Luft und Liebe:Vom Prinz zur Kröte

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Es gibt immer wieder Frösche, die geben sich als Prinzen aus. Und das aus gutem Grund: Nur edle Königssöhne landen bei einer Prinzessin im Bett. Der Rest wird an die Wand geknallt.

Violetta Simon

Der Begriff "Metamorphose" stammt aus dem Griechischen und bedeutet "Verwandlung". In den Metamorphosen von Ovid zum Beispiel verwandeln sich Menschen und Götter in eine Pflanze, ein Tier oder einen Stern. Der Begriff der Verwandlung existiert aber nicht nur in der griechischen Mythologie - auch die Tierwelt kennt das Phänomen. Aus einer Raupe wird ein Schmetterling, aus einer Kaulquappe ein Frosch. Mit viel Glück landet der Frosch an einer Wand und verwandelt sich in einen Prinzen. In diesem Fall sprechen wir von einem Happy End. Es soll Frauen geben, die warten heute noch darauf.

Ein Frosch, der einfach nicht zum Prinzen werden will, ist immer noch besser als ein Prinz, der plötzlich zum Frosch wird. (Foto: Foto: iStockphotos)

Ganz und gar nicht märchenhaft verhält es sich mit Metamorphosen in der Partnerschaft: Da mutiert der schillernde Schmetterling plötzlich zu einer haarigen Raupe, und der Prinz zur ekligen Kröte. Mit anderen Worten: Aus dem interessierten, feinfühligen, attraktiven und sportlich aktiven Menschen ist ein abgestumpfter, phlegmatischer Egomane geworden, dessen liebenswerteste Seite darin besteht, dass er morgens verschwindet und erst abends zurückkehrt.

Ebenso verdreht dieselbe Frau, die beim ersten Rendezvous mit einem passionierten Angler vom Zelten und Fliegenfischen schwärmte, bereits auf der Hochzeitsreise genervt die Augen, wenn auch nur von Angeln die Rede ist. "Können wir nicht einfach irgendwo 'ne Forelle essen gehen und anschließend ein Tretboot mieten?"

Und eben jener Mann, der beim ersten gemeinsamen Urlaub am Meer in die 16 Grad kalte Adria galoppierte und sich mit einem Hecht in die Fluten stürzte, rudert heute selbst in karibischen Gewässern hyperventilierend mit den Armen in der Luft, bevor er - mit nach innen gezogenem Bauch und unter theatralischen Gesten - endlich ins Wasser sinkt.

Übrigens erscheint genau die Frau, die damals beim Fast-Dating von sich behauptet hatte, sie schlafe stets nackt und hätte eine Schwäche für Fesselspiele, neuerdings nach dem "Tatort" im Pyjama, klemmt sich einen Groschenroman unter den Arm und verschwindet gähnend Richtung Schlafzimmer.

Derselbe Mann, der sich in der Kontaktanzeige als "gesund" und "selbstbewusst" bezeichnet hatte, lauscht heute angestrengt in sich hinein, ob das leichte Kratzen im Hals oder das Ziehen im Bein nicht doch der Vorbote einer tödlichen Virusgrippe sein könnte Bleibt die Frage: Wie konnte es dazu kommen? Ganz einfach: Wir alle sind Mogelpackungen. Beim ersten Date wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Je nachdem, was man beim anderen erreichen möchte (One-Night-Stand, Beziehung, Ehe), zieht man diese Nummer (den Rest des Abends / einige Wochen / Monate / für den Rest des Lebens) erst mal durch.

Von wegen Verwandlung - das ist die Realität!

Dabei machen wir übrigens nicht nur dem anderen etwas vor, sondern vor allem uns selbst. Auch wir würden schließlich gern glauben, dass wir so unwiderstehlich sind, wie wir uns darstellen.

In Wirklichkeit verändern sich die Menschen im Laufe einer Partnerschaft also gar nicht. Sie zeigen einfach nur ihr wahres Ich, weil sie es nicht mehr länger verbergen können. Weil sie es leid sind, Begeisterung für Nordic Walking, Weinbergschnecken oder Wagner-Opern zu heucheln.

Dann bleibt von der angeblichen Liebe zu französischen Filmen nur ein Stapel Blockbuster-DVDs. Indische Lokale werden zu Steakhäusern. Aus Negligés werden Frotteenachthemden. Aus Kerzenlicht Tischleuchten von Ikea. Tiefkühlpizzen lösen Biokost ab. Und aus einem Spiegel-Leser wird ein Gala-Fan.

Doch warum machen wir alles so kompliziert? Wieso geben wir uns nicht einfach so wie wir wirklich sind? Weil Ehrlichkeit unerwünscht ist. Weil Lügen belohnt wird, und zwar mit Zuneigung. Oder Sex. Wer wäre so dämlich, beim ersten Date zu verkünden: "Hallo, ich bin der Horst, ich esse zu fett, bewege mich ungern, lese am liebsten Manga-Comics und lehne ein ausgiebiges Vorspiel grundsätzlich ab".

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Mit Ehrlichkeit kommt man hier nicht weiter. Es sei denn, man ist von begnadeter Schönheit, besitzt einen überdurchschnittlichen IQ und weiß nicht wohin mit seinem Geld.

Während manche Promis jedoch zunächst am liebsten incognito bleiben würden, um zu vermeiden, dass sie nur ihres Geldes wegen begehrt werden, würden sich manche Normalos am liebsten in Brad Pitt oder Penélope Cruz verwandeln.

Das Ganze ist nur deshalb akzeptabel, weil es jeder tut. Wir alle zeigen uns zu Beginn einer Beziehung von unserer Schokoladenseite. Weil wir dem anderen imponieren möchten. Auch wenn bei näherer Betrachtung davon nicht mehr viel übrigbleibt - und der angebliche Triathlet in Wirklichkeit nur davon träumt, im Geld zu schwimmen, während er in die Arbeit radelt und die vier Stockwerke in sein Büro zu Fuß hochläuft, weil der Aufzug wieder mal kaputt ist.

Selbst wenn es vielleicht nicht ganz fair ist - die meisten schwindeln nur in bester Absicht. Und in der Hoffnung, dass der andere - wenn er erst einmal richtig verliebt ist - auch die Mogelpackung in Kauf nimmt, die dahintersteckt. Das ist ein bisschen, wie wenn ein Kunde einen reinrassigen Hundewelpen kauft und nach und nach erkennt: Die haben mir eine Promenadenmischung angedreht. Auch wenn er den Mischling eigentlich nie wollte, wird er ihn behalten. Weil er inzwischen an ihm hängt. Und weil er erkannt hat, dass Mischlinge eigentlich auch viel pflegeleichter und robuster sind.

Und die Moral von der Geschicht'?

Wer im Bett der Prinzessin schlafen will und nichts zu bieten hat, wird an die Wand geknallt. Spätestens seit den Gebrüdern Grimm wissen wir: Das ging nur gut, weil der Frosch eigentlich ein Prinz war. Für alle anderen gilt: Wer einfach nur ein Frosch ist, darf bei Prinzessinnen ruhig ein bisschen dicker auftragen. Dann lebt er lange genug, um vielleicht wenigstens ihre Tierliebe zu wecken.

Die Kolumne "Luft und Liebe" erscheint jeden Mittwoch auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/luftundliebe

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