Luxus im Dutzend:Happenings im Stil des Hauses

Was aussieht wie eine Straßenszene in Bangkok, kann eine Performance sein: Das Luxuslabel Luis Vuitton etabliert mit dem japanischen Superstar Takashi Murakami den globalen Art-Chic.

Eva Karcher

Den Weg ins Allerheiligste säumen, wie es sich gehört, die attraktivsten Trophäen des Imperiums. "Miss ko²" zum Beispiel, ein überlebensgroßes Fabelwesen mit Libellenflügeln, silbernem Haarschweif, riesigen Brüsten und lianengleichen Armen und Beinen. Nackt ist sie als Cyberengel mit ihren Gefährtinnen eingeschwebt - aus dem künstlerischen Universum des japanischen Superstars Takashi Murakami direkt ins Brooklyn Museum in New York. Für seine retrospektive Tournee (bis 13. Juli), die in Los Angeles begann und von 27. September an im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt zu sehen ist, hat der 1962 in Tokio geborene Künstler auf zwei Etagen seinen Neopop-Kosmos als psychedelische Parade der eigenen Corporate Identity arrangiert: "©Murakami". Der Titel der Ausstellung ist Programm, jeder Raum eine neue, brillante Bühne von Fetischen mit Wiedererkennungseffekt.

Luxus im Dutzend: Louis-Vuitton-Taschen im Dutzend - gerahmt von einer eschmierten Jalousie und Müllsäcken: So schäbig, wie es hier aussieht, können die nicht echt sein! Von wegen: Dies hier ist beileibe keine Straßenszene in Bangkok, sondern die Eröffnungs-Performance zur Ausstellung von Takashi Murakami.

Louis-Vuitton-Taschen im Dutzend - gerahmt von einer eschmierten Jalousie und Müllsäcken: So schäbig, wie es hier aussieht, können die nicht echt sein! Von wegen: Dies hier ist beileibe keine Straßenszene in Bangkok, sondern die Eröffnungs-Performance zur Ausstellung von Takashi Murakami.

(Foto: Foto: Louis Vuitton)

Seinen ersten Narziss, "Mr. Dob", Alter Ego des Künstlers und Maskottchen mit Kugelkopf, Henkelohren und Entenfüßen, das entfernt an Walt Disneys Mickey Mouse erinnert, entwickelte er Mitte der neunziger Jahre aus der japanischen Comic-Zeichensprache. Vier Jahre hatte er zuvor Zeichentrickfilm studiert, beinahe dreimal so lange die traditionelle Maltechnik des Nihonga.

Doch die Subkultur der Mangas und Animes begreift Murakami als "mein Material, so, wie Cézannes Material die Landschaft in Aix-en-Provence war". Er verfeinert es durch die Virtuosität des klassischen Trainings und mischt es mit Elementen der zeitgenössischen Kunst. Aus dieser ebenso versierten wie raffinierten Melange visueller Codes entstehen Schlüsselwerke wie "Hiropon", ein Pin-up-Girlie mit dickblauen Zöpfen und Ballonbrüsten, aus denen cremige Milchkaskaden spritzen, die sich zu einem Hula-Hoop-Reifen runden. Oder "Mr. Lonesome Cowboy" als ihr männliches Pendant, ein feixender Knabe mit Irokesen-Goldschopf und spritzig wirbelnder Schlagsahne-Ejakulation, die er wie ein Lasso über dem Kopf schwingt.

Weitere Motive wie glubschig-quallige "Jellyfish"-Augen, lachende Gänseblümchen, schrillbunte Pilze oder Monster mit Haifischzähnen verstricken den Besucher auf Riesengemälden, Wandtapeten und als Skulpturen mit ihrer redundanten Fülle und ihren schier unendlichen Farbmetamorphosen und Formverwandlungen zwischen niedlich und dämonisch in einen Overkill an Sinnesreizen. Leicht berauscht von Murakamis All-over-Panoramen erreicht er schließlich jenen Raum, den der Künstler selbst "als das Herz meiner Ausstellung" beschreibt.

Wie in einem Reliquienschrein oder einem gläsernen Tresor prangen "Alma", "Speedy", "Ursula", "Beverly" und "Eugénie" in puristischen Vitrinen. Eins zu eins integrierte Murakami einen Louis-Vuitton-Shop in das Treppenhaus des Museums. Hochpoliertes, honigbraunes Parkett, eierschalfarbenes Holz, darin die Monogramm-Taschen des Luxushauses, und jede Lederhaut re-designed von Murakami.

Seit 2003 arbeitet der Künstler mit Marc Jacobs, dem Kreativdirektor des Hauses, zusammen. In dessen Auftrag streute er Margeriten und Glasaugen zwischen die Logos, färbte sie bunt und umgarnte sie mit prallroten Kirschen, die dem Unternehmen 2005 passend zum 100. Geburtstag Umsatzrekorde bescherten.

Wer sich den sechsstelligen Preis eines original "japanischen Warhol", wie ihn die Presse nennt, nicht leisten kann, gönnt sich stattdessen vor Ort vielleicht eines seiner Gebrauchsobjekte für tausend und mehr Euro. Oder investiert in eine der kleinen Leinwände im Camouflage-Muster, Auflage Hundert, Preise zwischen 6000 und 10000 Dollar (ab dem 51.Exemplar). Das "Monogramouflage"-Muster des Bildes gibt es übrigens vom Spätsommer an, auf Taschen und Schals appliziert, auch zu kaufen - und hier ist eine kleine Atempause nötig.

Denn damit hat das Crossover, die Verschmelzung von Mode und Kunst wohl ultimatives Niveau erreicht: Beide begegnen einander völlig gleichrangig, ein Gemälde ist ein Produkt wie ein Paar Schuhe oder eben eine Tasche. Auf einer Augenhöhe wird Kunst zum Look, zum Stilaccessoire und zur saisonalen Dekorationsware, die Käufer passend zur Stimmung und Inneneinrichtung wählen und launenhaft oder investmentbewusst wieder wechseln. Umgekehrt steigert sich Mode in limitierter Luxusauflage zum Vintage-Objekt mit Kultpotential: Art-Chic total.

Happenings im Stil des Hauses

Schrecklich? Nein, konsequent. Denn für Murakami ist der Shop des Geschäftspartners einfach ein Ready-made seiner Ausstellung. "Den kleinen Skandal wollte ich", erzählt er lächelnd, "er bringt dem Museum höhere Besucherzahlen." Kunstenthusiast und -sammler Marc Jacobs ergänzt: "Wenn Kritiker sich über Künstler aufregen, die mit Modelabels arbeiten, dann müssen diese das erst recht tun!"

Luxus im Dutzend: Der "japanische Warhol":  Starkünstler Takashi Murakami.

Der "japanische Warhol": Starkünstler Takashi Murakami.

(Foto: Foto: Luis Vuiton)

In den beiden Sätzen verbinden sich die erfolgreichsten und damit lukrativsten Konzepte der Kunst seit Andy Warhol und Marcel Duchamp. Ersterer erkannte sehr präzise: "Business art is the step that comes after art"; die Kunst nach der Kunst ist Business-Kunst. Bedauerlich oder nicht, aber die gegenwärtige Dekade des Mix, der Fusionen und Vernetzungen bringt eine neue Kreativität mit einer spezifischen Ästhetik hervor, die des globalen Art-Chic.

Im Gegensatz zur Avantgarde des vorigen Jahrhunderts, die aus der Bohème, dem damaligen Untergrund in Opposition zur bürgerlichen Gesellschaft und zum Kapital entstand, haben die Künstler des globalen Art-Chic diesen strategisch eingebunden, darin Marcel Duchamp folgend, der ein Urinal zur Kunst erklärte und ihr damit die Essenz des Subversiven und des Schockeffekts als Konzept einpflanzte.

Der globale Art-Chic ist die Ästhetik des Kapitals, der Markt ihr Maßstab. Hier verflechten und verbünden sich heute die Kreativen aller Bereiche, von Design über Architektur, Film, Fotografie, Musik, Literatur bis hin zur Wissenschaft und, allen voran, der Mode. Das Kapital ist heute, wo alle Grenzen fließen, selbst kreativ geworden, und muss es auch sein, kreativ im Hinblick auf das Überleben des gesamten Planeten. Der Kern des globalen Art-Chic ist ein humaner. Hohe Profite dienen, wie neben Film- und Popmusikstars auch sehr erfolgreiche Künstler wie Damien Hirst oder Olafur Eliasson beweisen, auch dem sozialen Engagement.

