Luis Trenker:Nicht schwindelfrei

Er ist ein Mythos in Südtirol. Ein neuer Film zeigt aber auch, dass es der Bergsteiger mit der Wahrheit nicht immer so genau nahm. Ein Besuch an dem Ort, wo alles begann.

Von Titus Arnu

Eine Geschichte über den Geschichtenerzähler Luis Trenker beginnt man am besten mit einer kleinen Geschichte. Sie spielt in den 1980er-Jahren in St. Ulrich, dem Geburtsort Trenkers. Der berühmte Bergfex war schon über 90 Jahre alt, kurvte aber immer noch gerne am Steuer seines großen Mercedes durchs Grödnertal. Sein Lieblingsziel: Die Stua Zirm, eine Gaststube gegenüber von Trenkers Elternhaus in der Via Stufan.

"Wenn er kam, gab es immer einen riesigen Auflauf", erzählt Ivana Peristi, 54, deren Vater ein guter Freund Trenkers war. Sie sitzt in der Gaststube, die damals ihren Eltern gehörte, trinkt Kräutertee und zeigt auf den Tisch, an dem Trenker meistens saß. "Meine Mutter kochte Gulasch mit Knödeln für ihn, er hockte in der Stube und machte oft mit einem Filzstift Notizen auf einem Block." "Figlia del Sole" nannte Trenker sie, Tochter der Sonne.

Touristen, die am Gasthaus vorbeiwanderten, starrten in das verwitterte Faltengesicht und fragten: "Sind Sie der Bera Luis?" Darauf Trenker: "Nein, ich bin der Bruder." Wenn er mit dieser Schwindelei nicht durchkam, gab Trenker geduldig Autogramme und ließ sich fotografieren - vor der Cesa Bruma, einem prachtvoll bemalten und mit Holzschnitzereien verzierten blauen Haus in der Nähe der Gaststube.

Zahlreiche Mythen ranken sich um seine Person

Trenker ist dort weder geboren noch hat er dort je gewohnt, er fand die Kulisse wohl nur viel schöner als sein eigenes, nicht ganz so ansehnliches Elternhaus schräg gegenüber. "An solchen Mythen hat er gerne selbst mitgewirkt", sagt Paulina Moroder, Direktorin des Museums Gherdeïna in St. Ulrich, wo der Nachlass Trenkers in zwei Räumen ausgestellt ist.

Diese Anekdote erzählt schon einiges über den "Bera Luis", wie sie Trenker in seiner Heimat nennen. Im Grödnertal sprechen sich die Leute mit Vornamen an und setzen bei männlichen Respektspersonen ein "Bera" davor, auf Ladinisch bedeutet das "Herr". Man respektiert den berühmten Filmemacher in seiner Heimat, aber gleichzeitig weiß jeder, dass er gerne flunkerte.

Gerüchte über eine späte Vaterschaft bleiben ungeklärt

Der Mensch besteht ja zu 60 Prozent aus Wasser, aber wie es scheint, war Trenker ein Sonderfall der Natur. Er war größtenteils aus Muskeln, Männlichkeit und Mythen zusammengesetzt. Zum Beispiel sei Trenker mit 96 noch mal Vater geworden, meldeten Boulevardzeitungen im Jahr 1989 mit respektvollem Unterton.

In vielen schlecht abgeschriebenen Zeitungsartikeln wird dieser angebliche Rekord immer wieder gern verbreitet. Trenkers Assistentin und Lebensgefährtin hatte ein Jahr vor dessen Tod ein Kind bekommen, aber kam der Greis wirklich als biologischer Vater in Frage? "Wohl eher nicht", sagt Paulina Moroder. "Aber das hat er natürlich nicht dementiert. Die Geschichte passte einfach zu gut zu ihm."

Trenker, Luis - im Film 'Der Berg ruft!'

Schmaler Grat: Luis Trenker in "Der Berg ruft" (1938). Auf dem schmalen Grat zwischen Fakten und Fiktion bewegte sich der berühmte Bergfex sein ganzes Leben.

(Foto: Ullstein Bild)

Netter Erzählonkel und heimatliebender Opportunist

Cordanzug, Filzhut, strahlendes Lächeln: "Griaß euch, meine liabn Freunde." Luis Trenker ist vor allem als netter, alter Erzählonkel aus dem Fernsehen in Erinnerung geblieben. Sein tief gebräuntes Bergfex-Faltengesicht ist zwar das prominenteste, aber nur eines seiner Gesichter.

