Gleichberechtigung:Risiken und Nebenwirkungen von "Me Too"

Sexuelle Belästigung von Frauen

Ungefragt eine Hand auf dem Knie: Männer sind sich einer Studie zufolge sehr bewusst, wo Grenzen überschritten werden - und was sexuelle Belästigung ist.

(Foto: dpa)

Vor zwei Jahren machten Frauen im Zuge des Weinstein-Skandals weltweit Fälle von sexueller Belästigung öffentlich. Hat sich die Gesellschaft seitdem verändert? Eine Studie zeigt nun, dass wir uns eher wieder zurückbewegen.

Von Theresa Hein

Wie wird wohl in ein paar Jahren über "Me Too" gesprochen? Vielleicht fast gar nicht mehr, vielleicht erübrigt sich der Diskurs, weil ja dann absolute (gefühlte und faktische) Gleichberechtigung herrschen wird und die nachfolgenden Generationen ohnehin viel klüger werden als die vor ihnen. Realistisch ist das allerdings nicht (das mit der Gleichberechtigung, die Kinder werden natürlich trotzdem klüger als man selbst), und man wird über kurz oder lang die Frage beantworten müssen: "Und, hat das alles etwas gebracht?"

Über "Me Too", die Bewegung, die sich am Bekanntwerden von Missbrauchsfällen in Hollywood im Herbst 2017 entzündete, ist in den vergangenen zwei Jahren viel gesprochen und geschrieben worden, praktisch jeder hatte eine Meinung dazu, und wenn die Meinung in einer Distanzierung bestand. Durch die Zahl der Vorfälle gelang der Bewegung jedoch das, was vereinzelten Berichten über Belästigung so nie gelungen wäre - ein Aufschrei nach einer gesamtgesellschaftlichen Reform, nach Parität, gerade am Arbeitsplatz.

Da "Me Too" erst zwei Jahre alt ist, sind quantitative Erhebungen zur Bewegung noch sehr rar. Umso interessanter sind Zahlen, die tatsächlich eine Entwicklung nach der Entwicklung beschreiben. Wie die neue Studie von Leanne Atwater, einer Management-Professorin der Universität von Houston, USA. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie eine Studie zu den Auswirkungen von "Me Too" auf das Verhalten von Männern und Frauen am Arbeitsplatz veröffentlicht.

Bevor Atwater im Jahr 2018 ihre erste Studie zu den Auswirkungen von "Me Too" am Arbeitsplatz durchführte, räumte sie mit einem Mythos auf: dass Männer und Frauen angeblich unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was sexuelle Belästigung ausmacht. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bekamen noch vor den eigentlichen Fragen 19 Beispiele von sexistischen und diskriminierenden Verhaltensweisen am Arbeitsplatz vorgesetzt und waren sich in den meisten Fällen einig, wann es sich um sexuelle Belästigung handelte. "Die meisten Männer wissen ganz genau, was sexuelle Belästigung ist und was nicht. Die Vorstellung, dass Männer keine Ahnung davon haben, welches Verhalten falsch ist, und dass Frauen zu sensibel seien, stimmt ganz einfach nicht", sagt Atwater der Süddeutschen Zeitung.

Mehr als die Hälfte befürchtet, die sexuelle Belästigung werde weitergehen

Dann führte Atwater die Studie durch, in der die Teilnehmer Einschätzungen abgeben sollten, wie "Me Too" die Arbeitswelt verändern würde. Zwei Beispiele daraus: Mehr als die Hälfte der befragten Frauen befürchtete, die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz würde weitergehen, Männer würden sich nur weniger dabei erwischen lassen. 58 Prozent der Männer gaben an, die Angst, zu Unrecht der Belästigung beschuldigt zu werden, werde steigen.

Keine sehr positiven Prophezeiungen also, weder von den Männern noch von den Frauen. Anfang 2019 führte das Team um Atwater eine Nachfolgestudie zu "Me Too" durch, mit anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Diesmal fragte die Forschungsgruppe sie nicht mehr danach, wie "Me Too" ihrer Ansicht nach die Arbeitswelt verändern würde. Sondern nach konkreten Verhaltensweisen, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Arbeitsplatz erlebten.

Die neuen Studienergebnisse, die der SZ in einer Zusammenfassung vorliegen, weisen auf eine Nebenwirkung von "Me too" hin, die sich an zwei Beispielen verdeutlichen lässt: 21 Prozent der Männer gaben an, sie würden nur widerwillig überhaupt Frauen einstellen, wenn es um Jobs geht, bei denen diese viel mit Männern interagieren müssten (zum Vergleich: 2018 waren es bei der gleichen Frage noch 15 Prozent gewesen). Die neue Frage, ob sie berufliche Treffen vermeiden würden, bei denen sie mit Frauen alleine seien, beantworteten 27 Prozent der Männer mit Ja.

Vizepräsident Mike Pence trifft sich nie mit Frauen alleine, nur mit seiner eigenen

"Es sieht aus, als gehen wir einen Schritt zurück", sagt Atwater am Telefon, und zieht die amerikanische Bürgerrechtsbewegung als Vergleich heran: "Natürlich waren viele Weiße damals nicht gerade begeistert von der Aussicht, dass Schwarze die gleichen Rechte bekommen sollten wie sie selbst. Ich glaube, wir erleben im Zuge von 'Me Too' etwas Ähnliches: Es gibt eine Menge mächtiger Männer, die keine Lust darauf haben, die Freiheit aufzugeben, sich so zu verhalten, wie es ihnen beliebt."

In der ersten Umfrage erwarteten fast sechzig Prozent der Männer und immerhin rund 45 Prozent der Frauen, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz werde nach "Me Too" zurückgehen. Auf die Frage, ob sich tatsächlich am Arbeitsplatz etwas getan habe, antworteten die Teilnehmer im Jahr 2019 weniger positiv: Die Zahl der Befragten, die angaben, die Situation habe sich tatsächlich verbessert, war bei beiden Geschlechtern um rund 15 Prozent niedriger, als die Prognosen es waren. Die Frage, ob es weiterhin Männer in Machtpositionen gebe, die Frauen am Arbeitsplatz sexuell belästigten, beantwortete die große Mehrheit der Männer (69,3 Prozent) und Frauen (72, 6 Prozent) mit Ja.

Natürlich lassen sich diese Ergebnisse auch von der anderen Seite betrachten. Wenn 27 Prozent der Männer sagen, sie gehen Einzeltreffen mit Kolleginnen aus dem Weg, bleiben immer noch 73 Prozent der Befragten, die das nicht tun. Oder?

Atwater antwortet: "Schon. Andererseits ist das einer von vier. Wenn ich acht männliche Kollegen habe und zwei schließen mich aus, sind das zwei zu viel." Es gehe nicht darum zu verbreiten, dass alle Männer sich nicht kontrollieren könnten und Frauen belästigen. "Wir wissen alle, dass das nicht stimmt. Aber es geht eben um die Männer am Arbeitsplatz, die die psychische Gesundheit von Frauen gefährden, weil die Frauen durch ihre Erfahrungen zum Beispiel posttraumatische Belastungsstörungen davontragen. Da reicht ein Einzelner", sagt sie.

Es kommt vor, dass Männer "Me Too" als Ausrede missbrauchen

Es kommt also vor, dass "Me Too" von Männern als Vorwand missbraucht wird, um Parität zu behindern, als Ausrede dafür, Frauen nicht alleine zu Meetings zu treffen. Atwaters Studie verdeutlicht dies an Zahlen - und auch, dass es passiert, dass Männer sich mitunter selbst zu Betroffenen machen, anstatt sich mit den Strukturen zu beschäftigen, die sie mitverändern könnten. Ein bekanntes Beispiel ist der US-Vizepräsident Mike Pence. Der vereinbart generell keine Treffen mehr, bei denen er mit Frauen alleine ist, seine Ehefrau ausgenommen.

Der Mann, der seine Machtposition ausnutzt, ist weiterhin präsent, genauso wie es auch weiterhin Frauen gibt, die sich anderen Frauen gegenüber diskriminierend verhalten. Es ist, wie die Soziologin Paula-Irene Villa, Lehrstuhlinhaberin des Instituts für Soziologie und Gender Studies an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, sagt: "Teil des Problems ist, wer 'Me Too' nicht ernst nimmt und sich nicht angesprochen sieht - Teil der Lösung ist, wer sich interessiert, informiert, und wer an der Debatte konstruktiv teilnimmt." Man kann gar nicht genug darauf hinweisen.

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