"Me Too"-Debatte:Lächeln, Bein zeigen, drangsaliert werden

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Straßenszene in Tokio (Foto: AFP)

Auch in Japan und Südkorea ist die Debatte um sexuelle Übergriffe angekommen. Sie wirft ein Schlaglicht auf die verheerende Diskriminierung von Frauen in diesen Ländern.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Die "Me Too"-Bewegung hat Südkorea und Japan erreicht. In Seoul ging in dieser Woche die große Theaterkarriere von Lee Youn-taek abrupt zu Ende: Der Regisseur und Intendant des Nationaltheaters entschuldigte sich auf einer Bühne bei all jenen, "die in der Vergangenheit von mir geschädigt wurden. Ich schäme mich und bin betroffen." Er plane, sich jeder Bestrafung zu unterziehen, auch der juristischen, sagte der 66-Jährige, der sich bisher "Maestro" nennen ließ.

In den vergangenen Tagen hatten ihn mehrere Frauen bezichtigt, er habe von ihnen "Massagen" erzwungen, sie vergewaltigt, eine Frau sagt, sie sei von ihm schwanger geworden. Unter Pseudonym schrieb eine Schauspielerin: "Er war der König der Welt, in die ich gehörte." Wenn sie ihn zurückgewiesen hätte, hätte sie keine Rollen mehr bekommen. Lee stritt zuerst alles ab und sagte, er werde zu Unrecht beschuldigt. Dann gab er die "Massagen" zu. Mit dem Sex seien die Frauen einverstanden gewesen.

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In Japan trat schon im Januar Juichi Suezawa zurück, der Chef von Nippon Ham, eines der großen Lebensmittelkonzerne Japans. Er war im Oktober mit dabei gewesen, als einer seiner Manager am Flughafen Haneda in Tokio eine Airline-Angestellte mit Fragen nach ihren sexuellen Vorlieben belästigte. Die Fluggesellschaft beschwerte sich bei Nippon Ham, worauf Suezawa "aus persönlichen Gründen" den Hut nahm. Der wahre Grund für seinen Rücktritt wurde erst vorige Woche bekannt, ein Wochenblatt hatte einen Wink bekommen. Nippon Ham hat den "sehr bedauerlichen" Vorfall bestätigt. Aber die Firma deckt den damals angetrunkenen Manager, der die Frau belästigt hat.

Im Index zur Gleichstellung der Geschlechter, den das Weltwirtschaftsforum für das Jahr 2017 erstellt hat, steht Japan auf dem 111. Platz von 144 Ländern, Südkorea auf dem 116. Platz - weit hinter islamisch geprägten Ländern wie Aserbaidschan und Indonesien. Das ist umso dramatischer, als der Index auch die Bildungschancen und die Gesundheitsversorgung von Männern und Frauen einbezieht; Bereiche also, in denen die Japanerinnen und Koreanerinnen kaum benachteiligt werden. In der Wirtschaft hingegen haben die Frauen kaum Karrierechancen. Für die gleiche Arbeit erhalten sie im Schnitt ein Drittel weniger Lohn als Männer - aber meist bei gleicher Qualifikation nicht einmal die gleiche Arbeit.

Der japanische Premier Shinzo Abe spricht gerne von "Womenomics"; als Teil seines "Abenomics" genannten Programms zur Ankurbelung der Wirtschaft. Die Frauen sollen "glänzen", sagt er, lässt solchen Reden jedoch kaum Taten folgen. Um gleiche Rechte ging es dem Premier auch nie, der noch vor einigen Jahren meinte, die Frau gehöre ins Haus. In der Vorkriegszeit, die Abe in einem Buch als Vorbild für das heutige Japan darstellt, waren die Frauen rechtlich Haustieren und Sachen gleichgestellt. Ziel von "Womenomics" ist es vor allem, mehr Menschen für den Arbeitsmarkt zu mobilisieren.

Die jungen Japanerinnen sind im Schnitt besser ausgebildet als ihre männlichen Kollegen. Dennoch haben sie, wenn sie nach dem Studium in eine Firma eintreten, zumeist keine Chance auf eine Karriere. Nur die wenigsten Frauen werden auf die sogenannte Karriere-Spur gesetzt. Alle andern sollen Tee kochen, tippen, lächelnd in makellosen Uniformen an einer Rezeption stehen, Bein zeigen, mithin den Männern zuarbeiten. Und wenn sie heiraten, oder spätestens wenn sie schwanger werden, sollen sie gefälligst kündigen. Das steht zwar nirgends geschrieben, das Gesetz verbietet derartige Diskriminierung - doch die Wirklichkeit hält sich nicht ans Gesetz, und die Männer im mittleren und oberen Management schon gar nicht. Viele dieser "OB", Old Boys, wie man sie im Japanischen zuweilen nennt, behandeln die "OL", Office Ladies, im besten Fall als Dienstpersonal. Oft jedoch schlimmer: In einigen Fällen von "Karoshi", Tod durch Überarbeitung, wurden weibliche Opfer nicht nur als Arbeitskräfte ausgebeutet, sondern auch sexuell drangsaliert.

