Süddeutsche Zeitung

Imagewandel bei Männern:Was guckst du?

Blickten Männer sonst gern von oben herab auf die Welt, schauen manche von ihnen neuerdings scheu von unten herauf. Steckt dahinter ein neues Denken?

Von Silke Wichert

Nach Duck Face kam Fish Gape. Das sogenannte Entengesicht mit Schnabelschnute wurde irgendwann vom Fischmaul mit halb geöffnetem Mund abgelöst, beides typische Fotogesichter, die vor allem junge Frauen gern für Social Media aufsetzen. Und die Männer? Die gucken halt mal mehr, mal weniger klug aus der Wäsche, aber einen einstudierten "Look", den gab es bislang höchstens im Film "Zoolander", in dem Ben Stiller als Supermodel seinen "Blue Steel" perfektionierte: ein stahlharter Blick mit gespitzten Lippen und gekräuselter Stirn, ein artenverwandter Vorläufer der Enten-Mimik.

Auf aktuellen Aufnahmen von jungen Schauspielern, Models oder Popstars lässt sich nun neuerdings doch so etwas wie ein männliches Foto-Face ausmachen: Kinn runter, Augen nach oben. Kein Erpel-, sondern eine Art Basset-Hunde-Blick. Justin Bieber trägt ihn häufig, das weißblonde Topmodel Lucky Blue Smith ebenfalls, der neue Hollywood-Liebling Timothée Chalamet beherrscht ihn besonders gut. Manchmal greift die Hand dazu noch in die Haare, als habe man das gesenkte Haupt gerade erst aufgerichtet, um jetzt ein bisschen verlegen, ein bisschen rätselhaft in die Kamera zu blicken.

"Mehr frommes Lamm statt böser Bube"

Schauen die neuen Männer etwa nicht mehr von oben herab auf die Welt, sondern begegnen ihr auf Augenhöhe? Oder schauen gar zu ihr auf? Tatsächlich signalisiere dieser Blick eine neue männliche Haltung, sagt die Kunsthistorikerin Anthea Callen, die gerade das Buch "Looking at Men" über die Anatomie, Männlichkeit und den modernen männlichen Körper in der Kunst veröffentlicht hat. "Die Kamera fängt den klassischen Alphamann normalerweise von unten ein, um ihn zu glorifizieren." Auf besagten Porträts hingegen sei die Perspektive von oben gewählt, der Protagonist schaut hinauf. "Das wirkt eher kokett, mädchenhaft, in jedem Fall weniger bedrohlich", sagt Callen. "Mehr frommes Lamm statt böser Bube."

Entsprechend taucht der Blick eher bei jungenhaften Typen auf, die hier ein Stück weit mit ihrer jugendlichen Unschuld spielen, aber auch bei solchen, die sich betont jugendlich geben wollen: Der neue Celine-Designer Hedi Slimane, 50, etwa hat nicht nur, wie ihm derzeit vorgeworfen wird, bei seinen Entwürfen lediglich einen einzigen "Look" - vor allem guckt der Franzose auf Fotos fast immer gleich. Auch seine Kollegen Riccardo Tisci, 44, von Burberry und Virgil Abloh, 38, von Louis Vuitton wurden in der Juli-Ausgabe der italienischen Männer-Vogue ganz ähnlich abgelichtet. Die zarte, tiefgründige Künstlerseele, die in der heutigen Mode womöglich auch ein bisschen demütiger auf die Welt blickt als noch vor einigen Jahren. Karl Lagerfeld jedenfalls schaut, im Gegenteil, entweder gar nicht in die Kamera oder nur durch unergründlich dunkle Brillengläser.

Für Frauen schickte es sich lange Zeit nicht, sich auf Bildern dem Betrachter zuzuwenden, direkter Augenkontakt wurde als Einladung verstanden. Männer hingegen durften in die Welt blicken - nur wenn es um gottgleiche Verehrung oder erotische Ausstrahlung ging, wurde es kompliziert. Schon in der Antike glorifizierten die Bildhauer mit Vorliebe den gestählten männlichen Körper, während sie den Blick dazu meist nach Höherem strebend zeigten. Von Michelangelos David bis hin zu Aufnahmen des Bodybuilders Eugen Sandow Ende des 19. Jahrhunderts oder frühen männlichen Pin-ups - die suggerierte Geisteshaltung steht im deutlichen Kontrast zum banalen Körperkult.

