Männer:Adam

Er wohnt eigentlich in New York. Aber wegen seiner unglaublichen Gelassenheit und seiner Liebe zu den kleinen Details des Lebens, würde sich die Autorin von ihm am Liebsten ihre eigene Heimatstadt Berlin zeigen lassen.

Von Johanna Adorján

Es gibt doch diesen Typen in "Seinfeld", Kramer, den Langen, Dünnen mit den wirren Haaren, der immer so atemlos in die Szenen platzt. Ich hab einmal ein Interview gelesen, in dem der Schauspieler von dieser Rolle erzählte. Eigentlich habe er ihn als jemand spielen wollen, der immer zu spät kommt, immer ein bisschen hintendran ist, aber das habe nicht funktioniert. Er habe ihn dann als jemand gespielt, der immer zu früh ist. Sozusagen eine Figur aus der nahen Zukunft, die immer wieder mal guckt, was die anderen so treiben. So ähnlich kommt es mir bei Adam vor, einem meiner Lieblingsmenschen auf der Welt. Er strahlt immer aus, dass schon alles gutgehen wird, und ihm glaubt man, weil irgendwie klar ist, dass er in Wahrheit weiter ist und das Ende schon kennt.

Erwähnen sollte man noch, dass Adam auch sehr gerne Granatäpfel isst

Adam ist der Neffe einer New Yorker Freundin und fühlt sich für mich an wie ein Cousin. Er ist sehr erfolgreich in seinem Job, irgendetwas mit Finanzen, das er nie richtig erklärt. Wenn ich ihn danach frage, winkt er ab, sei nicht interessant genug. (Er bat mich noch einzufügen, dass er sich dennoch sehr glücklich schätze, diesen Job zu haben.) Wenn ich ihn sehe, trägt er Crocs, diese Plastikschuhe mit Luftlöchern, die er so bequem findet, dass er nicht versteht, wie überhaupt jemand andere Schuhe tragen kann. Er sagt das ernst, dann grinst er. Seinem Sohn hat er auch welche gekauft, selbe Farbe, nur viel kleiner.

In seiner Kindheit ist etwas sehr Trauriges passiert. Vielleicht hat er deshalb eine so gelassene Art, mit den Dingen umzugehen. Als ich wieder mal ein mittelschweres inneres Drama durchmachte, diesmal, weil mir plötzlich aufgefallen war, dass ich das auf seinen Namen gemietete Citibike nicht abgeschlossen hatte und es seit Stunden weit draußen in Brooklyn offen herumstand, weshalb ich davon ausging, dass es jemand geklaut hatte, was laut Mietregeln 1200 Dollar kosten würde, sagte er ganz ruhig am Telefon: "Die Chancen, dass jemand ein Citibike klaut, sind extrem gering, schlimmstenfalls ist jemand kurz damit gefahren. Bis du das herausgefunden hast, kannst du dir Sorgen machen, aber du kannst dir auch einfach einen schönen Abend machen, es ändert nichts am Ergebnis. Mein Rat: Mach dir einen schönen Abend."

Aber Adams größte Gabe ist, dass er die Welt für andere schöner machen kann, indem er einem zeigt, was er liebt. Ob das ein Dach ist, zu dem niemand aufguckt, dass aber aus einem bestimmten Winkel total verrückt aussieht, oder ein blödes Hotel, das sich als Abkürzung nutzen lässt, wenn man nur weiß, welche Tür man aufziehen muss. Ob das ein stinknormales Café ist, von dem er erzählt, dass die griechischen Besitzer Kinder so wahnsinnig lieben, dass sich nun alle Familien der Gegend nachmittags dort versammeln, oder eine Synagoge, die aussieht wie ein sich nach vorne wölbendes Wellblech, oder die Supermarktkette, die den saftigsten Schokoladenkuchen der Welt führt (Trader Joe's "Chocolate Brooklyn Babka"). Er schlug übrigens vor, dass ich an dieser Stelle erwähnen könnte, dass er jeden Morgen Schokolade isst.

Weiß man von all den Dingen, die er entdeckt hat und großzügig mit einem teilt, ist die Stadt für immer verändert, ist auf einmal viel mehr Liebe darin. Ich wünschte, er könnte mir Berlin zeigen.

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