Luxus für das Kind:Mein Kind, mein Schmuckstück

Betuchte Eltern greifen für die Outfits ihrer Kleinen immer tiefer in die Tasche - und machen damit vor allem sich selbst glücklich.

Tanja Rest

Alle Eltern, die beim morgendlichen Einkleidemanöver ihrer Kinder noch Zeit für die selbstquälerische Überlegung haben, was diese Kinder denn nun wirklich anziehen wollen, erhalten auf der Webseite einer Münchner Boutiquenbesitzerin die Antwort, an der ein dreistelliges Preisschild baumelt.

Luxus für das Kind: Kindern ist es egal, ob ihr Strampler von Cavalli oder C&A ist - vielen  Eltern nicht.

Kindern ist es egal, ob ihr Strampler von Cavalli oder C&A ist - vielen Eltern nicht.

(Foto: Foto: istock)

"Wir führen, was Kinder wirklich anziehen wollen: Die hippsten Jeans (Seven, True Religion), die neuesten Trends (Dior, Blumarine, Cavalli), bequeme Freizeitmode (Mason's, Diesel, Miss Sixty), In-Labels (Belstaff, Moncler), süße Strandmode (La Perla, Malizia)." Noch Fragen? Ja. Woher weiß die Münchner Boutiquenbesitzerin das so genau? Na, von ihrer Tochter. "Sie ist 8 Jahre alt und steht auf alles was cool ist. Sie berät mich natürlich beim Einkauf."

In eben jener Boutique unweit der luxuriösen Maximilianstraße steht an diesem Morgen die Mutter einer anderen Tochter, ein Trend-Strickjäckchen von Cavalli in der Hand. "Uuii, Felice, ist das nicht süß?!" Nun ist es natürlich schwer, im Gesicht einer ungefähr Vierjährigen zu lesen. Es ist auf jeden Fall ein eher gleichgültiges denn begeistertes Gesicht.

Frei übersetzt sagt das Gesicht von Felice, dass sie sich auf dem nächsten verfügbaren Spielplatz mitsamt dem Cavalli-Jäckchen gern mal ordentlich einsauen möchte. Die Mutter kauft das teure Teil trotzdem. Weshalb man die eingangs aufgeworfene Frage wohl umformulieren muss: Was wollen Eltern, dass ihre Kinder wirklich anziehen wollen?

Übersteigerte Aufmerksamkeit

Die Deutschen haben im vergangenen Jahr rund 2,5 Milliarden Euro für Kinderbekleidung ausgegeben. Der Umsatz ist laut Branchenkennern konstant geblieben, allerdings haben sich die Ausgaben immer stärker verlagert: Neben denen, die sparen müssen, wächst die Gruppe derer, die umso tiefer in die Tasche greifen.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Frauen, die spät Mütter werden, verfügen zu diesem Zeitpunkt meist über mehr Geld. Bleiben sie zu Hause, haben sie Zeit, durch die Kinderabteilungen zu spazieren. Gehen sie bald wieder zurück in den Job, haben sie ein schlechtes Gewissen - und landen ebenfalls in der Kinderabteilung.

Dem einen Wunschkind schlägt von Eltern, Großeltern und Bekannten oft eine ungute Mischung aus Schuldgefühlen und übersteigerter Aufmerksamkeit entgegen, zusätzlich angeheizt von den Spin Doctors der Hersteller. Vor die Wahl gestellt, ihr Baby in einem bloßen Kinderwagen oder in einem "vielseitigen, innovativen, aufregenden Designobjekt" durch die Gegend zu schieben, kaufen auch weniger betuchte Paare gerne mal den Bugaboo Cameleon für 800 Euro. Offizielles Motto: Für das Wohl meines Kindes ist mir nichts zu teuer.

Tatsächlich geht es bei Einkäufen wie diesen eher weniger um die Bedürfnisse des Nachwuchses. Dem ist es herzlich wurscht, ob er in einem Allerweltsstrampler vom C&A-Wühltisch oder in einem blassblauen Ensemble von Baby Dior die ersten Schritte macht. Für viele Eltern hingegen gibt es da durchaus einen Unterschied.

Das Münchner Jugendforschungsinstitut Iconkids & Youth hat kürzlich mehr als tausend Frauen zu ihrer Mutter-Rolle befragt. 72 Prozent gaben freimütig zu, dass sie "gerne mit ihrem Kind angeben". Mit einer ganzen Liste von Produkten konfrontiert, die auch deswegen von Müttern gekauft würden, um bei anderen Müttern, Freunden oder Bekannten Eindruck zu machen, fanden 71 Prozent, Kleidung und Schuhe seien "sehr" bis "extrem wichtig".

Dass Kleidung ein Image-Faktor ist, werde den Kindern selbst erst im Alter von acht oder neun Jahren bewusst, sagt Iconkids-Geschäftsführer Ingo Barlovic: "Da bekommen sie in der Schule mit, dass Turnschuhe von Nike oder Adidas irgendwie cool sind." Ganz anders dagegen die Eltern: "Wenn das Kind Aufmerksamkeit erfährt, weil es geschmackvoll gekleidet ist, wird dies von den Eltern als Bestätigung wahrgenommen. Denn das heißt ja im Grunde nichts anderes als: Die Mutter oder der Vater haben einen tollen Geschmack."

Den eigenen Nachwuchs edel anzuziehen, ist die womöglich subtilste Form der Selbstdarstellung. Wer einmal durch die jungen, gutsituierten Stadtviertel der Republik spaziert ist, hat das große Schaulaufen erlebt: In den einschlägigen Zeitgeist-Cafés sitzen neben stolzen Müttern kleine Ausgaben ihrer selbst, in den gleichen Cargo-Hosen, den gleichen Cordkleidchen, den gleichen rockigen Ed-Hardy-Shirts - das Kind als perfektes Accessoire der Latte-Macchiato-Gesellschaft.

Mein Kind, mein Schmuckstück

Es ist nicht nur persönliches Stilgefühl, das hier ausgestellt wird. In einer Zeit, in der sich Arm und Reich in Deutschland immer weiter voneinander entfernen und die Familiengründung für viele auch eine Kostenfrage geworden ist, funktioniert die Vierjährige im Gucci-Mäntelchen wie eine Chiffre: Seht her, meine Eltern und ich leben auf der Sonnenseite!

Praktisch jeder internationale Designer hat in den vergangenen fünf Jahren eine Kinderlinie auf den Markt geworfen. Es gibt Burberry Baby Touch, Baby Dior, Escada Kids, Prada Kids, Chloé Kids, Young Versace und die Bambino-Linie von Laura Biagiotti mit dem programmatischen Namen "Laura Biagiotti Dolls". Als eines der letzten großen Modehäuser ist im vergangenen Juni auch Hugo Boss mit einer eigenen Kollektion ins lukrative Kindergeschäft eingestiegen.

Das Hochamt der Branche findet zweimal jährlich in Florenz statt: Auf der weltweit größten Kindermodenmesse Pitti Immagine Bimbo schicken die Edeldesigner aufgestylte Mini-Models über den Laufsteg, der hier scherzhaft "Cakewalk" genannt wird. Auf der Pitti Bimbo wurden bereits Spitzen-BHs für Zweijährige und String-Tangas im Leo-Look für Vierjährige vorgestellt, was in den Medien für Aufregung sorgte. Aber eigentlich sind die Kollektionen vor allem: Köder für die Kundschaft von übermorgen.

"Kein Designer kann sich heute mehr erlauben, nicht schon die Kleinsten einzufangen und an die Marke zu binden", sagt Ralf Ehresmann, Sprecher der Pitti Bimbo. Wer in einer Bluse von Burberry Kids den siebten Geburtstag gefeiert hat, feiert den dreißigsten vielleicht in einem Kleid der Hauptlinie Burberry Prorsum.

Dinnerjacketts im Winzformat

Neben den Südeuropäern, Asiaten und Russen, die in Florenz seit jeher begeistert ordern, waren die Deutschen lange Zeit die Spielverderber. Kinderkleidung hatte in erster Linie funktional und günstig zu sein, das Aussehen war zweit-, die Marke drittrangig. Das hat sich inzwischen geändert. Auch Ehresmann glaubt, dass dem deutschen Kindermoden-Markt "die Mitte wegbricht". Die einen kaufen weiterhin bei Tchibo, Kik und C&A, die anderen legen für die Kleider ihrer Kleinen mitunter "Summen auf den Tisch, da könnte eine normale Familie ein halbes Jahr von leben".

Überdimensioniert ist bei solchen Outfits nicht nur der Preis. Im Basement des Münchner Nobelkaufhauses Loden Frey muss der Besucher schon zweimal hinschauen - auf den ersten Blick wähnt er sich nämlich in der Abteilung für Erwachsene. Unter den in Goldbuchstaben angeschlagenen Namen der Luxusmarken hängen klitzekleine Dufflecoats mit Knebelknöpfen, auf Taille gearbeitete Lackmäntelchen und mit Lammfell verbrämte Kapuzenjacken, Sonntagskleidchen aus altrosa Seidenplissee, erzkonservative Mini-Pullunder und Dinnerjacketts im Winzformat.

Was den Edelschneidern zum Thema Kind eingefallen ist? Nicht viel. Von ein paar aufgesteppten Tierfiguren mal abgesehen, handelt es sich zum großen Teil um Schrumpfversionen der Hauptlinie, in denen sich der zukünftige BWLer oder die Ballkönigin von morgen bereits abzeichnet.

Ob ein 198 Euro teurer Cashmere-Pullover das zweckmäßige Kleidungsstück für einen herumstolpernden Dreijährigen ist, muss die Designer allerdings auch nicht kümmern. In spätestens einem Jahr ist er da ohnehin herausgewachsen. Dann kriegt er einen neuen.

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