Maradona-Double Abi Atici:Das Leben des anderen

Zigarre im Mund, Stecker im Ohr, große Sonnenbrille im Gesicht: Abi Atici aus Ditzenbach verdient sein Geld damit, auszusehen, zu gehen und zu unterschreiben wie Fußballgott Diego Maradona. Sein Job ist Berufung, Seelenverwandtschaft - und manchmal auch ein bisschen zu viel.

Lena Jakat

Diego Armando Maradona steht hinter der Seitenlinie. Die Arme verschränkt, die Beine fest auf dem Rasen gestemmt, wie einbetoniert. Ein Spieler im blauen Trikot schafft es mit letzter Kraft vom Feld, macht Platz für einen Auswechselspieler. Die massige Hand Gottes trifft ihn anerkennend am Schulterblatt.

Doch es sind nicht die Spieler von Al-Wasl, die da über den Rasen joggen, sondern fast in Vergessenheit geratene Alt-Profis und andere Unbekannte. Sie bestreiten hier auch kein Spiel der Pro-League aus den Emiraten, sondern ein Wohltätigkeitsmatch zugunsten der örtlichen Pestalozzi-Schule. Und Maradona ist nicht Maradona. Der Mann mit dem grauen Anzug, der riesigen Sonnenbrille und den Ohrsteckern, die in der Sonne blinken, ist Abdulkadir Atici. Kurz: Abi. Ein Sportfachverkäufer aus Bad Ditzenbach auf der Schwäbischen Alb.

Abi verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Leben eines anderen. Damit, auszusehen, zu gehen, zu stehen, zu gestikulieren wie der große Diego Maradona. Anfang der achtziger Jahre - Maradona ist da gerade mit den Boca Juniors Landesmeister geworden - sprechen Klassenkameraden Abi in der Berufsschule auf seine Ähnlichkeit zu dem Wunderknaben aus Argentinien an. Bei einem Rucksackurlaub in der Türkei fordern der Schwabe und seine Kumpels in Abis Geburtsort Iskenderun die örtlichen Kicker zu einem Fußballspiel heraus. Die halbe Stadt kommt zum Platz.

Doch einer spielt nicht mit: Der vermeintliche Maradona steht an der Seitenlinie und gibt Autogramme. Das tut er bis heute.

Fußbälle, Trikots, nackte Kinderarme recken sich Abi an diesem Sommertag in Vaterstetten bei München entgegen. Ein ums andere Mal setzt er den Edding auf: "für Linus", "Maria" und "Leon" immer mit der Signatur Maradonas. Haut wie Leder sind geduldig.

Etwas abseits, auf einer Gartencouch in Rattan-Optik sitzen die Jungs vom SC Baldham, die Gesichter rot vom Spiel, die Stulpen gelockert. In den Händen halten sie Autogrammkarten, vorne Diego, hinten Werbung für einen schwäbischen Schnapsvertrieb. "Meint ihr, der ist echt?", fragen sie sich gegenseitig. Einmütiges Nicken. Nur eines der Kinder überlegt eine kleine Weile und sagt dann: "Ob sich das für den lohnt? Den ganzen Weg hierher für die paar Autogramme?"

Sprache zerstört Illusion

"Es ist eigentlich egal, ob die Leut' mich für Maradona halten oder nicht", sagt Abi. "Für alle, die es glauben, ist das wie Weihnachten. Die anderen machen trotzdem ein Foto mit mir und stellen das bei Facebook rein." Wenn Abi anfängt zu sprechen, zerbricht die Maradona-Illusion binnen Sekunden: Da ist kein kehliges "j", kein gerolltes "r", stattdessen viel "sch" und "oi". Er schwäbelt, wie jemand schwäbelt, der auf der Alb aufgewachsen ist.

Was die Faszination an Doppelgängern und Imitatoren wie ihm selbst und Matze Knop ausmacht? "Die Leut' können so ihren Idolen ganz nah kommen, Menschen, denen sie sonst nie begegnen würden."

