Luxus-Ware Wasser:Aqua Gaga

Kanalisiert, mystifiziert, privatisiert: Über unseren Umgang mit dem teuren Gut Wasser. Noch nie war er so irrational wie heute.

Stefan Gabányi

Während täglich mehrere 100 Millionen Liter Wasser durch das marode Leitungssystem Londons im Erdreich versickern, lässt sich das erlesene Publikum in den schicksten Restaurants der City Jahrtausende altes Wasser kredenzen, das aus Tiefenbohrungen in der Arktis stammt.

Luxus-Ware Wasser, Aqua Gaga; Gettyimages

Sie baden gerade Ihre Füße drin: Mrs. Winston F. C. Guest (aka CZ Guest) an ihrem neogriechischen Pool vor der Villa Artemis am Ozean in Palm Beach, Florida, 1955.

(Foto: Foto: Gettyimages)

So manch einer dieser Luxus-Junkies dürfte sein Vermögen unter anderem Margaret Thatchers Idee verdanken, die Londoner Wasserwirtschaft zu privatisieren. Dies brachte den beteiligten Investoren Gewinnspannen im zweistelligen Prozentbereich, den Kunden aber ebenso hohe Wasserpreissteigerungen. Die angekündigte Sanierung der Versorgungsleitungen kam dagegen nur sehr zögerlich voran, dafür wurde vielen Londonern in den heißen Sommern Mitte dieses Jahrzehnts eine ihrer liebsten Freizeitvergnügungen untersagt: das Rasensprengen.

Nun gehören Verschwendung und Profitgier zweifellos zum Wesen unserer Wirtschaftsordnung, im Umgang mit Wasser allerdings erscheint solches Verhalten als lebensbedrohende Dummheit. Ob Wasser überhaupt eine Ware sein kann, oder ob der Zugang zu sauberem Trinkwasser nicht eher als Menschenrecht zu gelten hat, das ist seit längerem ein heiß umstrittenes Thema diverser UN-Gremien, Welthandelsorganisationen und NGOs. Während der Weltwasserentwicklungsbericht der Vereinten Nationen angesichts einer Milliarde Menschen, die ohne sauberes Trinkwasser leben, von "Wasserdeprivation" spricht, wittern internationale Konzerne enorme Gewinne in der privatwirtschaftlichen Nutzung von Grundwasser.

Gegen den Warencharakter spricht zwar die existenzielle Bedeutung, die Wasser für jegliches Leben auf unserem Planeten hat. Angesichts der natürlichen Begrenzung und ungleichmäßigen Verteilung der globalen Vorräte ist Wasser aber auch ein strategisches Gut.

Die Liebe zum "blauen Gold"

Wer den Zugang zum Wasser kontrolliert, hat die Macht. Und das gilt nicht erst, seit die Getränkeindustrie ihre Liebe zum "blauen Gold" entdeckt hat. Das wusste auch schon der Perserkönig Dareios, der als Zeugnis seiner Weltherrschaft Krüge mit Wasser aus Donau, Nil und Indus in seiner Schatzkammer verwahrte. Die frühen Reiche des Vorderen Orients wären ohne ihre ausgeklügelten Bewässerungssysteme nicht in der Lage gewesen, die stetig wachsende Bevölkerung zu ernähren.

Funde von Abwasserkanalsystemen zeigen, dass bereits in der Antike bekannt war, wie wichtig sauberes Grundwasser für die Trinkwasserversorgung ist. Dieses Wissen ging im Mittelalter verloren, und so war es wegen des fäkalienverseuchten Brunnenwassers in den Städten häufig gesünder, seinen Durst mit alkoholischen Getränken zu stillen.

Den Stoff dazu lieferten vor allem Klöster. Nahezu alle Mineralwasserbrunnen und Heilquellen befanden sich bis zur Säkularisation im Besitz des Klerus. Neben ökonomischen Interessen spielte dabei auch die Kontrolle über die sakrale Macht des Wassers eine wichtige Rolle: seine Bedeutung für Reinigungsrituale, die in Form von Fußwaschungen, Taufe und ähnlichem in nahezu jeder Religion als Voraussetzung für die Kommunikation mit höheren Wesen zu finden sind.

Als sich die Kirche zahlloser Quellen bemächtigte, die bereits vorchristlichen Kulten gedient hatten, ging es auch darum, heidnische Fruchtbarkeitsriten in den Griff zu bekommen, die besonders im Volksglauben noch ihr Unwesen trieben. Das lustvolle Geplansche griechischer Nymphen musste den trügerischen Gesängen von Nixen weichen, deren einziges Ziel es war, ihre Opfer dem Ertrinkungstod zuzuführen. Die inspirierende Sinnlichkeit verwandelt sich, christlicher Moralvorstellung entsprechend, in einen bedrohlichen Strudel, der die Menschen - Männer vor allem - ins Verderben reißt.

Aqua Gaga

Weitaus realer ist die Bedrohung der Stadtbevölkerung durch die prekäre Trinkwasserversorgung, und umso begehrlicher blickt das aufgeklärte Bürgertum auf die Mineralwasserquellen der Kirchenfürsten. Entsprechend groß ist dann auch der Erfolg eines gewissen Jacob Schweppe, der 1783 eine Technik zur Anreicherung von Brunnenwasser mit Kohlensäure patentieren lässt (und dessen Name bis heute in einer Limonadenmarke fortlebt).

Diese "Sodawasser" genannte Mischung wurde zwar als Heilmittel angeboten - die Kohlensäure, so dachte man, würde das Wasser reinigen -, der Mann von Welt nahm Soda allerdings lieber in Kombination mit alkoholischen Getränken zu sich. Wasser, gleich wie heilsam es sei, konnte doch nie mehr sein als ein profaner Durstlöscher. Der Gastrosoph Brillat-Savarin drückte es so aus: "Wasser ist das einzige Getränk, das den Durst wirklich stillt - deshalb kann man auch immer nur eine geringe Menge davon trinken." Es sei aber ein Vorrecht des Menschen, im Gegensatz zum Tier auch ohne Durst zu trinken, denn im Gegensatz zum Tier kenne der Mensch auch die Furcht vor der Zukunft.

Aquarien für russische Neureiche

Nach dieser Auffassung war Wasser eher ein notwendiges Übel zur Herstellung gehaltvollerer Getränke. (In reiner Form scheint es noch heute allemal für Tiere gut genug: in einem niederbayerischen Dorf, dessen Brunnen für die angeblich lebensverlängernde Wirkung seines Wassers bekannt ist, werden neuerdings russische Neureiche vorstellig, die ihre Aquarien damit befüllen möchten.)

Möglicherweise diente die schlechte Wasserqualität früher als willkommene Ausrede für den Alkoholgenuss, womit sich auch die allgegenwärtigen Euphemismen erklären ließen, die hochprozentigen Alkohol als Lebenswasser mystifizieren; nicht nur die in romanischen Sprachen üblichen Ableitungen von aqua vitae, auch der slawische Wodka (Wässerchen) gehört hierher, ebenso wie Whisky, eine Verballhornung von uisghe, dem gälischen Wort für Wasser.

Die Geringschätzung, die Wasser hier entgegenschlägt, galt wohl vor allem der Nüchternheit des Wassertrinkers, was der große Rauschfreund Baudelaire wie folgt zusammenfasst: "Wer nur Wasser trinkt, hat etwas zu verbergen." Doch selbst die neue puritanische Bürgerelite trank Wasser vorzugsweise in Form von leistungssteigerndem Tee oder Kaffee. Die alte Elite kurte derweil in feudalen See- und Heilbädern, was darauf hinauslief, tagsüber mit Heilwasser zu gurgeln und sich abends mit Champagner volllaufen zu lassen. Und heute?

Nicht ohne meine Wasserflasche

Verglichen damit, benimmt sich der heutige Business-Adel geradezu spartanisch. Sein 24/7-Stundenplan degradiert Körper und Geist zur Ressource, auf deren Ergiebigkeit streng zu achten ist. Gesundheit hat für die ferngesteuerten Blackberry-Klons nichts mit persönlicher Lebensqualität zu tun, sondern nur noch mit Effizienz. Sichtbaren Ausdruck findet diese Haltung heute in den Plastikwasserflaschen, ohne die sich kein standesbewusster Großstädter im Büro oder Fitness-Club blicken lässt.

Da aber auch in diesen Kreisen weiterhin Alkohol getrunken wird - und sei es bloß, um Weltläufigkeit und Kennerschaft unter Beweis zu stellen -, wählt man nicht nur den passenden Wein zum Essen, sondern auch das passende Wasser zum Wein. Gerne hilft dabei der Wasser-Sommelier, die neue Sternschnuppe am Gastronomie-Himmel, erstmals Anfang des Jahrtausends in Manhattan gesichtet und nun auch in Berlin vertreten, wo einschlägige Lokale Wasserkarten mit über 40 Positionen auslegen. Nur Hedonisten alter Schule werden hier einwenden, dass man in Berlin noch nie wusste, was Lebensart ist.

Moderne Büromenschen, tüchtig, dynamisch und faltenfrei, finden es dagegen anregend, die Mineralität von Weißwein und Wasser zu diskutieren und wissen es zu schätzen, wenn die angebotenen Marken auf der Karte gleich nach ihrem Natriumgehalt geordnet sind. In beispielhafter Verinnerlichung protestantischer Verzichtsethik wird Wasser selbst zum Genussmittel deklariert - Gourmet-Wasser nennt sich das dann.

Nur Hinterwäldler bestellen so etwas, aus profaner Lust am Aroma, mit einer Zitronenscheibe drin und beeinträchtigen damit das filigrane Zusammenspiel von Mineralstoffen und Spurenelementen; auch Eiswürfel gelten als Fauxpas, es sei denn - so der Wasser-Sommelier - sie bestünden aus eben dem Wasser, das man im Glas hat.

Aqua Gaga

Wasser als Lifestyleprodukt

Wasser scheint also erst interessant zu werden, wenn es einen gewissen Zusatznutzen verspricht, sei er gesellschaftlicher, gesundheitsfördernder oder spiritueller Natur (wie beispielsweise auch Weihwasser). Losgelöst von seiner eigentlichen Funktion als Lebensmittel erscheint es jetzt als sogenanntes Lifestyle-Produkt, als etwas, das in erster Linie wegen einer extravaganten Verpackung, exotischen Herkunft oder spezieller Eigenschaften gekauft werden soll.

Im Angebot sind derzeit unter anderem: japanisches Quellwasser, norwegisches Gletscherwasser, tasmanisches Regenwasser, esoterische Vollmond-Abfüllungen für den harmonisierenden Schwingungsausgleich, billiges Tafelwasser in absurd teuren Designer-Flakons, teures Südsee-Vulkangesteins-Wasser in billigen Plastikflaschen (mit Kieselsäure zur Stärkung von Bindegewebe und Knochenaufbau), Brunnenwasser aus Tennessee, das vor Ort für 9,25Dollar 12-Liter-Kasten zu haben ist, in einem mit modischen Glitzersteinchen verzierten Fläschchen dann aber 65 Dollar kostet und gerne in Händen von Klatschspalten-Größen abgelichtet wird, und schließlich noch französisches Mineralwasser im Zerstäuber für die erfrischende Gesichtsdusche - es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis wir uns auch die Haare mit Exklusivsprudel waschen.

Der globale Flaschenwassermarkt jedenfalls wächst jährlich um rund zehn Prozent. In den Industrieländern allerdings scheint ein gewisser Sättigungsgrad erreicht, und auch Boykottaufrufe machen dem Handel zu schaffen. Besonders in den USA werden zunehmend Stimmen laut, die die Rückkehr zum Leitungswasser propagieren. Sie argumentieren mit dem Vorwurf, dass ein Großteil der angebotenen Flaschen nur gefiltertes Leitungswasser enthält, sowie mit der Umweltbelastung durch weite Transportwege und die exzessive Verwendung von PET-Flaschen, deren Herstellung Rohstoffe verschwendet und reichlich chemische Gifte in die Atmosphäre absondert.

Auch ihre Entsorgung bereitet Probleme: Tatsächlich landen, allen vollmundigen Recycling-Versprechen der Hersteller zum Trotz, noch immer Dreiviertel der jährlich verbrauchten 1,5 Millionen Tonnen Plastikflaschen auf dem Müll, was zu Grundwasserverschmutzung führt.

Die Wasserpreise steigen

Das Hauptanliegen der Flaschengegner aber ist hochpolitisch, und tatsächlich geht es hier um eine der großen Zukunftsfragen, nämlich um die zunehmende Privatisierung von Wasserquellen: Die großen Abfüller, allen voran die beiden Marktführer Nestlé und Coca-Cola, erwerben schon seit Jahren Nutzungsrechte für Wasserreservoirs in aller Welt, die sie ohne Rücksicht auf die umliegenden Gemeinden ausbeuten. Um den Bedarf für ihre internationalen Marken zu decken, pumpen Nestlé und Co. dabei oft weit mehr Wasser ab, als die Region vertragen kann. Die Folge sind drastisch steigende Wasserpreise und sinkende Grundwasserspiegel, was besonders regenarme Gegenden in Agrarländern trifft.

Was diesen Ländern fehlt, ist der sichere Zugang zu sauberem Trinkwasser, was sie stattdessen bekommen, sind verdorrte Felder und Plastikflaschen, die gefiltertes Grundwasser enthalten und zu Preisen angeboten werden, die sich die Mehrheit der Bevölkerung nicht leisten kann. Dass Nestlé sein speziell für den Markt der Schwellenländer konzipiertes Wasser unter dem Namen "Pure Life" anbietet, erscheint nicht minder zynisch als der Spruch, mit dem Coca-Cola sein Konkurrenzprodukt "Dasani" in Indien bewirbt, wo die Firma einen Brunnen nach dem anderen abpumpt: "Can't live without it."

Die Rechtfertigungsversuche der Wasserproduzenten können getrost als Augenwischerei abgetan werden: Weder ist das abgefüllte Wasser so hochwertig wie behauptet (im Gegenteil: Um durch längere Lagerung mögliche Eintrübungen zu vermeiden, wird selbst wertvolles, mineralreiches Quellwasser vor der Abfüllung destilliert), noch steht der Nutzen der ökologischen Projekte, mit denen sich die Konzerne auf ihren Internetauftritten schmücken, in einem halbwegs akzeptablen Verhältnis zum Schaden, den ihre Wasserbewirtschaftung anrichtet. Tatsache bleibt: Wasser, das privatwirtschaftlich genutzt wird, soll Profit bringen.

Dem Human Development Report der Vereinten Nationen zufolge wäre pro Jahr ein Betrag von 10 Milliarden US-Dollar nötig, um die Anzahl derjenigen Menschen, die keinen Anschluss an Leitungs- und Abwasserkanäle hat, bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Das entspricht, so der Bericht weiter, nicht einmal der Hälfte dessen, was in reichen Ländern jährlich für Flaschenwasser ausgegeben wird.

Flaschenwasser als stilistischer Fehlgriff

Verschärft wird die Lage durch die Folgen von Klimawandel und Bevölkerungswachstum. Einmütig konstatieren Gegner wie Befürworter der Wasserprivatisierung eine weltweite Wasserkrise, und das US-Geheimdienstzentrum NIC sieht eine wachsende Gefahr in zunehmenden Ressourcenkriegen (wie ja auch die in Darfour begangenen Grausamkeiten ursprünglich nicht von religiösen Konflikten oder der Willkür ominöser Reitermilizen ausgelöst wurden, sondern von zunehmender Dürre und damit verbundenem Migrationsdruck).

Angesichts solcher Horrorszenarien stellt sich die Frage, ob es weiterhin notwendig ist, Wasser über alle Weltmeere nach Deutschland zu verfrachten, wo man bereits die Wahl zwischen 500 einheimischen Marken hat. Ob der Welt auf ihrem Weg zu einem dringend nötigen Bewusstseinswandel vielleicht etwas von dem naiven Pragmatismus der Amerikaner gut täte, die den Konsum von Flaschenwasser kurzerhand als stilistischen Fehlgriff brandmarken?

"Bottled water is now unforgivably '90s", hieß es kürzlich im Time Magazine, und weil Wasser aus Flaschen also von vorgestern ist, bieten die ersten New Yorker Restaurants ihren Gästen lieber nur noch Leitungswasser an.

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