Premier Abe weiß die konformistische japanische Gesellschaft hinter sich, wenn er meint, junge Mütter gehörten ins Haus. Will eine junge Frau trotzdem arbeiten und ist ihr Arbeitgeber einverstanden, dann muss sie sich nicht nur gegen die Vorurteile ihrer Kollegen durchsetzen, sondern auch gegen jene anderer Mütter. Und oft ihrer eigenen Schwiegermutter.

Selbst hoch qualifizierte Frauen können nach einer Kinderpause nicht in ihren Job zurückkehren, ihre bisherige Firma will sie meist nicht mehr. Rückkehrerinnen müssen sich deshalb in der Regel mit OL-Jobs oder Arbeit an einer Ladenkasse begnügen. In Japan arbeiten inzwischen zwei Drittel aller Frauen zumindest Teilzeit. Aber die Art, wie sie eingesetzt werden, ist eine Verschwendung von Ressourcen. Das hat auch Abe erkannt. "Womenomics" soll dies ändern - nicht etwa den Frauen zu mehr Rechten helfen.

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Viele Japanerinnen werden nicht erst am Arbeitsplatz belästigt: Im vergangenen Jahrzehnt gab es so viele Klagen über Grapscher, die in den oft überfüllten U- oder S-Bahnen Frauen belästigen, dass die meisten Linien in Tokio nun während der Spitzenzeiten Wagen nur für Frauen führen. Laut einer Studie der Regierung erstatten in Japan nur 4,3 Prozent der Opfer sexueller Gewalt Anzeige. Den meisten ist das Risiko zu groß, von der Polizei, den Ärzten oder den Medien nicht ernst genommen, sondern zusätzlich geplagt zu werden, wie die Tageszeitung Asahi schrieb. Es gibt auch kaum Opferbetreuung. Überdies war sexuelle Gewalt bis zum vorigen Jahr ein Antragsdelikt; ohne Anzeige eines Opfers konnte die Staatsanwaltschaft gar nicht ermitteln.

Allerdings hatte die "Me Too"-Bewegung in Japan ein Gesicht, bevor sie in den USA Aufsehen erregte. Die junge Journalistin Shiori Ito beschuldigt den bekannten TV-Korrespondenten Noriyuki Yamaguchi, der gerne damit prahlt, ein Freund von Abe zu sein, sie 2014 bei einem Bewerbungsgespräch vergewaltigt zu haben. Die Polizei glaubte ihr, zumal es Indizien gab, und schickte Beamte zum Flughafen Narita, als Yamaguchi aus den USA zurückkehrte. Sie sollten ihn verhaften. Doch Minuten vor der Verhaftung intervenierte der Chef der Tokioter Kriminalpolizei, Itaru Nakamura - ein ungewöhnlicher Vorgang. Yamaguchi blieb frei.

Nakamura hat enge Beziehungen zu Abes Sprecher, Kabinettssekretär Yoshihide Suga. Ito jedoch suchte, das ist in Japan einmalig, mit ihrem Fall die Öffentlichkeit. Und da Yamaguchi strafrechtlich nicht belangt wird, hat sie einen Zivilprozess angestrengt. Dort soll auch aufgeklärt werden, ob Yamaguchi von Abes Leuten gedeckt wurde. Yamaguchi behauptet, "nie etwas Illegales" getan zu haben. Die Regierung schweigt zu diesem Fall.

Shiori Ito und die koreanischen Schauspielerinnen sind Ausnahmen, der Nippon-Ham-Chef mit seinem Rücktritt ebenfalls. In Japan sei es unwahrscheinlich, meint der Politologe Koichi Nakano von der Tokioter Sophia-Universität, dass "Me Too" zu einer großen Bewegung werde. Der Konformitätsdruck und die eng geflochtenen Firmenstrukturen verhindern es, dass Leute Übergriffe öffentlich machen. Das bisher ähnlich patriarchalische Südkorea scheint eher bereit zum Wandel zu sein.

© SZ vom 22.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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