Medienkonsum von Kindern:Familie Sprachlos

Schon Kleinkinder verbringen heute 32 Stunden pro Woche vor Flimmerkisten. Wächst hier eine sozial verarmte Generation heran? Berichte vom täglichen Kampf um den Bildschirm.

Kinder und Jugendliche nutzen täglich das Internet, sie sehen immer länger fern und vertiefen sich in Computerspiele. Die vielen Stunden, die sie vor Bildschirmen verbringen, schaden den Beziehungen zu Eltern, Geschwistern und Freunden, wie jetzt neuseeländische Forscher belegten. Laut einer amerikanischen Studie verbringen schon Kinder im Alter zwischen zwei und fünf Jahren durchschnittlich bereits mehr als 32 Stunden pro Woche vor dem Bildschirm. Wächst hier eine zwischenmenschlich gestörte Generation heran?

Lesen Sie hierzu Berichte in der Süddeutschen Zeitung.

Der tägliche Kampf um den Bildschirm: Eltern und Kinder berichten. Zwei Protokolle.

Susanne Jürgensmeier und Tochter Nina: Als Psychotherapeutin hat Susanne einen eigenen Blick auf die Leidenschaft ihrer 14-jährigen Tochter. Nina hat einen Bruder, die Familie lebt in München.

"Sind das alles Legastheniker?"

Susanne Jürgensmeier: "Bei Nina ist das Internet das größte Problem. Ohne ein Limit würde sie ungebremst viele Stunden hintereinander chatten und surfen. Sie begibt sich gern in diese Stellvertreterwelten. Und ich würde sagen, dass sie sich mit Gleichaltrigen mehr via Chat austauscht als am Telefon oder im persönlichen Gespräch. Das finde ich schade, weil die Jugendlichen dabei nichts direkt erleben. Und wenn ich das manchmal lese, wundere ich mich über die Sprache und frage mich: Sind das alles Legastheniker? Der Austausch ist auch sehr einfach gehalten: "Was machst du?" - "Ich hänge nur ab".

Wenn beide gemeinsam abhängen, entwickelt sich vielleicht noch eine Idee, was man machen könnte. Aber wenn jeder für sich vor dem Rechner hockt, ergibt sich das nicht. Unter der Woche gibt es hier im Ort aber auch kaum Alternativen, besonders im Winter. Was soll man dann draußen machen? Nina hat auch nicht so richtige Hobbys, ist in keinem Verein. Ich habe sie zum Golf ein Mal die Woche verdonnert, weil sie irgendwas machen muss. Musik mag sie - aber das beschränkt sich eigentlich auf Videos bei Youtube. Ständig nachzuschauen, ob meine Tochter im Internet ist, fände ich nervig. Wir nutzen das Freeware-Programm ,Parents Friend‘ und vergeben damit Zeitfenster für die PC-Nutzung. Nina darf nur zwischen vier Uhr nachmittags und acht Uhr abends an den Rechner, außerhalb dieser Zeiten lässt er sich nicht hochfahren oder schaltet sich aus."

"Den iPod nehme ich mit ins Bett"

Nina, 14: "Ich finde die Zeitbegrenzung, so wie sie jetzt ist, ziemlich dämlich. Wenn ich zum Beispiel ein Referat ausarbeiten muss, brauche ich einfach mehr Zeit am Computer. Nach den Hausaufgaben langweile ich mich oft. Meine Schulfreunde wohnen weit verstreut. Sie zu besuchen lohnt sich eher nur am Wochenende. Aus meiner Klasse und meinem Freundeskreis chatten alle bei den Lokalisten und manche auch bei MSN. Wir sprechen über die Schule, erzählen was wir gemacht haben oder verabreden uns, um in die Stadt, ins Kino oder ins Schwimmbad zu gehen. Das Verhältnis zu meinen Eltern ist eigentlich sehr gut, ich kenne strengere Eltern als meine.

Differenzen gibt es schon mal, einen Tag lang vielleicht, aber das ist schnell wieder vom Tisch. Meine Mutter guckt mir oft neugierig über die Schulter, wenn ich bei den Lokalisten chatte. Ich schicke sie dann meistens raus; dann grinst sie, entschuldigt sich und geht. Sportspiele wie Boxen oder Skaten auf Wii finde ich ganz lustig, aber mache es nicht so oft. Wii spielen wir zum Beispiel, wenn wir Besuch mit jüngeren Kindern haben, mit denen wir nicht viel anderes anzufangen wissen. Meine Nachbarin, mit der ich schon von klein auf befreundet bin, hat eine Playstation, damit spielen wir öfter Singstar. Mein Handy habe ich immer dabei, auch weil meine Mutter mich immer erreichen können will. Auch meinen iPod benutze ich oft, abends nehme ich ihn sogar mit ins Bett und höre noch vor dem Einschlafen Musik."

Auf der nächsten Seite: Sandra Buchholz und Sohn Manuel

"Es ist fast unheimlich"

Sandra Buchholz und Sohn Manuel: Sandra kümmert sich alleine um ihre drei Söhne. Ihr ältester Sohn Manuel geht auf eine Münchner Hauptschule. Seit einem Jahr besitzt der 16-Jährige einen Computer.

"Es ist fast unheimlich"

Sandra Buchholz: "Ich bin alleinerziehend und arbeite tagsüber im Schichtdienst als Bürokauffrau. Maximilian, mein jüngster Sohn, interessiert sich mit seinen zehn Jahren noch überhaupt nicht für Computer. Dominik, 14, nur wenig. Ganz anders als sein Bruder Manuel, 16. Er war schon immer ein ruhiger Typ, aber seitdem ich ihm vor einem Jahr einen Laptop geschenkt habe, geht mir das Gespräch mit ihm richtig ab. Er sitzt ständig vor dem Bildschirm und sagt, er spiele meist Fantasy-Spiele. Mir fehlt manchmal die Zeit, das zu kontrollieren. Aber ich glaube ihm. Heute haben ja fast alle 16-Jährigen ein eigenes Gerät. Damit Manuel die Kommunikation mit uns nicht ganz verlernt, lege ich Wert auf das gemeinsame Abendessen.

Außerdem spielen wir sehr gerne abends noch Karten oder ein Brettspiel - auch, wenn das nach einem langen Arbeitstag für mich schon ziemlich anstrengend ist. Aber das muss man machen, denke ich. Sonst fühlt man sich nicht als Familie. Bevor Manuel einen Computer hatte, ging er viel mehr raus, traf Freunde oder unterhielt sich auch mal zwischendurch mit seinen Brüdern oder mir. Das ist anders geworden. Auch wegen der Playstation Portable, einer Art Gameboy, den Manuel oft benutzt. Gut, das ist seine Art von Freiheit. Als ich in seinem Alter war, da habe ich Freunde getroffen, bin oft rausgegangen oder habe telefoniert. Da ist es fast ein bisschen unheimlich zu sehen, wie sich Kinder heute zurückziehen."

"Ich kaufe mir jeden Monat ein Game"

Manuel, 16: "Genauso wie mein Bruder Dominik besuche ich eine Münchner Hauptschule. Ich würde gerne Bankkaufmann werden, aber weiß nicht, ob das klappt. Am Computer oder mit meiner PSP (Playstation Portable) kann ich mich von allen möglichen Dingen ablenken. Ich kaufe mir jeden Monat von dem Geld, das ich mit Jobs verdiene, ein neues Game. Besonders Fantasy-Welten interessieren mich. Anders als vielleicht meine Mutter meint, bin ich aber am Computer nicht ständig alleine. Ich verabrede mich dort mit Freunden, die auch bei sich zu Hause sitzen, um mit mir Canasta zu spielen. Auch meine 68-jährige Großmutter sitzt manchmal bei sich daheim vorm Computer und spielt mit mir Canasta.

Gut, am Wochenende gehe ich sie auch besuchen, schließlich wohnt sie um die Ecke. Dann spielen wir mit ihren richtigen Karten, das macht auch Spaß. Aber so haben wir noch viel regelmäßiger Kontakt, denn das Internet-Kartenspiel hat auch eine Chat-Funktion. Wir können uns also unterhalten. Man muss sich ja nicht die ganze Zeit in einem Zimmer gegenübersitzen, wenn man sich unterhält. Das geht heute virtuell, ich weiß gar nicht, wo da das Problem sein soll. Am Tag verbringe ich so zwei Stunden am PC - und wenn meine Mutter nach Hause kommt und mich um etwas bittet, dann schalte ich den Computer aus. Es ist gut, dass sie mit meinen Brüdern und mir nach dem Abendessen am Tisch sitzt und mit uns ein Brettspiel spielt. Das ist für mich das Schönste."

Lesen Sie hierzu Berichte in der Süddeutschen Zeitung.

Weitere Informationen und Kontakt zu Selbsthilfegruppen finden Betroffene und ihre Angehörigen unter anderem hier: http://www.aktiv-gegen-mediensucht.de/

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