Trenker war jemand, der die grausame Dolomitenfront als Soldat auf der Seite Österreich-Ungarns erlebte - und den Ersten Weltkrieg später in seinen Büchern zum kitschigen Heldenepos verklärte. Vor allem gilt er als Opportunist, der Filme machte, die abwechselnd den Nationalsozialisten in Berlin und den Faschisten in Rom, später den Amerikanern und den Nachkriegsdeutschen gefallen sollten.

Der Film von Wolfgang Murnberger porträtiert Trenker in humoristischer Manier

War der Mann nur besonders gut in der Vermarktung eines Heimatgefühls oder war er Nationalist? War er ein Künstler oder ein Lügner? Diese Fragen ziehen sich durch den neuen Film "Luis Trenker - der schmale Grat der Wahrheit", der im Grödnertal, in Meran, München und Venedig gedreht wurde, Regie führte Wolfgang Murnberger.

Die Handlung kreist um einen groß angelegten Schwindel: Luis Trenker (Tobias Moretti) bietet die Tagebücher Eva Brauns einem Hollywood-Agenten zur Verfilmung an. Regisseurin Leni Riefenstahl (Brigitte Hobmeier) will die Echtheit der Tagebücher vor Gericht klären lassen, denn sie fühlt sich durch die Behauptung, sie sei Hitlers Geliebte gewesen, verunglimpft.

Luis Trenker in einer Schtonk-artigen Polit-Komödie? Das klingt nach einer aberwitzigen Klamotte. Auf die Idee, das Komische in dem Alpen-Sonnyboy zu entdecken, kann man schon kommen, wenn man ein paar Folgen der TV-Reihe "Luis Trenker erzählt" anschaut, in der er wie Louis de Funès wild gestikulierend, Augenbrauen hebend und mit knarrender Stimme vom Krieg erzählt.

Mit Lügen und Legenden schuf Trenker ein Zerrbild seiner selbst

Gerne berichtet er darin auch von spektakulären Erstbesteigungen, obwohl Experten anzweifeln, dass er ein herausragender Alpinist war. Auch seine Kriegserinnerungen, die er unter dem Titel "Sperrfort Rocca Alta" zu Papier brachte, erschienen schon in der ersten Auflage zu fantastisch. Trenker berichtete unter anderem, dass die Tiroler Kaiserjäger, wenn ihre Gewehre eingefroren waren, zur Landesverteidigung im Nahkampf zum Morgenstern gegriffen hätten. Außerdem schrieb er das Buch immer wieder großzügig um, je nach politischer Wetterlage.

Was war an dem Typ überhaupt echt? Hat er sich Zeit seines Lebens alles zurechtgerückt wie Kulissen eines Bauerntheaters, damit es besser aussah? "Eine schillernde, zerrissene Persönlichkeit, fast pathologisch beseelt vom Positiven," so beschreibt ihn Tobias Moretti.

Seine Person steht sinnbildlich für die Entwicklung Südtirols

Wer herausfinden will, wer der Mann wirklich war, muss nach Südtirol fahren, ins Grödnertal, wo Luis Trenker am 4. Oktober 1892 geboren wurde, in St. Ulrich am Fuße des Langkofels. Sein Vater Jakob Trenker, ein Holzbildhauer und seine Mutter Carolina nannten ihr erstes Kind Alois Franz, als Taufgeschenk brachten die Verwandten einen Sack Kartoffeln. Das Elternhaus ist längst abgerissen, an gleicher Stelle steht nun das Appartementhaus "Cesa Bera Luis".

Luis Trenker

Trenker vor seiner Villa in Bozen im Jahr 1970.

(Foto: Ullstein Bild)

Der Bera Luis ist omnipräsent im Dorf: Es gibt eine Luis-Trenker-"Erlebnispromenade", an der Trenker-Fotos und Filmplakate ausgestellt sind, ein lebensgroßes Denkmal, eine Bronzebüste vor dem Heimatmuseum und eine Gedenktafel im Hotel Adler. Deutsche Touristen lassen sich gerne an diesen Wallfahrtsorten fotografieren, italienische Besucher können wenig mit ihm anfangen.

Trenkers Geschichte steht auch für die Entwicklung Südtirols. Die Menschen in diesem Land waren immer hin- und hergerissen zwischen Italien und Deutschland. Als Hitler und Mussolini die "Option" vereinbarten, mit der die Südtiroler vor die Wahl gestellt wurden, entweder ins Deutsche Reich auszuwandern, oder Italiener zu werden, mit Sprache und Fahne und allem drum und dran, entschied sich Trenker zu bleiben - um dann doch für Deutschland zu optieren. Zu groß war der Druck der Nazis.

