Mailänder Modewoche:Der diskrete Charme der Bourgeoisie

Schuppenkleider, die an Koi-Karpfen erinnern, Pullis im Skifahrerstil und Techno-Materialien: Die Mailänder Schauen für Herbst/Winter 2011/12 verpassen dem neuen Minimalismus ein Luxusgewand.

Peter Bäldle

"Milano Loves Fashion" steht zwar auf kleinen Fahnen an den Geschäften im Zentrum, aber eigentlich müsste es heißen: Mailand atmet Mode. An allen Ecken und Enden der Stadt lockt ein Plakat oder ein Schaufenster mit den großen Designernamen. Mode ist hier so selbstverständlich wie die Frage des Taxifahrers nach der neuen Armani-Kollektion. Steckt mehr dahinter als merkantiles Interesse? Ist es nicht doch einfach die Freude an schönen Dingen?

Mailänder Modewoche: An einen Koi-Karpfen erinnert dsa Schuppenkleid von Miuccia Prada, deren mädchenhafet Kollektion begeistert gefeiert wurde.

An einen Koi-Karpfen erinnert dsa Schuppenkleid von Miuccia Prada, deren mädchenhafet Kollektion begeistert gefeiert wurde.

(Foto: AP)

Im Idealfall verschmilzt beides, wenn etwa Tod's seine Noppenschuhe und Taschen wie Stillleben inszeniert in den eleganten Räumen der Villa Necchi Campiglio aus den dreißiger Jahren. Fast ehrfurchtsvoll schreitet man später die Marmortreppe hoch im Palazzo Gallarti Scotti, an einem barocken Papstportrait in Lebensgröße vorbei.

Dort präsentiert Maurizio Pecoraro an zehn lianenschlanken Chinesinnen eine paillettenfunkelnde Cocktailphantasie im Shanghai-Look der zwanziger Jahre. Und dann wieder sitzt man unter Tiepolos herrlichem Deckenfresko im Palazzo Clerici und bewundert die ausgereifte Schnitttechnik des jungen Gabriele Colangelo.

Dass sich die Stadt in diesem Ausmaß der Mode öffnet, ist Letizia Moratti zu danken, der Bürgermeisterin der lombardischen Metropole, die selbst mit gutem Beispiel vorangeht. Für ein langes Wochenende stellt sie den Barocksaal ihres Amtssitzes, des Palazzos Marino, für eine Ausstellung zur Verfügung, die dem achtzigjährigen Meistersticker Pino Grasso gewidmet ist. Wohin man blickt, blitzen Pailletten, schimmern Perlen, Muscheln und Korallen, um die Roben von Valentino oder Versace zu adeln.

Pailletenschuppen und japanische Koi-Karpfen

Umso schmuckloser und klarliniger präsentieren sich vor diesem Hintergrund die Kollektionen der Designer für Herbst/Winter 2011/12. Ein neuer Minimalismus beherrscht deren Mode. Doch wer nun an karge Formen und triste Farben denkt, irrt. Zwar ist der Funke von Paris übergesprungen, interpretiert wird das Thema aber "alla Milanese". Das heißt: reiches Kolorit, edle Stoffe, raffinierte Schnitte und vor allem Nobelpelze, um alles üppig zu verbräumen. Kaum zu glauben, dass für Alberta Ferrettis strenge, graue Trapezmäntelchen und schlichte Tuniken, auf denen smaragdgrüne Laminatdrucke metallisch glänzen, Pierre Cardins grafische Entwürfe aus den sechziger Jahren Pate stehen.

Ohne Anleihen bei vergangenen Jahrzehnten kommt auch Miuccia Prada nicht aus. Sie lässt sich von den zwanziger Jahren inspirieren für gerade Hängerkleidchen mit breitem Kontrastgürtel auf der Hüfte überm kniefreien Faltenrock. Konsequent begleiten halbhohe Stiefel mit klobig-dickem Absatz auch die camparirot oder absinthgrün schimmernden Cocktailkleider aus großen Paillettenschuppen - man fühlt sich an japanische Koi-Karpfen erinnert.

Bienenkorbfrisuren und Pumps

Wie unterschiedlich Mailands neuer, luxuriöser Minimalismus in Szene gesetzt wird, zeigt sich auch bei Jil Sander. Chefdesigner Raf Simons ließ sich von Skimode inspirieren - mit hüftkurzen Pullovern, eng anliegenden Strickkapuzen und messerscharf geschnittenen Keilhosen, wie sie einst Maria Bogner erfand. Schwarz verleiht den Silhouetten etwas Scherenschnitthaftes, vor deren Hintergrund Primärfarben wie Gelb und Blau gerade zu explodieren. Unglaublich modern sind ovale Kleider aus weichen Wollstoffen und schlichte, durchgezippte Anorakjacken aus Techno-Materialien.

Die Couture der frühen sechziger Jahren nimmt Tomas Maier aus dem schwäbischen Pforzheim für das Traditionshaus Bottega Veneta ins Visier. Bienenkorbfrisuren und fersenfreie Pumps begleiten klarlinige Wollkostüme in Chanel-Tradition. Sie umweht der "diskrete Charme der Bourgeoisie" mit Hilfe grobgewebter Möbelbezugsstoffe in sacharinsüßen Farben. Dazu passen auch die verrußt aussehenden, perlgrauen Seidenkleider unter schwarzen Spitzennegligés.

Nur eine lässt der Minimalismus ziemlich kalt: Angesichts des 90-jährigen Firmenjubiläums bewegt sich Frida Giannini für Gucci lieber auf sicherem Boden und besinnt sich auf Yves Saint Laurents Glamour-Jahre in den Siebzigern. Warum sie aber ausgerechnet knielange Hosenröcke zu hochhackigen Stiefeln kombiniert, bleibt vorerst ihr Geheimnis. Dafür waren die taillenkurzen Pelzjacken aus verschwenderisch verarbeiteten Fuchsfellen in Purpur oder Malachitgrün umso opulenter. Und Yves' brave, wadenlange Schluppenkleider aus halbtransparenten, feuerroten Flatterstoffen waren so sexy wie noch nie.

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