In Hollywood hat es den sensiblen, verletzlichen Mann schon immer gegeben

Anders etwa bei Caravaggio, dessen halb bekleidete junge Männer ziemlich direkt, ziemlich sehnsüchtig schauten und bisweilen an moderne Zeitgenossen erinnern. Der Junge im berühmten Gemälde "Boy with a basket of fruit" trägt auf dem Instagram-Account @chalametinart jedenfalls längst die Gesichtszüge von Timothée Chalamet. Der Kopf des Schauspielers wird auf dieser Fanseite per Photoshop in alle möglichen bekannten Kunstwerke eingesetzt, von da Vinci bis Michelangelo. Mehr Ikone geht nicht. Passenderweise heißt sein neuer Film, der im Januar anläuft, "Beautiful Boy".

In Hollywood habe es diesen gewissen "Male Gaze" immer schon gegeben, glaubt Michael Williams, Filmwissenschaftler an der Universität Southampton. Etwa den Stummfilmstar Ramón Novarro in den Zwanzigerjahren, später Jean-Paul Belmondo und natürlich James Dean, der bis heute eine Blaupause des sensiblen, zweifelnden jungen Mannes liefert. "Der Blick ist so nonchalant wie aufgesetzt", sagt Williams. "Schon damals haben Schauspieler versucht, sich mit einer gewissen ambivalenten Männlichkeit interessant zu machen." Womöglich habe die Selfie-Kultur dazu beigetragen, dass Männer heute mehr mit Blicken spielten, und dieser eine passe jetzt eben perfekt ins Bild: In Zeiten von "Me Too" sind neue Formen der Männlichkeit dringend gefragt.

"Timothée Chalamet ist der perfekte Filmstar 2018", verkündete das amerikanische Online-Magazin Vulture kürzlich in einem Artikel, und erwähnt darin Hollywood-Produzenten, die Chalamet nicht als "Alpha", sondern als "Beta" einstufen und das keineswegs als Nachteil sehen. Er sei symbolisch für eine kulturelle Verschiebung, die das Wesen des modernen, maskulinen Mannes neu definiere, wird dort auch David Unger zitiert, Geschäftsführer der Schauspieler-Agentur Artist International Group. "Der neue 'Leading Man' ist womöglich nicht mehr der harte, finstere Kerl, sondern ein viel einfühlsamerer, rücksichtsvoller Typ", glaubt Unger.

Wirklich eine Revolution oder nur Show?

Chalamet selbst sieht das offenbar genauso. In der aktuellen Ausgabe des Magazins i-D unterhielt er sich im mit dem ähnlich modern-männlichen Sänger Harry Styles. Das Gespräch machte Schlagzeilen, weil die beiden sich darin freimütig über die neue Bandbreite des Mannseins unterhielten. Dass es beispielsweise heute unglaublich maskulin sein könne, wenn Männer sich verwundbar und feminin geben. "Ich fühle mich manchmal am stärksten, wenn ich mir erlaube, verletzlich zu sein", gibt Styles offen zu, woraufhin Chalamet schwärmt, es sei "total irre, sich so verletzlich zu machen".

Ein neuer Typ Mann, der nicht nur anders guckt, sondern auch anders denkt, halleluja. Kein Wunder, dass Sicherheitskräfte mit dem Fanansturm bei Auftritten der beiden jede Menge zu tun haben, damit nicht noch jemand tatsächlich verletzt wird.

"Aber am Ende ist auch der vermeintliche Betamann weiterhin ein Alphatier", glaubt die Kunsthistorikerin Callen. Sie sei höchst skeptisch, ob hier wirklich ein fundamentaler Wandel stattfinde. Zumindest Hedi Slimane ist so legendär dünnhäutig, dass er kritische Journalisten regelmäßig von seinen Shows verbannt, im Atelier gilt er nicht als lammfromm, sondern als totaler Kontrollfreak. "Die Männer haben die neue Richtung verstanden, sie wissen, was beim Publikum ankommt und wie sie kriegen, was sie wollen - von Frauen wie von Männern", glaubt Callen. Der aktuelle Trend erweitere lediglich ihr Repertoire. "Auch der Alphamann darf sich jetzt eben femininer geben", sagt Callen. Das Problem sei nur: Was bleibt dann noch für die Frauen?

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Quelle:
SZ vom 08.12.2018/eca
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