Süddeutsche Zeitung

Lungenleiden COPD:"Killerkrankheit" oder überschätztes Leiden?

Lesezeit: 4 min

Immer mehr Menschen erkranken in Deutschland am Lungenleiden COPD - sagen Pharmafirmen und Betroffene. Aber wie kommen sie eigentlich darauf?

Marcus Anhäuser

Das Freihusten nach dem Aufstehen gehört für viele Raucher zum morgendlichen Ritual wie die erste Zigarette. Für Ärzte ist es das Signal einer womöglich lebenslangen Leidensgeschichte: das ersten Anzeichen einer COPD, der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung, einer Kombination aus chronischer Bronchitis und einem Lungenemphysem.

Vom vierzigsten Lebensjahr an leiden vor allem Raucher - mehr als 90 Prozent der Betroffenen - unter Atembeschwerden; zunächst nur, wenn sie sich anstrengen, später auch in Ruhe.

Sie haben das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, husten und produzieren Auswurf. Weil Lungenbläschen platzen, überbläht sich das Atemorgan. Erst dieses Lungenemphysem macht die chronische Bronchitis zur COPD. Geheilt werden kann sie nicht, Linderung verschaffen Sprays. Manchmal hilft nur eine Lungentransplantation. Bestes Gegenmittel ist es, mit dem Rauchen aufzuhören.

Glaubt man Berichten aus den vergangenen Jahren, leiden an der "unerkannten Volkskrankheit" mehr Menschen als in den neunziger Jahren angenommen. COPD sei die "Killerkrankheit der nächsten Jahrzehnte". Dabei verweisen Mediziner auf WHO-Zahlen, wonach die Lungenkrankheit 2020 dritthäufigste Todesursache weltweit sein wird.

Boehringer-Ingelheim, Hersteller einer Arznei gegen die Atemnot, schrieb 2006: "In Deutschland leiden schätzungsweise bis zu fünf Millionen Menschen an COPD - Tendenz steigend." Die Deutsche Lungenstiftung nimmt drei bis vier Millionen an, und behauptet: "Die Zahl wird aufgrund des starken Tabakkonsums weiter steigen."

Die Selbsthilfegruppe Lungenemphysem/COPD sagt: "Allein in Deutschland sind fünf Millionen erkrankt; die Zahl der Erkrankten steigt beängstigend von Tag zu Tag weiter." In einem Faltblatt schreibt die Lungenstiftung, "dass zehn bis fünfzehn Prozent der Bevölkerung an COPD leiden"; das wären acht bis zwölf Millionen Menschen.

Das Problem dieser Schätzungen: Es gibt keine verlässlichen Zahlen. Zu diesem Ergebnis kommen Autoren der Nationalen Versorgungsleitlinie COPD - der bundeseinheitlichen Richtschnur, die Ärzten helfen soll, das Lungenleiden zu erkennen und richtig zu behandeln. Danach ist "COPD vielerorts noch immer zu wenig beachtet, zu wenig diagnostiziert und zu wenig behandelt". Aber was die Häufigkeit angeht, heißt es: "Die Prävalenz der COPD in Deutschland ist nicht genau bekannt."

Heinz-Harald Abholz, Allgemeinmediziner an der Universitätsklinik Düsseldorf widerspricht den Schreckensszenarien. "Nach unseren Berechnungen gibt es in Deutschland deutlich weniger als eine Million Menschen mit COPD." Abholz ist kein Lungenfacharzt, aber Mitautor der Nationalen Versorgungsleitlinie für COPD.

Sein Team hat 28 Allgemeinarztpraxen untersucht. An zwei aufeinander folgenden Tagen hatten die Ärzte an Rauchern über 40 Jahren die Lungenfunktion getestet und sie zu Rauchgewohnheiten und Symptomen befragt. Unter 437 Rauchern fanden sich nur 16 mit COPD.

Zur Kontrolle verglichen sie ihre Daten mit denen der Allgemeinärzte: Die hatten von den 16 nur einen nicht erkannt. "Wenn wir unser Ergebnis hochrechnen, kommen wir auf maximal eine halbe Million Betroffene", sagt Abholz.

Gegen den globalen Trend

Abholz versteht nicht, warum es in Deutschland - anders als in Entwicklungsländern - so viele COPD-Kranke geben sollte und warum es immer mehr werden sollten: "Die Hauptursachen sind Rauchen und Luftverschmutzung; beide nehmen in Deutschland ab." Mehr als 90 Prozent der COPD-Kranken sind oder waren Raucher.

Der Gesundheitsbericht des Robert-Koch-Instituts 2006 belegt, dass die Zahl der Raucher seit Jahren stagniert oder leicht abnimmt. Der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch an Zigaretten sank seit den siebziger Jahren von 2000 Stück auf unter 1400 im Jahr 2004.

Der Tabakkonsum, der auch Selbstgedrehte berücksichtigt, stagniert seit Anfang der neunziger Jahre bei 2000 Gramm pro Kopf jährlich. "Die Luft in Deutschland ist besser als vor zwei Jahrzehnten", heißt es in dem Bericht. Nur Feinstaub sei in Ballungsräumen ein Problem.

Wie kommen Pharmafirmen, Fachverbände oder Selbsthilfegruppen darauf, dass die Zahl COPD-Kranker zunehmen könne? Die vielzitierte WHO-Studie mit der das COPD-Schreckensszenario belegt wird, stammt von 1996. Die Forscher prognostizierten die zehn weltweit häufigsten Todesursachen für 2020. Danach lag COPD 1990 auf Platz sechs. Bis 2020 würde sich die COPD bis auf Platz drei vorarbeiten, so die Autoren.

Doch die globale Aussage ist nicht auf Deutschland übertragbar, zeigt die neueste Studie im Auftrag der WHO ( PLoS Medicine, Bd 3. S. 2010, 2006).

Global betrachtet wird COPD 2030 zwar in der Rangliste der globalen Todesursachen aufsteigen, aber nur bis Platz vier. In Deutschland wird sich die WHO-Prognose nicht bestätigen. "Tatsächlich sollten die Todeszahlen durch COPD in hochentwickelten Ländern abnehmen", sagt Colin Mathers, Hauptautor der Studie.

Dass COPD 2030 weltweit trotzdem mehr Todesopfer fordert als 2002 liegt an Schwellenländern. "Einerseits rauchen in diesen Regionen viele Menschen, andererseits erreichen sie immer öfter ein höheres Alter, in dem das Risiko für COPD am höchsten ist", sagt Mathers. Die Luftverschmutzung nimmt in aufstrebenden Staaten zu. In Entwicklungsländern verpesten Brennstoffe wie Holz, Kohle und Viehdung die Innenräume.

Die Autoren der Studie von 1996 nahmen für Industrieländer an, dass die Zahl der Raucher höher bleiben würde: "Tatsächlich ist das Rauchen beträchtlich zurückgegangen", sagt Mathers.

Deshalb sterben 2030 in Ländern wie Deutschland voraussichtlich nicht mehr Menschen an Raucherkrankheiten wie COPD, Lungenkrebs oder Herzinfarkt als 2002. Im selben Zeitraum verdoppelt sich dagegen die Zahl der Rauchertoten im Rest der Welt von 3,5 Millionen auf sechs oder gar acht Millionen. Die WHO-Untersuchung bestätigt damit die Ergebnisse der Düsseldorfer Untersuchung.

Tobias Welte, Lungenexperte der Medizinischen Hochschule Hannover, will den Argumenten von Abholz nicht folgen. Welte hat für die WHO und mit Unterstützung von Boehringer-Ingelheim Daten über die Häufigkeit von COPD in Deutschland zu ermitteln versucht. Ergebnisse stehen noch aus. "Eine Entwarnung an der Raucherfront kann es nicht geben", sagt Welte.

Die Raucherzahlen gingen zwar zurück. Junge Menschen, vor allem Frauen, rauchten aber weiter, viele Migranten ebenfalls.

"Die in der Jugend verursachten Schäden lassen sich nur bedingt rückgängig machen", sagt er. Laut seiner Studie sei ein Drittel der COPD-Erkrankungen bei Nie-Rauchern aufgetreten. Die Ursache sei unklar. Der Einfluss von Feinstaub scheine höher als gedacht. "Wir meinen, nur weil es nicht mehr stinkt, sei die Luft sauber", sagt er.

Skeptisch ist Welte auch hinsichtlich methodischer Aspekte. Mit dem Ansatz, die Häufigkeit einer Krankheit in Praxen abzuschätzen, lag Abholz aber schon einmal richtig. 2006 untersuchte sein Team, wie häufig "offene Beine" sind. Statt der verbreiteten eine Million Betroffenen kamen die Forscher auf 50 000, was eine frühere Studie bestätigte.

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Quelle:
SZ vom 16.2.2007
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