Süddeutsche Zeitung

Magersucht:Vererbe ich meiner Tochter die Magersucht?

Lesezeit: 2 min

Fritzi Schwarz war früher essgestört, nun beobachtet sie bei ihrer Tochter beunruhigende Symptome. Für "SZ Familie" forschte sie deshalb nach, wie Eltern Essverhalten und Körperbild ihrer Kinder prägen.

Von Mareen Linnartz

Kinder sind, mal mehr, mal weniger, immer auch das Spiegelbild von einem selbst. In kurzen Momenten spürt man das: Wenn sie sich plötzlich ähnlich bewegen. Sie einen Satz sagen, den man so genauso sagen würde. Wenn sie eigene Vorlieben teilen.

Manchmal sieht man in ihnen aber auch sich selbst und man wünscht sich dringend, es wäre nicht so. Unserer Autorin Fritz Schwarz ist es so ergangen. Sie beobachtete, wie ihre neunjährige Tochter vor dem Spiegel stand, am Bauch ein Stück Haut in die Hand nahm und sagte: "Das ist dick!" In dem Moment bekam sie Angst.

In der Geschichte für die neue Ausgabe von Süddeutsche Zeitung Familie beschreibt Fritzi Schwarz sehr ehrlich und berührend darüber, wie sie als Teenager schwer essgestört war. Und wie sie plötzlich die Erinnerungen von damals einholen, weil sie in großer Sorge ist, ihrer Tochter könnte das gleiche passieren: "Ich träume nachts seit kurzem von Szenen aus meiner Teenagerzeit, die ich völlig vergessen hatte: Ich sitze vor einem Teller, auf dem nur ein Fischstäbchen liegt. Ich trinke gläserweise dickflüssigen Kakao, weil der das Kotzen leichter macht."

Was Fritzi Schwarz hatte, war eine ernsthafte Erkrankung. Zehn Prozent aller Magersüchtigen sterben daran. Sie schreibt: "Schon bei dem Gedanken, meine Tochter könnte mit sich selbst so brutal umgehen, wie ich mit mir jahrelang, könnte ich weinen. Meine Essstörung liegt inzwischen etwa 20 Jahre zurück, es ist schwierig, den Anfang und das Ende genau zu datieren. Aber zehn Jahre lang war ich wohl krank. Es gab Phasen, in denen ich mal nicht hungerte und kotzte, dann wieder welche, in denen sich alles ums Essen drehte."

Eine Esstörung hinter sich zu lassen, ist nicht einfach. Etwa ein Drittel der Erkrankten wird sie nie los, für die meisten Betroffenen bleiben Ernährung und Körperbild zumindest empfindliche Themen: Sie achten auf ihr Gewicht, vermeiden Zucker, finden sich unattraktiv. Unsere Autorin glaubte, zu denjenigen zu gehören, die ihre Essstörung unbeschadet hinter sich gelassen haben: "Ich esse, worauf ich Lust habe. Ich weiß schon seit Jahren nicht mehr genau, was ich wiege. Ich bin gesund." Dann sah sie ihre Tochter wütend vor dem Spiegel stehen.

Die Neunjährige ist angepasst und ehrgeizig, das ist angenehm für die Eltern, weil ihnen viele Alltagskämpfe erspart bleiben. Doch es ist auch ein Alarmzeichen, findet Kinderpsychiater Michael Schulte-Markwort, Autor des Buchs "Kindersorgen". Er hat viele essgestörte Jugendliche behandelt und erklärt der Mutter: "Was Ihre Tochter zeigt, ist noch nicht behandlungsbedürftig, aber ihr disziplinierter Umgang mit Essen und der überkritische Umgang mit ihrem Körper zeigen durchaus erste Vorzeichen einer Ess­störung."

Fritzi Schwarz beginnt, Fragen zu stellen: Wie sehr wirken ihre Erfahrungen aus der Vergangenheit auf die Erziehung ihrer eigenen Tochter heute? Welches Körperbild vermittelt sie als Mutter und Frau? Schaut sie sich manchmal selbst so kritisch im Spiegel an? Hat sie ihrer frühere Krankheit wirklich so komplett hinter sich gelassen, wie sie immer dachte? Wie geht sie in ihrer eigenen Familie heute mit Ernährung um? Warum nur ist die Tochter so irrsinnig diszipliniert? Überträgt sie das jetzt auch auf ihren Körper?

Unsere Autorin erzählt von der Beziehung zu ihrer Tochter und hinterfragt sie auch, sie zieht Experten zu Rate und liest Studien zum Thema, von denen die meisten bestätigen, was sie befürchtet: dass ehemals essgestörte Eltern ihre Probleme oft an ihre Kinder weitergeben. Und sie beschreibt sehr offen von ihrem Bemühen, ihre Tochter zu schützen. "Inzwischen wünsche ich mir einfach, dass sie früher als ich erkennt: Ihr Körper ist keine Last, von der sie sich befreien muss."

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