Mit seiner neu gegründeten Pariser "Louis Vuitton Foundation for Creation" zeigt sich das Unternehmen als Vorreiter des Konzepts des globalen Art-Chic. Nicht zuletzt Marc Jacobs hat es mitinitiiert, als er 1997 für das Haus zu arbeiten begann. "Von Anfang an wollte ich kreative Menschen aus anderen Bereichen um mich versammeln. Ich dachte über das Image von Louis Vuitton als einer Marke nach, die Ikonen produziert, und plötzlich fiel mir Duchamp und sein Werk ,L.H.O.O.Q' ein, die Mona Lisa mit Schnurrbart. Ich fand es genial, ein Kultbild zu nehmen, und es zu verjüngen, es ein bisschen punkiger und perverser zu machen. Und dann stellte ich mir das LV-Monogramm, das jeder kannte, auf einer Leinwand vor und dachte, warum kann man es nicht auch verwandeln, es dekonstruieren, es sich, auf welche Art auch immer, aneignen?"

Embleme aus Kunst oder Werbung neu und provokativ aufzuladen, diese Strategie der "Appropriation Art" adaptierte Jacobs unter anderem für die Zusammenarbeit mit Künstlern wie Eliasson, Ugo Rondinone und Richard Prince. So erfand er den globalen Art-Chic mit, denn dieser strebt ebenfalls nach ikonischen Bildern. Ihn zu zelebrieren, wie es am Abend der mondänen Vernissage im Brooklyn Museum geschah, ist das eine - dazu gleich. Ihn zu etablieren, ist harte Profiarbeit, nicht zu leisten ohne ausgefeiltes Teamwork.

Murakamis unternehmerisches Modell war zunächst das von Warhols "Factory". Ursprünglich organisiert wie ein Workshop, ist "Kaikai Kiki Co.", wie seine Firma heißt, heute eine straff gemanagte Kreativfabrik mit mehr als 100 Mitarbeitern, Hauptsitz in Tokio, und einem Büro auf Long Island. Jeden Monat produziert er rund fünf große Werke, darüber hinaus vermarktet er seine Kreationen als T-Shirts, Stickers, Spielzeug, Postkarten und sogar als Kaugummis. (Auch im Museum sind sie, was sonst, erhältlich). Außerdem bildet er jüngere Künstler aus und zeigt sie in der eigenen Galerie. Er publiziert, kuratiert, organisiert zweimal jährlich die Kunstmesse "Geisai", moderiert eine Radiosendung und entwirft Anzeigen und Produktdesign wie jüngst auch das Cover für die CD "Graduation" von Hip-Hopper Kanye West.

Der rappte nach dem Dinner am Eröffnungsabend im Glitzerjackett für die sechshundert Gäste des "Brooklyn Ball", eines Gipfeltreffens der Haute Volée aus Kunst und Mode, dabei die Großgaleristen Larry Gagosian und Barbara Gladstone, Malerfürst und Regisseur Julian Schnabel, Auktionsrekordliebling Richard Prince sowie die Ex-Supermodels Linda Evangelista und Eva Herzigova. Unter den schwarzen Murakami-Ballons mit Leuchtaugen wurden die strahlenden Reichen, Schönen und Kreativen aus Mode und Kunst zunehmend zu Akteuren eines Art-Chic-Happenings im Stil des Hauses.

Der glamourösen Performance im Museum ging eine andere voraus, die der Art-Chic-Kompetenz von Louis Vuitton eine neue, erstaunlich mutige Facette hinzufügte: Auf einem Vorplatz des Gebäudes waren Stände aus billigen Tischen, Tüchern, Plastikplanen und Sperrholz aufgebaut worden. Pappkartons standen halb aufgerissen herum, neben ihnen Regentonnen, Müllsäcke und Blechjalousien, besprüht mit Graffiti. Auf den Tischen lagen und standen die Lederwaren mit dem bekannten Monogramm schief und krumm, an Klammern und Haken hingen sie verbeult, kreuz und quer. Händler mit chinesischem Akzent fragten lächelnd; "Miss, wollen kaufen schöne Tasche? Alles echt!"

Tatsächlich: Die Produkte waren Originale, ihre Bühne allerdings ein Trompe-l'Œil. Täuschend echt simulierte der Ort einen der Märkte, an denen der Handel mit Fälschungen blüht. Krasser hätte der Kontrast zum makellosen Ready-made-Shop im Museum nicht ausfallen können. Subtil und selbstironisch machte die Fake-Präsentation auf das Problem der unzähligen Fälschungen aufmerksam, gegen die der Konzern rigoros vorgeht, weil sie das Urheberrecht verletzen.

Die Idee des Copyrights bringt Murakami auf den Punkt. "Jeder ist der Eigentümer seiner Identität."

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