Medizin und Wahnsinn (123):Anden-Kresse für alle

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Maca, "der Casanova unter den liebestollen Knollen", regt nicht nur die weibliche Fruchtbarkeit an und erhöht die männliche Spermienproduktion. Die Pflanze kann offenbar mehr.

Werner Bartens

Aspirin und Paracetamol waren ja ganz gut. Insulin, Kortison und die Antibiotika auch. Okay, es gibt noch allerlei Mittel gegen Hochdruck, Krämpfe, Schmerzen, Krebs und Entzündungen. Wichtig, häufig hilfreich - aber diese Entwicklungen liegen alle weit zurück. Die Pharmaindustrie hat schon lange keinen richtigen Knaller mehr gelandet. Das meiste Geld verdient sie mit Nachahmerprodukten.

Neues fällt den Arzneimittelherstellern kaum noch ein. Wenn in einer medizinischen Studie von einem Durchbruch die Rede ist, kann man darauf wetten, dass es sich dabei um einen vereiterten Wurmfortsatz oder ein akutes Zwölffingerdarmgeschwür handelt und nicht um eine innovative Therapie.

Jetzt scheint sich jedoch ein epochales neues Mittel anzukündigen - für alle und gegen alles. Wir verdanken es aber nicht dem Chemiebaukasten der pharmazeutischen Industrie, sondern der Apotheke der Natur. Maca heißt das Zeug und ist den Bewohnern peruanischer Berghänge seit Jahrtausenden bekannt.

Seit kurzem wird die Anden-Kresse auch von mitteleuropäischen Naturfreunden geschätzt, die zwar keinen Alpaka-Poncho, aber dafür ein schadstofffreies Büßerhemd tragen.

Die Werbung scheint ein gewisser Euripides übernommen zu haben, offenbar ein griechischer PR-Stratege. "Probieren weckt die Lust zum Kauf", schreibt jedenfalls dieser Euripides in einer Mitteilung.

Das Wirkprinzip von Maca beruht angeblich auf seinen "natürlichen dynamisch-biologischen Inhaltsstoffen". Klingt gut, sagt aber nichts aus, was nur konsequent ist, wenn es gegen alles helfen soll. Zunächst drohte die Maca-Mitteilung im Spam-Filter verlorenzugehen, in dem die Meldungen über Viagra aus dem Internet und Penisverlängerungen in Osteuropa hängenbleiben.

Doch Maca, die Pflanze, die laut Aussagen einer Heilpraktikerin aus Mittelfranken "der Casanova unter den liebestollen Knollen" ist, "regt nicht nur die weibliche Fruchtbarkeit an und erhöht die männliche Spermienproduktion". Maca kann offenbar mehr.

Weil das Grünzeug in Höhenlagen bis zu 4400 Metern vorkommt, und es dort mit der Nährstoffversorgung schon mal eng wird, kann es offenbar alle Organe des Menschen auf den Höhepunkt ihrer Leistungskraft bringen, nicht nur die untenrum und auch nicht nur, wenn die Luft dünn ist. Maca soll die unangenehmen Symptome der Menopause lindern wie die Folgen der Osteoporose. Gegen Müdigkeit und Depression hilft es angeblich auch, ebenso wird es zur Steigerung der psychischen wie körperlichen Belastbarkeit empfohlen.

Aus wissenschaftlicher Sicht ist das alles Unsinn. Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat längst festgestellt, dass sich die behaupteten Wirkungen nicht nachweisen lassen. Andererseits: Wie soll man sonst erklären, mit welch unermüdlicher Ausdauer die Panflöten-Jungs in den Fußgängerzonen seit Jahren "El Cóndor Pasa" und andere nervtötende Weisen aus dem lateinamerikanischen Kulturkreis zum Besten geben, ohne dass ihnen die Luft ausgeht.

Ach, Maca, trotz deiner 31 Mineralien und "nahezu aller Vitamine", die du angeblich enthältst, bist du doch nur ein weiterer exotischer Versuch im eitlen Streben nach dem Allheilmittel. Jeder Internist und Allgemeinmediziner kennt die Kassenschlager "Gerifix" und "Gerifix forte", mit denen alle Gebrechen älterer Menschen auf einen Schlag geheilt werden.

Sie sind nur einmal zu verabreichen, statt den täglich zwölf Tabletten in 19 Dosierungen, die den geriatrischen Krankenhauspatienten durchschnittlich zugemutet werden. Von Euripides, dem alten PR-Strategen, ist aber überliefert, was für Maca und alle Nutzennachweise in der Medizin gelten mag: "Die Zeit entlarvt den Bösen."

© SZ vom 27./28.3.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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