Dem Geheimnis auf der Spur:Die Südbarbaren in Japan

Dem Geheimnis auf der Spur: Ein japanischer Adliger unterhält sich mit einem westlichen Besucher. Darstellung aus dem 16. Jahrhundert.

Ein japanischer Adliger unterhält sich mit einem westlichen Besucher. Darstellung aus dem 16. Jahrhundert.

(Foto: Wikimedia commons/gemeinfrei)

Schon 1585 beschrieb ein Jesuit fasziniert die japanische Gesellschaft, doch sein ungewöhnliches Traktat blieb jahrhundertelang verschollen.

Von Sören Meyer-Eller

Mitten in den Kämpfen um die Einheit Japans im auslaufenden 16. Jahrhundert verfasste am 14. Juni 1585 der portugiesische Jesuit Luís Fróis im Örtchen Katsusa auf der südjapanischen Insel Kyushu das Vorwort zu einem ungewöhnlichen Traktat. Es enthielt "in aller Kürze einige Gegensätze und Unterschiede in den Gebräuchen zwischen den Menschen in Europa und diesem Lande Japan".

Mehr als vier Jahrzehnte waren bis dahin vergangen, seit die ersten "Südbarbaren" - so nannten die Japaner Menschen aus dem Westen - japanischen Boden betreten hatten. 1585 war Fróis schon 22 Jahre lang Missionar in Japan und hatte auch einige Zeit in der Hauptstadt Miyako (heute Kyoto) verbracht. Vieles faszinierte ihn an der japanischen Kultur, er schätzte sie hoch, sprach und las die Sprache hervorragend, kannte die Sitten, hatte vertrauten Umgang mit Mächtigen wie mit einfachen Menschen. Fróis' Briefe über den Stand der Dinge in Japan wurden in Europa viel gelesen und in diverse Sprachen übersetzt. Als Kenner begann Fróis 1583 im Auftrag des Ordens eine Geschichte Japans zu schreiben. "Einer der bedeutendsten Autoren der Jesuitenmission seiner Zeit überhaupt", schreibt Josef Franz Schütte, der Herausgeber des Traktats. Umso erstaunlicher, dass der Text erst mehr als 300 Jahre später erschien.

Wollte Luís Fróis gar nicht, dass sein Text noch zu seinen Lebzeiten erscheint?

Fróis wurde 1532 in Lissabon geboren, war wohl Schreiber in der königlichen Kanzlei, bevor er mit 16 Jahren in die Gesellschaft Jesu aufgenommen wurde, in jenen Orden, der im Zuge der Gegenreformation für das Christentum missionierte, im Kielwasser der portugiesischen Expansion auch in Asien. Gleich nach Eintritt in den Orden reiste Fróis nach Goa an der Westküste Indiens, wo sich die jesuitische Zentrale für Asien befand. Dort und im malaysischen Malakka lebte er studierend, missionierend und als Sekretär bis 1562. In Goa begegnete er Francisco Xavier, Pionier der jesuitischen Asienmission, sowie Anjiro, dem ersten japanischen Informanten über Japan für Europa. So erfuhr er vom Inselreich und Francisco Xaviers sehr positiver Einstellung zu Land und Menschen. Also wollte auch er dorthin gehen. Aber erst 1563 wurde er nach Japan geschickt, wo er drei Jahrzehnte später, am 8. Juli 1597, in Nagasaki starb.

Fróis' bemerkenswertes Traktat stellt in 611 Zweizeilern, nach Sachgebieten in 14 Kapiteln geordnet, europäische und japanische Gewohnheiten kapitelweise durchnummeriert in jeweils einem kurzen Satz einander gegenüber. 611 Zweizeiler, auch im Manuskript in zwei Zeilen dargestellt, bieten ein weites Spektrum an Eindrücken und bilden einen der ersten Beiträge vergleichender Kulturuntersuchung. Einige Beispiele: "In Europa wird das Kind, wenn es einmal geboren ist, selten oder fast nie umgebracht; / die Japanerinnen setzen den Kindern den Fuß auf den Hals und töten alle, die sie glauben nicht aufziehen zu können." (Kap. II Die Frauen / 39)

"Bei uns ist es nicht sehr verbreitet, dass die Frauen schreiben können; / bei den adligen Damen Japans gilt es als Erniedrigung, wenn sie es nicht verstehen." (Kap. II/45)

"Wir bitten einen einzigen allmächtigen Gott um die Güter dieses und des andern Lebens; / die Japaner beten um zeitliche Güter zu den Kami und nur um ihre Seelenrettung zu den Hotoke." (Kap. V Die Tempel / 27)

"Unser Papier ist nur von vier oder fünf Arten; / das japanische von mehr als fünfzig." (Kap. X Vom Schreiben der Japaner, von ihren Büchern, Papier, Tinte und Briefen /10)

Bei uns pflegt man sich, wenn man Abschied nimmt oder von auswärts kommt, zu umarmen; / die Japaner kennen diesen Brauch gar nicht, im Gegenteil, sie fangen an zu lachen, wenn sie es geschehen sehen." (Kap. XIV Von verschiedenen außergewöhnlichen Dingen, die nicht gut in die vorhergehenden Kapitel passen / 30)

Ungewöhnlich ist weder die Anzahl der Beobachtungen noch ihre Genauigkeit oder auch absichtsvolle Zuspitzung: Erstaunlich ist, dass Fróis nicht wertet. Es wird keine Handreichung geboten, wer denn nun "recht" hat, wie es "richtig" ist. Um die Zeit seiner Entstehung wurde unter dem tatkräftigen Gestalter der jesuitischen Japan- und China-Unternehmen, Alessandro Valignano, eine Missionsmethode entwickelt, die Anpassung an die japanischen Gebräuche bis ins Detail zum Ziel hatte. Eine "japanische" christliche Kirche sollte entstehen, nicht eine europäische Kirche für Japaner - ein direkter Gegensatz zur bis dahin seit Jahrhunderten praktizierten christlichen Missionspolitik.

Erst 1946 wurde das Manuskript entdeckt

Fróis geht weiter: In seinem Traktat ist die Gleichwertigkeit beider Kulturen formal und inhaltlich hergestellt. Kein Sendungsbewusstsein ist hier spürbar. Das Traktat ist in Fróis' Handschrift auf Portugiesisch geschrieben und nennt keinen Autor; es wurde nie gedruckt veröffentlicht, der Grund für seine Entstehung und der Weg durch die Jahrhunderte liegen immer noch im Dunkeln. Erst 1946 wurde das Manuskript von Josef Franz Schütte in einer Madrider Bibliothek entdeckt, es erschien, von ihm kommentiert und ins Deutsche übersetzt, neun Jahre später.

Hat Fróis aus seinem Werk ein Geheimnis gemacht? Wollte er nicht, dass es zu seinen Lebzeiten erscheint? Vielleicht hat er das herausfordernd Relative seiner Betrachtungsweise als problematisch genug empfunden, um weder seinen Namen damit zu verbinden noch den Versuch der Verbreitung zu wagen. Betrachtet man den Text aus literarischem Blickwinkel, dann verliert er den schulmeisterlichen Anstrich als Steinbruch für kulturhistorische Informationen. Beim Lesen wächst der Respekt vor den verschiedenen Ausprägungen kulturellen Verhaltens, das Menschliche in jeder Form der Lebensgestaltung gewinnt die Oberhand. Fróis war auch ein Kulturbotschafter Europas, seine Wahrnehmungen leiden nicht unter dem Bleigewicht des Kirchlichen und dem Maßstab des Europäischen. Dadurch öffnet sich ein weiter geistiger Raum in der Gleichwertigkeit zweier unterschiedlicher Kulturen.

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