1989 sitzt Atici beim FC Bayern im Stadion. Es geht gegen den SSC Neapel, Maradonas damaligem Klub. Beim Mannschaftstraining sind alle Spieler auf dem Platz - nur die Hoffnung aus Argentinien fehlt. Die Fans entdecken Atici, fangen an zu singen und zu jubeln. Spätestens seit diesem Tag sind Abis und Diegos Leben untrennbar miteinander verbunden.

Der 47-jährige Schwabe lernt, wie Diego zu gehen, wie er die Arme zu verschränken. Er lässt sich die gleichen Tattoos stechen - Fidel Castro, Che Guevara, die Namen seiner (eigenen) Kinder: Franziska - und Diego. Als Maradona sich in einem seiner schlechteren Momente die Haare blondiert, greift auch Abi zu Wasserstoffperoxid. Er gewöhnt sich ans Zigarrenrauchen. Nur die Drogeneskapaden und die Gewichtsschwankungen Diegos hat er nie mitgemacht.

Zur Weltmeisterschaft 2010 kehrt Diego als Nationaltrainer seines Heimatlands auf die Weltbühne zurück - mit Vollbart. Abi hört auf sich zu rasieren. "Ich möchte schon identisch sein", sagt er. Für Diego betreibt er einen Perfektionismus, der ihm sonst fremd ist. "Wir haben sogar dieselben grauen Stellen im Bart. Das ist schon ein Phänomen."

Seelenverwandtschaft und Geschäftsmodell zugleich: Die Ähnlichkeiten zwischen dem Weltfußballer und dem Kreisliga-Kicker enden nicht beim Äußeren. Etwa zur gleichen Zeit erleiden beide Männer zwei Herzinfarkte. Als Abi nach einer Knie-OP an Krücken läuft, baut Maradona wenig später einen Unfall, stößt sich das Knie und greift ebenfalls zu Gehhilfen.

Nach der Jahrtausendwende geht Maradonas Ehe mit Claudia Villafañe in die Brüche - und die von Abi. "Ich habe damals beschlossen: Ich zieh das Ding mit Diego jetzt durch, für mich", sagt er heute. Sein offenes Doppelleben hat nicht nur seine Ehe zu schwer belastet. "Für die Kinder war das oft nicht so cool, die wollten lieber ihren Papa haben, nicht Diego."

Sein Job als Double ist für ihn auch Berufung. Er sagt Dinge wie "Der liebe Gott hat mir nun mal dieses Aussehen gegeben" und "Jeden Tag, wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich Diego."

Und Diegos Fans sehen ihn. Nach ein paar Stunden werden am Spielfeldrand in Vaterstetten die Autogrammkarten knapp, eine Bekannte muss Nachschub aus dem Auto holen. 500 Stück sind knapp bemessen für eine Nachmittagsveranstaltung wie diese.

Jetzt, zur Europameisterschaft, ist Abi gut im Geschäft: Einweihung einer Fußballschule, eine Veranstaltung mit Paul Janke, dem Bachelor von RTL, Auftritte in Talkshows. "Da muss man mitnehmen, was geht", sagt er. Im Sommer will er es mal auf Mallorca probieren, am Ballermann.

Auch wenn es sich damit nicht reich werden lässt: Er genießt es, rauszukommen aus seinem Dorf, in VIP-Lounges herumzustehen und Promis zu treffen. Kürzlich war er zu Boris Beckers Hochzeit eingeladen - als Gast, als Abi. Der echte Tennisstar und die falsche Fußballlegende sind seit einem Promi-Turnier befreundet.

Was sagt Diego dazu?