Allerdings war Trenker nicht alleine. Die Mehrheit der Südtiroler entschied sich für die deutsche Option und saßen schon auf gepackten Fuhrwerken, um Bauernhöfe in der Ukraine zu übernehmen, die dann aber bald nicht mehr zu Deutschland gehörte. Bis heute ist die Optionszeit ein heikles Thema in Südtirol.

Durch Zufall gelangt er zur Schauspielerei

Zeitzeugen, die den Bera Luis noch persönlich kannten, erzählen gerne von seinem Charisma und seinen Talenten. Trenker war kein einseitig begabter Mensch. Im Heimatmuseum zeugt eine Geige von seiner Musikalität; nach dem Ersten Weltkrieg ersetzte er eine Zeitlang den Chef des Kurorchesters. Mit 14 Jahren machte er sein Bergführer-Diplom, arbeitete als Skilehrer, nahm 1924 als Bobfahrer für das italienische Team an den Olympischen Spielen in Chamonix teil, versuchte sich als Kaufmann und handelte mit Kaffee, Holz und Stecknadeln.

Er studierte Architektur in Wien und Graz und eröffnete am Waltherplatz in Bozen ein Architekturbüro. Zusammen mit seinem Jugendfreund Clemens Holzmeister plante er einen Teil des Hotels Adler im Zentrum St. Ulrichs.

Zum Film kam Trenker eher zufällig. Der deutsche Regisseur Arnold Fanck drehte 1923 in den Dolomiten "Der Berg des Schicksals", Trenker wurde als Berater engagiert. Als Fanck feststellte, dass der ursprünglich vorgesehene Hauptdarsteller unter Höhenangst litt, fragte er Trenker, ob er als Schauspieler einspringen könne. Nach Rücksprache mit seiner Mutter übernahm er die Rolle, machte aber zur Bedingung, dass er sich nicht - wie damals bereits im Filmgeschäft üblich - schminken ließ.

Trenker hegt eine lebenslange Hassliebe für Leni Riefenstahl

Auch gegen Kussszenen sträubte er sich anfangs. Das änderte sich, als Trenker im Jahr 1925 bei den Dreharbeiten zu Fancks nächstem Film "Der heilige Berg" eine junge Ausdruckstänzerin kennenlernte: Leni Riefenstahl. In dem Stummfilm, der am Aletschgletscher in der Schweiz gedreht wurde, war sie die Tänzerin Diotima, die zwei befreundeten Bergsteigern den Kopf verdreht.

Dummerweise spielte sich parallel zu den Dreharbeiten das gleiche Drama ab: Hauptdarsteller Trenker und Kameramann Hans Schneeberger verliebten sich beide in Riefenstahl. Das Techtelmechtel zwischen der 23-jährigen Deutschen und dem zehn Jahre älteren, längst verheirateten Trenker entwickelte sich zu einer lebenslangen Hassliebe voller Eifersucht und Intrigen.

24 Spielfilme

drehte Luis Trenker von 1924 bis 1962. Außerdem schrieb er insgesamt 24 Romane und Erzählungen, produzierte Dokumentarfilme und trat von 1959 bis 1973 in der Sendereihe "Luis Trenker erzählt" im Bayerischen Fernsehen auf. Trenker ist durch dieses umfangreiche Berg-Werk vor allem als Markenbotschafter der Alpen bekannt, aber seine Persönlichkeit ist weitaus vielschichtiger. In den fast 98 Jahren seines Lebens arbeitete er als Architekt, Unternehmer, Wanderführer, Skilehrer und Schauspieler. 25 Jahre nach seinem Tod beleuchtet ein neuer Fernsehfilm die ambivalente politische Rolle des Bergfilmers: "Luis Trenker - ein schmaler Grat der Wahrheit" (18. November, 20.15 Uhr, ARD). Mittlerweile gibt es sogar ein Modelabel, das nach ihm benannt ist.

Zum Eklat kam es, als Trenker bemerkte, dass Riefenstahls Name viel größer auf den Filmplakaten gedruckt war als seiner - worauf er sie öffentlich als "ölige Ziege" beschimpfte.

Tobias Moretti glänzt in der Rolle des opportunistischen Möchtegernhelden

Dreharbeiten zu "Luis Trenker" am Würzjoch in Südtirol, ein kalter Januartag im vergangenen Winter. Tobias Moretti stapft auf 2000 Meter Höhe mit historischer Skiausrüstung durch den Schnee, er trägt Knickerbocker, einen dicken weißen Wollpulli, Wollsocken und Wollhandschuhe. Moretti fährt auf den alten Holzlatten im Telemark-Stil durch den Bruchharsch, als hätte er nie etwas anderes gemacht; die Rolle des feschen Berghelden ist ihm auf den Leib geschrieben.

Trotzdem habe er eine Weile gezögert, als er gefragt wurde, ob er die heikle Rolle übernehmen wolle. "Es erschien mir wichtig, ihn trotz allem zu mögen, ihn aber auch mit der nötigen Ironie zu zeichnen", sagt Moretti. Diese ironische Abgrenzung vom Stoff ist nötig, denn "Der heilige Berg" gilt wie viele von Trenkers Werken aus dieser Zeit als präfaschistisch, als Vorläufer der Blut- und Boden-Filme.

Schon damals bemängelten Kritiker die "aufdringliche Propaganda für Höhenmenschentum und Edelblond". Die kitschige Mischung aus Heldenepos und Heimatfilm passte den Nazis gut ins Konzept.

Trenker bediente die Ideologie gerne: "Das Bergsteigen hat ungeheuer viel gute, erziehende Werte", schrieb er, die Ehrfurcht vor der Natur begünstige "die Autoritätsanerkennung". Hitler zählte lange zu seinen Fans. Am 19. Januar 1933 notierte Joseph Goebbels in seinem Tagebuch: "Abends Film. Luis Trenker ,Der Rebell'. Die Spitzenleistung. Ein nationalistischer Aufbruch. Ganz große Massenszenen. Hitler ist Feuer und Fett." Zum Bruch mit den Nazis kam es erst, als Trenker sich lange nicht entscheiden wollte, ob er als Südtiroler für eine Umsiedlung ins Deutsche Reich optiert oder aber für Italien. Aus Sorge, keine Filme mehr machen zu dürfen, optierte er schließlich für Deutschland und trat in die NSDAP ein, was an seinem faktischen Berufsverbot aber nichts mehr änderte. Nach dem Krieg versuchte Trenker, dieses Lavieren als passiven Widerstand gegen die Nazis umzudeuten. Vergebens wies er darauf hin, dass Hitler seine Filme später als "wurmstichig" und Goebbels ihn als "Schuft und vaterlandslosen Gesellen, den man hinhalten und dann erledigen müsse", bezeichnet hatte. Seinen Ruf als heimattümelnder Opportunist wurde er nicht mehr los. Der Spiegel berichtete zudem 1954 unter der Überschrift "Münchhausen der Berge" darüber, dass Trenker bei vier Romanen von ihm den Namen des Co-Autors Fritz Weber verschwiegen hatte. Und aus der 1994 veröffentlichten NS-Personalakte Trenkers geht hervor, dass er keinesfalls "Freiheitsfilme gegen Hitler" gedreht hatte, wie er behauptete, sondern im Gegenteil fast alles versucht hatte, es dem Regime recht zu machen.

Tobias Moretti ist durch die Dreharbeiten "bei einem Menschen angekommen, der Epochen durchschwommen, sich immer arrangiert hat und am Schluss trocken aus dem Wasser gestiegen ist." Ivana Peristi behält den Bera Luis als humorvollen, charismatischen alten Mann in Erinnerung. Wenn er zu Besuch kam, veränderte sich die Atmosphäre in dem Moment, in dem er die Gaststube betrat. "Um ihn herum war alles still", erzählt Peristi, "er selbst dagegen redete unglaublich laut. Auch wenn er nichts gesagt hat, war da immer diese Aura um ihn herum."

Draußen vor dem Fenster lichtet sich der Nebel am Langkofel, von Minute zu Minute sind die Umrisse des markanten Berges besser zu sehen. Die Figur Luis Trenker dagegen erscheint, je genauer man sie beleuchtet, immer mysteriöser und widersprüchlicher. Am Ende kristallisiert sich das Bild eines Menschen mit vielen Facetten heraus: ehrgeizig, schlau, unterhaltsam, opportunistisch, ein charmanter Aufschneider. "Es wird noch eine Weile dauern, bis man ihn etwas ausgewogener sieht", sagt Museumsdirektorin Moroder. In ihrem Archiv lagern 13 000 Blätter aus Trenkers Nachlass, darunter viele persönliche Briefe und Dokumente. Der Großteil davon ist noch nicht ausgewertet.

"Andere Zeiten, andere Werte", lautete Trenkers Resümee in seinen Erinnerungen. Ganz so einfach ist die Geschichte aber wohl nicht, auch wenn der ewige Optimist rundum zufrieden war mit sich selbst. Selbstkritik blieb Luis Trenker bis ans Lebensende fremd: "Alles gut gegangen" heißt seine Autobiografie.

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