch weiter verjüngt werden? Wenn der ehemals zarte Mund plötzlich von Lippen wie Stoßstangen umgeben ist?

Zur Erinnerung: Ärzte sollen Kranke gesund machen und, wenn das nicht geht, wenigstens Leiden lindern. Dazu brauchen sie manchmal Medikamente, gelegentlich ist auch eine Operation unumgänglich. Vor allem aber benötigen Patienten Zeit und Zuspruch. Dann kann heilen, ins Gleichgewicht kommen und zusammenwachsen, was zusammengehört. Oft ohne Medikamente und ohne Operation. Der Arzt ist ein mehr oder weniger nützlicher Begleiter des Genesungsprozesses. Ignoranten verkürzen das und sagen, Medizin sei die Kunst, kranken Menschen die Zeit zu vertreiben, während der Körper mit der Selbstheilung beschäftigt ist.

Wenn Ärzte ihren Patienten - im Zweifel gegen Interessen des Umfelds - die Zeit geben und lassen sollten, die sie brauchen, um gesund zu werden, was sind dann Sportmediziner? Kann man sie als Ärzte bezeichnen? Sie befinden sich im Dilemma. Betreuen sie Spitzensportler, erwarten Verein oder Verband oft, dass kranke Athleten schnell wieder antreten können und fitgespritzt werden, wie das so blöd heißt. Als ob man fit wäre, wenn man mit Schmerzmitteln so voll ist, dass man eine Weile keine Schmerzen spürt aber auch sonst kaum noch etwas mitbekommt.

Jeder, der sich mal krank, aber medikamentös präpariert zur Arbeit geschleppt hat, weiß, dass er nicht gesund war, sondern nur mit Mühe den Tag überstanden hat. Manchmal, um anschließend nur noch länger krank zu sein.

Für manche Sportmediziner besteht ein Ziel darin, dass der Sportler nicht lange ausfällt. Schmerzmittel wie Diclofenac sind in den Bundesligen verbreitet. Der Handballer Stefan Kretzschmar nahm angeblich regelmäßig Diclofenac gegen Kniebeschwerden. Über Jermaine Jones von Eintracht Frankfurt, Ivan Klasnic und viele andere Kicker wird berichtet, dass sie vor vielen Spielen die Tabletten schluckten. Die Nieren von Klasnic versagten, er hat 2007 ein neues Organ übertragen bekommen. Ein häufiger Grund für Nierenversagen ist langjähriger Schmerzmittelgebrauch.

Geier vertragen die Schmerzmittel nicht gut. In Indien sind mehrere Arten des Aasfressers vom Aussterben bedroht, weil auf dortigen Rinderfarmen tonnenweise Diclofenac verfüttert wird. Für die Geier ist das Mittel tödlich, das sie mit dem Fleisch verendeter Tiere aufnehmen. Für einige Fußballer und Sportmediziner ist es offenbar unerheblich.

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Quelle:
SZ vom 07.08.2010
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