Aus den Lautsprechern unterhalb der stockfleckigen Markisen des Vaterstettener Stadions plärrt es nach Diego. "Die Blauen verlieren ihren Vorsprung", kommentiert der Stadionsprecher, der mit seinem Funkmikrofon nervös am Spielfeldrand auf und ab hetzt. "Was sagt Trainer Diego dazu? Wo steckt er überhaupt?" Abi murmelt in sauberstem Schwäbisch ein paar ausweichende Floskeln ins Mikrofon. "Grazie", sagt der Sprecher. Für ihn, für Bekannte, vielleicht ein bisschen für sich selbst spielt Abi nicht nur Diego, er ist es.

Abi Atici Diego Maradona Double

Abi Atici gleicht Diego Maradona bis hin zum Fidel-Castro-Tattoo. Nur die Namen seiner eigenen Kinder hat er sich statt Diegos Nachwuchs auf die Unterarme tätowieren lassen. "Das wäre sonst unfair", sagt Abi.

(Foto: Lena Jakat)

Und für den echten Diego?

Vorbild und Abbild sind sich das erste Mal auf einem kubanischen Golfplatz begegnet. Maradona war ziemlich weit unten, Drogen- und sonstige Eskapaden hatten ihre Spuren hinterlassen. Abi flog in die Karibik und sprach ihn einfach an. "Er hatte Tränen in den Augen", erinnert sich Atici. "Er hat in mir eine jüngere Version von sich selbst gesehen. Das war wirklich herzzerbrechend." Tränen flossen auch, als Atici einmal Familie Maradona in Buenos Aires besuchte.

Das mag tatsächlich an dem einzigen offensichtlichen Unterschied zwischen Abi und Diego liegen: Das Gesicht des Sportartikelverkäufers lacht, wenn er spricht, ein gewöhnlicheres Leben hat dort gewöhnlichere Spuren hinterlassen. "Ich habe Diego immer gut aussehen lassen, auch wenn er ganz unten war", sagt sein Doppelgänger. Wie Diego und sein Verhalten gerade ankommen, hat er immer am eigenen Leib gespürt. "Wenn er was Tolles gemacht hat, haben mir die Leut' auf die Schulter geklopft, wenn er Scheiß gebaut hat, musste ich mir auch das anhören."

Wieder muss Diego sich selbst unterbrechen, wieder hat sich eine kleine Gruppe um den kleinen Mann gebildet. Er soll lächeln, Autogramme geben, posieren. Diesmal hebt er die Hände, wie Diego, halb abwehrend, halb abwinkend. "No, no", sagt er bestimmt und es klingt tatsächlich spanisch, immer wieder, bis die jungen Fans murrend umkehren. Die geborgte Autorität eines Weltstars. "Das gehört auch dazu, so abweisend und arrogant zu sein. Auch wenn mir das innerlich wehtut. Ich würde am liebsten alle umarmen."

Aber nicht immer. Manchmal, sagt Abi, frage er sich schon, wie Diego diesen Rummel jeden Tag aushalte. "Ich muss das ja auch ständig hören - Diego! Diego! - ob ich will oder nicht."

Wenn Abi-Diego auf Massenveranstaltungen unterwegs ist, auf dem Münchner Oktoberfest zum Beispiel, hat er einen Bodyguard dabei. Weil dann die Show funktioniert, aber auch, weil er ihn braucht. Betrunkene Diego-Fans versuchen im Bierzelt schließlich schon mal, auf die Empore zu klettern.

Manchmal würde er gerne in Ruhe im Supermarkt einkaufen, sagt Abi. Oder in Zivil zum Geburtstagsfest eines Bekannten kommen. "Wenn sie mich dann bitten: Komm doch als Diego!, denke ich mir schon: Du bist doch mein Freund." Es klingt fast so, als würde er sein Alter Ego insgeheim auch mal gern verfluchen. Doch das Schrillen einer Pfeife schneidet den Moment ab.

Das Benefizspiel ist zu Ende, die Blauen und die Roten haben jeweils fünf Tore geschossen. Verschwitzte Männer fallen sich in die Arme. Diego ist von seinem Platz hinter der Seitenlinie längst verschwunden und in der Jubeltraube abgetaucht. Seine Arbeit machen, Schultern klopfen.

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