Medizin und Wahnsinn (137):Er ist schwanger

Die Schwangerschaft ist nicht nur für Frauen eine Zeit der Veränderung: Auch der angehende Vater mutiert zum Wettbewerbs-Hechler und Geburtstechnik-Spezialisten. Mancher neigt gar zur Übertreibung.

Werner Bartens

Der junge Kollege ist jetzt schon seit ein paar Monaten schwanger, und so langsam beginnt bei ihm das artgerechte Verhalten. Er interessiert sich seiner Partnerin zuliebe plötzlich für die Kurvenlage und Federung von allradgetriebenen Kinderwagen und fragt befreundete Väter in der Redaktion irritiert, wie oft sie noch Sex haben. Oder vielmehr: Wie viele Jahre nach der Geburt sie den Geschlechtsverkehr wieder aufgenommen haben. Ist er auf dem Fahrrad unterwegs, transportiert der Kollege seine Tasche bereits auf einem früh erworbenen Kindersitz, um sich schon an den veränderten Schwerpunkt zu gewöhnen, wenn Kurt-Kevin dereinst hinter ihm sitzt.

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Auch der Mann neigt in der Schwangerschaft seiner Liebsten zu mehr Bauchspeck - das hat allerdings weniger solidarische als evolutionäre Gründe.

(Foto: ag.dpa)

Zugenommen hat der Kollege auch schon ein wenig, denn bekanntermaßen packen Männer während der Schwangerschaft ja fast so viel Gewicht drauf wie ihre Liebste. Der Trend zu Hüftspeck und Bauchansatz geht aber nicht nur auf eine falsch verstandene Solidarität mit der Frau zurück, sondern ist auch evolutionär sinnvoll. Gerade falls der Nachwuchs im Spätherbst oder Winter zur Welt kommen sollte, ist es wichtig, dass sich auch der Vater ein paar Energiereserven zugelegt hat, wenn sich irgendwann alles nur noch um Kurt-Kevin dreht und die Zeit zur Nahrungssuche und -zubereitung knapp wird.

Damit die Männer in diesem für sie schwierigen Lebensabschnitt nicht in einem Meer aus Östrogen, Oxytocin, Hormon- und Harmonie-Sauce versinken, üben sie dennoch ihr angestammtes Konkurrenzverhalten aus, wenn es darum geht, andere schwangere Männer auf die Plätze zu verweisen. Besonders deutlich wird dies im Geburtsvorbereitungskurs, in dem es das oberste Ziel ist, einfühlsamer, intensiver und zugleich lauter zu hecheln als die anderen Männer. Die entsprechenden körperlichen Höchstleistungen lassen sich durchaus mit denen der "Austrian Giants" vergleichen, die in zahlreichen "Bewerben" Holzklötze und Steine mit Äxten, Sägen, Ketten und bloßen Händen bearbeiten.

Der Mann findet auch wieder zu sich, wenn er sich in die Diskussion einbringt, die sich während des Info-Abends in der Geburtsklinik zwangsläufig ergibt, in der man sich schon vor der Zeugung hätte anmelden sollen. Frauen fragen hier eher nach weichen Themen, etwa ob sie den Mutterkuchen nach der Niederkunft mitnehmen können. Auf dem wird von manchen Geburtsfetischisten nicht nur im Garten ein Baum gepflanzt, sondern es gibt auch Rezepte für die beste Zubereitung dieser nahrhaften Urmasse.

Männer interessieren sich hingegen für Zahlen und Fakten und fragen den Arzt beim Info-Abend daher lässig, "Wie hoch ist bei euch eigentlich so die PDA-Rate?", um sich dann zu erkundigen, wie viele Kinder in der Klinik mittels Kaiserschnitt zur Welt kommen. Beide Fragen verraten den der Schulmedizin gegenüber kritisch eingestellten Anhänger der natürlichen Geburt, der seiner Partnerin keine Anästhesie und erst recht keine Operation zumuten will.

Technischen Sachverstand und das Potential zum Apfelkisten hochtragenden Elternzeitaspiranten demonstriert auch die Frage nach besonderen Vorrichtungen und Service-Angeboten der Klinik. Ist das Team auf eine Niederkunft am Seil, auf dem Hocker oder auf eine Wassergeburt vorbereitet?

Allerdings muss man beim letztgenannten Thema aufpassen, das männliche Dominanzverhalten nicht zu übertreiben. An einem der Info-Abende fragte ein Projektleiter-Typ, ob er nicht am großen Tag gemeinsam mit seiner Frau das Becken zur Wassergeburt besteigen könnte. Er wollte eigentlich nur noch wissen, ob er dazu eine Badehose mitbringen müsse. Das Textil hielt er für überflüssig, denn seine Frau sei wohl nackt, und vom Baby erwarten sie das auch.

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