Süddeutsche Zeitung

Männer und Erziehung:Vater unser, der du bist im Meeting

Die Männer kümmern sich nicht um die Kinder, jammerten die Frauen früher. Jetzt tun sie es - und nerven trotzdem. Warum? Weil die neuen Väter vor allem in einem Punkt großartig sind: in der Selbstdarstellung.

Jeanne Rubner

Als neulich der Kollege L. seine kleine Tochter mit in die Redaktionskonferenz brachte, waren die Männer voller Bewunderung. Sie beglückwünschten ihn zu dem süßen, blonden Mädchen. Der Chefredakteur lächelte freundlich und begrüßte demonstrativ den Kollegen und seine "kleine Assistentin". Die Frauen aber verdrehten die Augen und überlegten, was die Männer wohl gesagt hätten, wenn eine von ihnen ihren Nachwuchs ins Büro geschleppt hätte? Überfordert, die Gute, kriegt offenbar die Kinderbetreuung nicht auf die Reihe!

Sind Frauen missgünstig? Ja. Kann man es ihnen gar nicht recht machen? Ja. Erst jammern sie, dass sie sich um die Kinder kümmern müssen, dann beschweren sie sich, wenn die Männer es tun. Schizophren? Ja.

Vater und Selbstdarsteller

Doch die Schizophrenie kommt nicht von ungefähr. Sie speist sich aus der langjährigen Erkenntnis, dass zwischen männlichem Vaterschaftsbekenntnis und Wirklichkeit eine Lücke klafft. Der angebliche Trend zum betreuenden Papa ist ein gefühlter. Die neuen Väter sind vor allem in einem Punkt großartig: in der Selbstdarstellung.

Männer haben entdeckt, dass sie Kinder haben. Und das erwähnen sie sehr gerne und sehr oft. Manche schreiben Bücher über sich und ihre Kinder und ihren aufregenden Alltag - oder sie erklären ihnen (und uns gleich mit) die ganze Welt.

Richard David Precht zum Beispiel. Der Lieblingsphilosoph der Medien hat ein neues Buch geschrieben: "Warum gibt es alles und nicht nichts?" Untertitel: Precht erklärt seinem Sohn Oskar die Welt. Danke, Herr Precht. Ein Philosoph ist noch sympathischer, wenn er ein Herz für Kinder hat.

Wenn Männer prominent sind, lassen sie sich vorzugsweise mit ihren Kindern für die Leute-Magazine ablichten. Brad Pitt zum Beispiel, sechs Kinder, von denen immer mindestens eines auf seinem Arm sitzt und ein anderes an seiner Hose zerrt. "Es ändert deine Weltanschauung", sagt er und schwärmt vom echten Glück. Neuerdings berichtet er auch von seiner Sorge, dass die Kleinen durch seine strenge Vaterrolle im Kinofilm "The Tree of Life" verunsichert werden könnten. Vielleicht sollte er mal mit einer seiner vielen Nannys reden.

Extremfälle? Ja - aber selbst die Durchschnittsväter geben sich laut, auftrumpfend und überaus selbstbewusst in ihrer neuen Rolle. Ungefragt erzählen sie, wie viele Kinder sie haben, wie bewegend der Moment der Geburt war, als sie das kleine Menschlein im Arm hielten und wie wunderbar die Vaterschaft ist.

Zeit für die Kinder - sobald es der Terminplan zulässt

Doch leider, leider können sie sich gar nicht so richtig um die Kinder kümmern, weil ihr Beruf zu anstrengend ist. Was würden sie nur tun, um mal ein Wochenende ausschließlich der Familie zu widmen! Auf die Frage, was sie sich wünschen, antworten sie stereotyp: mehr Zeit für die Kinder. Aber, versprochen, sie bringen die Kleinen zur Nacht ins Bett und lesen ihnen vor - sobald es der enge Terminplan mal zulässt.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich Deutschland enorm verändert. Galt eine Frau früher noch als Rabenmutter, wenn sie ein paar Monate nach der Geburt des Kindes wieder ganztags arbeitete, ist es heute weitgehend akzeptiert, wenn sie zumindest Teilzeit ins Büro oder Geschäft geht. Es gibt mehr (wenn auch nicht ausreichend) Krippenplätze, es gibt ein Recht auf einen Kindergartenplatz, und das Elterngeld erleichtert es finanziell, ein paar Monate auszusetzen.

Nur: An den meisten Männern ist der Wandel offenbar fast spurlos vorübergegangen. 1986 schrieb der Münchner Soziologe Ulrich Beck: "Die Männer haben eine Rhetorik der Gleichheit eingeübt, ohne ihren Worten Taten folgen zu lassen." 25 Jahre und zahllose Gleichberechtigungsdebatten später wünschte man sich, dass die Becksche Feststellung überholt sei. Die Realität aber spricht dagegen.

Oder würden Männer sonst die klassische Aufgabenteilung - Papa arbeitet, Mama passt auf die Kinder auf - propagieren? Auf die Fragen nach den Aufgaben eines Vaters nennen 95 von hundert Männern an erster Stelle "der Familie ein Heim bieten" und "den Lebensunterhalt für die Familie verdienen". So steht es in der großen Väterstudie des Deutschen Jugendinstituts, der letzten umfassenden Untersuchung zu diesem Thema.

Auch die Kinderbetreuung bleibt Sache der Frauen. Zwar wollen sich 94 von einhundert Männern mehr Zeit für ihr Kind nehmen. Aber weniger als die Hälfte will den Beruf in der Zeit nach der Geburt des Kindes zurückstellen - und noch weniger Männer würden überhaupt die eigene Karriere wegen des Nachwuchses zurückstellen. Die Zahlen zur Elternzeit bestätigen eindrucksvoll: In den vergangenen vier Jahren hat sich zwar die Quote der Väter in Elternzeit von schlappen vier auf immerhin 20 Prozent verfünffacht. Doch laut Statistischem Bundesamt waren drei Viertel der Väter, die 2010 ihre Elternzeit beendeten, allerhöchstens zwei Monate zu Hause.

Anders gesagt: Die Männer beanspruchen in der Regel nur die zwei Pflichtmonate, damit die Familie in den Genuss der verlängerten Elternzeit von 14 statt zwölf Monaten kommt. Etliche nutzen die Zeit für den Familienurlaub. Nur sieben von hundert Männern machen ein ganzes Jahr Elternzeit. Ein Papa-Hype sieht wohl anders aus.

Flucht vor den nervigen Kleinen?

Verblüffend auch: Wenn Männer Kinder bekommen, arbeiten sie sogar mehr, als wenn sie keinen Nachwuchs haben. Nach einer Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung verbringen 25 bis 39 Jahre alte Väter im Schnitt zwei Stunden pro Woche mehr im Betrieb als Kinderlose, bei den 40- bis 59-Jährigen beläuft sich die Mehrarbeit auf fast fünf Stunden. Ist das die Flucht vor den nervigen Kleinen oder der Wunsch, das Familieneinkommen zu steigern?

Das können die Wiesbadener Fachleute zwar nicht beantworten - aber die Zahlen belegen, dass es Väter nicht so sehr nach Hause zieht, wie sie gerne behaupten. Werden Väter gefragt, wofür sie zu wenig Zeit haben, dann nennen sie zuallererst - vor den Kindern - die persönliche Freizeit. Und selbst nicht berufstätige Väter wenden im Schnitt nur 48 Minuten täglich für die Betreuung ihrer Kinder auf, wie eine Analyse der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD ergab. Arbeitende Frauen investieren dagegen 66 Minuten.

So gesehen ist es gar nicht mehr paradox, dass die Quote der Mütter, die Vollzeit arbeiten, bei knapp 30 Prozent stagniert und nur die der Teilzeitmütter steigt. Bei den Männern übrigens ist die Zahl der Vollerwerbstätigen mit etwa 96 Prozent ziemlich konstant.

Gründe, warum das Vatersein so schwer ist, finden Männer leicht: Der Job erlaubt es nicht, schließlich verdienten sie mehr als ihre Frauen. Oder: Der Chef toleriere es nicht, wenn sie länger als ein paar Wochen weg seien. Die bequemen Ausreden verhindern, dass das gängige Rollenmuster aufgebrochen wird.

Die Männer müssen dabei noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen haben. Denn indem sie arbeiten, sichern sie das Einkommen der Familie. Wer wollte ihnen das übelnehmen? Die Mütter dagegen bleiben (länger) zu Hause und nehmen in Kauf, dass sie weniger verdienen und langfristig ihre Karriere in den Sand setzen.

Die neuen Väter sind alte Väter im neuen Gewand

Richtig, daran sind die Frauen zuweilen auch selber schuld, weil sie zu defensiv, zu wenig ehrgeizig oder auch zu besitzergreifend ihren Kindern gegenüber sind. Sie machen es den Vätern oft leicht, aus der gemeinsamen Verantwortung auszubrechen. Muss man sich da noch wundern, dass, wie eine Schweizer Studie konstatiert, 90 von einhundert männlichen Führungskräften Kinder haben - aber nur 40 Prozent aller weiblichen?

Die neuen Väter sind in ihrem Kern alte Väter im neuen Gewand. Ihre Verkleidung ist die Rhetorik. Sie handeln anders, als sie vorgeben zu denken. Sie tun wenig - und reden viel. Nun sind Mütter nicht davor gefeit, aus der privaten Mutterrolle eine öffentliche zu machen. Auch Frauen fühlen sich gerne als Heldinnen, nur weil sie ein Kind großziehen. Doch zumindest leisten sie die Arbeit, während die Männer nur einen winzigen Teil ihrer Lebenszeit für die Kinder opfern. Umso lauter aber inszenieren sie sich. Mit stolzgeschwellter Brust schieben sie den Luxus-Babyjogger vor sich her oder lamentieren im Büro mitleidheischend über durchwachte Nächte.

Die neuen Väter, die sich um ihre Kinder kümmern, ähneln den Männern, die kochen. Die stehen auch nicht einfach nur in der Küche und bereiten Kohlrouladen für ihre Familie vor. Sondern sie kochen, ein Glas Rotwein in der Hand, für ihre besten Freunde. Sie inszenieren das Kochen als Event, und sind danach zu erschöpft, um aufzuräumen.

Ähnlich kurzlebig ist das Engagement der Väter bei der Kindererziehung: ein grandioses Feuerwerk, das den Himmel für Sekunden großartig illuminiert - um schnell vorbei zu sein. Die neuen Väter nerven, weil sie eine Selbstverständlichkeit als Heldentat inszenieren und sicherstellen, dass auch jeder weiß, was für moderne Väter sie sind.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es ist großartig, dass Männer endlich einsehen, dass auch sie sich um ihre Kinder kümmern sollten und müssen. Doch mit zwei Monaten Elternzeit allein ist es nicht getan.

Können Männer sich nicht einfach die Zeit nehmen, die sie angeblich so gerne mit ihren Kindern verbringen wollen? Können sie nicht einfach richtige Väter sein - und im Übrigen die Klappe halten?

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1274627
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZaW vom 04.02.2012/jobr
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.