"Me too"-Debatte:Einvernehmlichkeit ist kein Feind des Eros

Rodin

"Der Kuss" von Auguste Rodin: ein Symbol inniger Liebe.

(Foto: dpa)

Die "Me too"-Debatte ebbt nicht ab - und im Kino läuft bald wieder "Fifty Shades of Grey". Das ist kein Widerspruch: Von den Regeln des BDSM lässt sich einiges über faire sexuelle Begegnungen lernen.

Von Charlotte Theile

Seit Monaten redet die Welt davon, was übergriffig, was strafbar und was einfach nur Ungeschicklichkeit ist im Miteinander der Geschlechter. Und im Kino? Freut sich vom 14. Februar an wieder eine junge Frau, dass sie ausgepeitscht wird. Dann wird nämlich der neue Film aus der "Fifty Shades of Grey"-Reihe zu sehen sein.

Es ist ein Gegensatz, der einen lange eingeübten Reflex auslöst: Versteh einer die Frauen. Andere denken an Sigmund Freud, vermuten einen Widerspruch zwischen dem Ich, das mit kritischem Verstand ausgestattet ist und dem unterbewussten Es, das andere Bedürfnisse hat. Bedürfnisse, die nicht in eine Welt zu passen scheinen, in der schon ein Flirt im Büro unter genauer Beobachtung steht.

Doch die "Me too"-Debatte und der Trend zu BDSM, also jenen Spielarten, die mit Fesseln, Schlagen, Unterwerfung und Dominanz zu tun haben, stehen nicht im Widerspruch zueinander. Im Gegenteil. Sie haben einen gemeinsamen Nenner, einen Grundsatz, ohne den nichts geht: Einvernehmlichkeit.

Viele der Ideen, die jetzt diskutiert werden, kommen aus dem BDSM. Etwa der Vorschlag, dass alle Beteiligten vor dem Sex über das sprechen, was passieren soll, dass sie es vielleicht sogar in einem Vertrag festhalten. Beide Seiten müssen genau wissen, was sie tun - und zu jedem Zeitpunkt einverstanden sein, mit dem was geschieht. Und: Einer der Standards dieser Spielart ist das Safeword: Ein vereinbarter Begriff, der, wenn er ausgesprochen wird, die Sache sofort beendet.

Als Schweden vor einigen Wochen ein neues Gesetz einführte, gab es einen Aufschrei. Ein "Vertrag für Sex", das war für viele, die die schwedische Regelung absichtlich missverstanden, der Gipfel der Absurdität. Unromantisch, bürokratisch, weltfremd.

Angriff auf die Sexualität

Es ist daher kein Zufall, dass die prominenten Frauen um Catherine Millet und Catherine Deneuve, die in der vergangenen Woche in der französischen Tageszeitung Le Monde einen offenen Brief veröffentlichten, die "Me Too"- Bewegung als Angriff auf das Unterbewusste, Triebhafte, ja auf die Sexualität an sich verstanden haben. Einige Zeitungskommentare wiesen nicht ohne Freude darauf hin, dass Catherine Deneuve einen ihrer frühesten Erfolge 1967 mit dem Film "Belle de Jour" (dt.: Schöne des Tages) von Luis Buñuel hatte. Darin spielte sie eine gelangweilte Ehefrau, die davon träumt, gefesselt, geschlagen und ausgepeitscht zu werden.

Vielleicht ist der gegenwärtige BDSM-Trend in der Popkultur das beste Beispiel, um diesen Irrtum aufzuklären. Denn was beim BDSM gilt, gilt für jede sexuelle Begegnung. Einvernehmlichkeit macht die Sache nicht weniger aufregend, nicht weniger faszinierend - und auch nicht weniger verstörend. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn man sich traut, wirklich ja zu sagen zu einer Begegnung, aber auch zu den eigenen Wünschen, kann Freiheit entstehen. Und auch der Widerspruch zwischen triebhaftem Unterbewusstem und vernunftbegabtem Ich löst sich auf. Wer auf diese Art Sex haben will, muss wissen, was er will und es kommunizieren können.

Wie hoch diese Ansprüche sind, zeigt sich am Publikumsliebling "Fifty Shades of Grey". Obwohl Christian Grey einen Vertrag mit Anastasia abschließt, ist die Geschichte in der BDSM-Szene nicht beliebt. Der Milliardär Grey übe Druck auf die Studentin aus, versuche sie mit Geschenken zu kaufen und nehme zu wenig Rücksicht auf ihre Bedürfnisse, lautet die Kritik. Mit anderen Worten: "Fifty Shades of Grey", immer mal wieder als übertrieben saubere Hochglanz-Romanze geschmäht, ist vielen echten Sado-Masochisten nicht einvernehmlich genug.

Es geht nicht darum, erwachsenen Menschen den Spaß zu verderben. In den USA, wo diese Debatte schon lange geführt wird, ist oft von "two consenting adults" die Rede, zwei einvernehmlich handelnden Erwachsenen. Das ist eigentlich keine besonders krasse Anforderung.

Wenn Brigitte Lahaie, frühere Pornodarstellerin und Mitunterzeichnerin des Millet-/Deneuve-Briefs, in einer TV-Diskussion sagt, man könne "auch bei einer Vergewaltigung kommen", klingt etwas ganz anderes an. Ein Verständnis von männlicher Sexualität, die sich nicht die Mühe macht, zu kommunizieren, die es nicht für notwendig hält, das Gegenüber als Mensch mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen wahrzunehmen. Dahinter steht ein Missverständnis, im Falle von Lahaie offenbar ein Jahrzehnte altes Missverständnis: Dass Männer nun mal so sind. Und dass Frauen eigentlich nur zwei Möglichkeiten haben: Entweder sie verweigern sich oder sie machen das Beste draus. Vielleicht kommt man ja sogar.

Dass es auch anders sein könnte, dass Menschen lernen können, sich aufeinander einzulassen, Rücksicht zu nehmen und ihre Bedürfnisse so zu leben, dass niemand Schaden nimmt: Auf diese Idee scheinen die Unterzeichnerinnen nicht zu kommen.

Freiheit entsteht da, wo man selber entscheidet. Wo man sich einlassen kann, auf was auch immer. Dazu gehört das Recht, zu jedem Zeitpunkt nein zu sagen - oder ein vorher vereinbartes Safeword.

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