Medizin und Wahnsinn (134):Das ganze Volk gut versorgt

Zusammengesetzten Begriffen mit dem Wörtchen ,,Volk'' ist oft kein glückliches Schicksal beschieden gewesen. Auch der vielversprechenden "Volks-Tablette" fehlt Entscheidendes.

Werner Bartens

Wenn die Bewohner eines Landes im Kollektiv angesprochen werden, nimmt das meist kein gutes Ende. Die Volkszählung entfachte den Volkszorn. Die Volkspolizei wie auch die volkseigenen Betriebe waren im Westen eher Anlass zur Volksbelustigung. Im Osten führten sie langfristig zum Volksaufstand, der wiederum einige Volkshelden hervorbrachte und zur Auflösung der Volkskammer führte. Für kulturkritische Menschen sind Volksfeste und Volkstänze wie auch die Volksmusik ein Mittel zur Volksverdummung, obwohl sie anders als der Volksempfänger selten zur Volksverhetzung missbraucht wurden. Volkskrankheiten will keiner haben.

Debatte um Hirndoping

Toller Name, super Marketing - aber die "Volks-Tablette" hält nicht, was sie verspricht.

(Foto: Klaus Rose/dpa)

Zusammengesetzten Begriffen mit dem Wörtchen ,,Volk'' ist oft kein glückliches Schicksal beschieden gewesen. Man muss sich daher gut überlegen, ob man das Volk freiwillig so anspricht. Die Kneipp GmbH und die Bild-Zeitung, die sich seit Jahren gleichermaßen um die Volksgesundheit sorgen, haben damit offenkundig keine Probleme. Bild hat bereits die Volks-Bibel aufgelegt. Was liegt als volksnahes Medienhaus näher, als in ,,einer gemeinsamen Volks-Aktion'' mit den Kneipp-Leuten eine ,,Volks-Tablette'' auf den Markt zu bringen. Das Ding wird wirklich so genannt und ist mit vollem Namen in der Darreichungsform sowohl als ,,Kneipp-Gut-Versorgt-Kautablette'' als auch als ,,Kneipp-Gut-Versorgt-Brausetablette'' erhältlich. Beide sind in der Geschmacksnote ,,fruchtiger Apfel'' zu haben.

Gut versorgt - das ist endlich mal ein Name! Falls es Preise für gelungenes Marketing und direkte Kundenansprache gibt, sollten die Erfinder dieser Tablettenbezeichnung unbedingt ausgezeichnet werden. Ohne Umwege kommen sie auf den Punkt. Das kann man - anders als beispielsweise Rosiglitazon oder Allopurinol - unfallfrei aussprechen. ,,Alles drin'' und ,,Hilft immer'' wären zwar ebenfalls prima Namen für Pillen, Säfte und Dragees, lappen aber ein bisschen ins Größenwahnsinnige. ,,Gut versorgt'' spiegelt hingegen etwas von der demütigen Haltung der Heilkundigen wider, die wissen, dass man es manchem störrischen Körper nicht recht machen kann, auch wenn man ihn noch so gut versorgt.

,,Ergänzen was fehlt'', steht auf der Packung und das ist ebenfalls eine geniale Werbebotschaft. Wer wünschte sich das nicht: Egal ob man viel oder wenig Nachholbedarf hat, nur Dosenfutter zu sich nimmt, raucht und säuft oder immer frisch auf dem Markt einkauft - die Volks-Tablette erkennt sofort, was der Körper braucht und welche Speicher schnell wieder aufgefüllt werden müssen.

Was internationale Forscherteams seit Jahren vergeblich versuchen, ist nun Deutschlands großer Volkszeitung und der Firma mit dem fidelen Wasser-Priester im Logo gelungen. Wissenschaftler fahnden nach der Formel für eine als Allheilmittel gedachte ,,Polypill'', die zugleich erhöhtes Cholesterin wie den Blutdruck senken, den Schmerz mildern und den Blutfluss geschmeidiger machen soll. Viel ist dabei aber noch nicht herausgekommen.

Enttäuschend ist allerdings, was die Pharmazeuten von Bild und Kneipp zusammen gerührt haben. Ballaststoffe, Vitamin D und Folsäure sind in der Volks-Tablette enthalten. Das kann zwar nicht schaden, doch hier fehlt entschieden etwas für die Seele. Ein paar Stimmungsaufheller hätten es in diesen Zeiten schon sein können.

Da waren medizinische Standesorganisationen bereits vor Jahren weiter, als sie vorschlugen, wahlweise Aspirin oder Geschlechtshormone ins Trinkwasser zu mischen und so das Volk etwas schmerzfreier und lustvoller zu machen. Das sind Ansätze, die man weiter verfolgen kann. Es muss ja nicht gleich zu Exzessen oder gar Rauschzuständen kommen und Opium fürs Volk sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: