Männer:Kai

Manche Ereignisse überwältigen andere Menschen viel mehr als diejenigen, die das Ereignis selbst betrifft. Das ist sehr menschlich, aber im Fall eines coolen Transsexuellen und seiner coolen Mutter auch sehr komisch und überaus sympathisch.

Von Johanna Adorján

Vor ein paar Jahren geisterte eine Kleinanzeige durchs Internet, die ursprünglich in einer australischen Tageszeitung abgedruckt war, und zwar in der Rubrik "Geburten". Sie lautete: "Ein Widerruf: Im Jahr 1995 haben wir die Geburt unseres Sprösslings Elizabeth Anne als Tochter vermeldet. Er informiert uns, dass wir uns geirrt haben. Oops! Unser Fehler. Wir möchten unseren wunderbaren Sohn vorstellen - Kai Bogert. Dich zu lieben ist die leichteste Sache der Welt. Räum dein Zimmer auf."

Auf dem begleitenden Foto war ein junger Mensch zu sehen, der ein bisschen skeptisch, aber doch hauptsächlich voller Zuversicht in die Kamera sah. Er hatte sich fein gemacht, schwarzer Anzug, schwarzes Hemd, Krawatte, die kurzen Haare trug er weißblond gefärbt nach vorne und oben gekämmt, alles ein bisschen unbeholfen, aber wahnsinnig süß.

Nachdem die Anzeige im Internet zehntausendfach geteilt wurde, also, wie man so sagt, viral ging, trat Kai zusammen mit seiner Mutter im australischen Fernsehen auf. Wie der Moment gewesen sei, an dem er seiner Mutter eröffnet habe, wie er sich fühle, fragt die vor Empathie bebende Moderatorin. Kai überlegt und sagt dann trocken: "Extrem langweilig. Anders kann ich es nicht beschreiben." Die Moderatorin gibt sich damit nicht zufrieden, setzt nach. Aber wie war es denn nun, wie? Ja nun, er sei in ihr Zimmer gegangen und habe gesagt, Mami, in Wahrheit hast du keine Tochter. "Darauf sie: ,Ah, bist du trans?' Ich: ,Ja.' Sie: ,Ah, cool.' Stand auf, umarmte mich, setzte sich wieder hin und spielte weiter ,Warcraft'."

Während er spricht, sieht seine Mutter ihn freundlich von der Seite an. Sie trägt ein lila gemustertes Kleid und einen Hauch Perlmuttschimmer auf den Augenlidern. Auch an ihr prallen die Emotionsattacken der Moderatorin ab. Na ja, so besonders weltbewegend sei dieser Moment für sie jetzt nicht gewesen. Für ihn vermutlich mehr. Ja, das öffentliche Interesse sei schon verrückt. Nee, verstehe sie nicht ganz, was sei denn schon dabei. Man fühlt sich an den Loriot-Sketch erinnert, wo ein aufgeregter Moderator einen Mann in der Annahme interviewt, dieser sei als Astronaut im All gewesen. Es liegt eine Verwechslung vor, wie sich schnell klärt, doch das Interview wird mit den vorbereiteten, völlig ins Leere zielenden Fragen weitergeführt: "Was war bisher die äußerste Entfernung von der Erdoberfläche, in der Sie gearbeitet haben?" - "Wir arbeiten jetzt im dritten Obergeschoss." - "Aha. Haben Sie jemals befürchtet, einmal von dort oben nicht mehr zurückzukehren?" - "Nein."

Die Mutter hat später ein Buch geschrieben, vermutlich von Agenten bekniet, ihre berühmte Kleinanzeige schnell zu Geld zu machen. "Wie ich meinen Sohn traf" hieß es, im Internet findet sich folgendes Zitat: "Der Himmel fiel nicht runter, und unsere Familie brach nicht auseinander. Wir haben einfach nur andere Fürwörter benutzt. Oh, und ich musste den Namen ändern, unter dem ich seine Nummer in meinem Telefon abgespeichert hatte. Das war schon ein bisschen mühsam."

"Herzerwärmende Unterstützung - Mutter umarmt transgender Sohn" war während des Fernsehbeitrags unten im Bild eingeblendet. Eigentlich pervers. In einer besseren Welt wäre das Gegenteil die Nachricht.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: