Luft und Liebe:Ich bin eine Suchmaschine

Männer suchen ständig irgendwas. Fürs Finden sind allerdings die Frauen zuständig.

Violetta Simon

Wenn Nico und Jana morgens das Haus verlassen wollten, lief das so: Nico wanderte durch die Wohnung und fragte: "Hast du meine Handschuhe gesehen?" "Weißt du, wo mein Filofax ist?" "Hast du eine Ahnung, wo meine schwarze Strickjacke sein könnte?" Und Jana antwortete: "In der Küche neben der Obstschüssel". "Im Sekretär". "Hängt auf dem Balkon". Hatte er dann alles, stand er in der Tür, wippte ungeduldig auf seinen Füßen und trommelte am Türrahmen.

frau sucht im schrank; iStockphotos

"Ich hab dein Handy gefunden!"

(Foto: Foto: iStockphotos)

Manchmal fühlte sich Jana wie ein Metalldetektor, der Meldung macht, wenn er auf etwas stößt. Oder eine Suchmaschine: Er fütterte sie mit Anfragen, sie spuckte ein Ergebnis aus. Dabei war es nicht so, dass Jana diese Informationen hatte, weil ein Mikrochip in ihrem Gehirn sitzen würde. Oder sie seine Sachen heimlich versteckt hätte. Jana verfügte auch nicht über hellseherische Fähigkeiten. Dennoch schien nur sie zu wissen, wo sich Nicos Habseligkeiten befanden.

Etwas gab es allerdings, das fand Jana beim besten Willen nicht: den Weg nach Hause. Sobald sie ihre eigenen vier Wände verließ, war sie aufgeschmissen. Für Orientierungssinn war Nico zuständig. Er war ihr Navigationssystem.

Dieser Unterschied ist evolutionstechnisch bedingt. Während Männer hin und wieder etwas fallen lassen, um Markierungen zu setzen, folgen Frauen diesen Spuren und entnehmen ihnen wichtige Informationen. Auf diese Art kommunizieren wir miteinander. Aus naheliegenden Gründen besitzen Männer deshalb den Überblick - und Frauen den sogenannten Scannerblick. Sobald Jana die Wohnung betrat, ließ sie ihre Augen über sämtliche Oberflächen gleiten. So überprüfte sie innerhalb von Sekunden: Ist mein Mann zu Hause? Türmt sich irgendwo Geschirr? Lebt die Katze noch? Sind die Blumen verwelkt? Habe ich eine Stelle übersehen, die sich zum Dekorieren eignet?

Bei dieser Gelegenheit fiel ihr auch auf, wenn sich an einer Stelle etwas befand, was da nicht hingehörte. Nico am Bügelbrett etwa - also, nur mal theoretisch - würde ihr sofort ins Auge stechen. Oder seine Sachen. Die lagen eigentlich immer da, wo sie nicht sein sollten: Schuhe unterm Wohnzimmertisch, Notizbuch neben dem Bett, Handy auf dem Badewannenrand.

Das Faszinierende war, dass Jana solche Dinge sah und diese Informationen stunden-, ja tagelang im Kopf behalten konnte. Erstens verfügen Frauen über ein phänomenales Gedächtnis (Jana kannte die Namen sämtlicher Exfreundinnen ihrer Exfreunde). Zweitens haben sie aus unerfindlichen Gründen eine Schwäche für unwichtige Daten. (Obwohl sie sich nicht die Spielergebnisse der Bundesliga vom Vortag merken konnte, erinnerte sie sich daran, dass Nico vor drei Jahren beinahe ihren Namenstag vergessen hatte).

Der Kühlschrank schweigt

Inzwischen hatte Jana allerdings immer öfter das Gefühl: Je mehr sie Nico bei der Suche half, desto weniger strengte er sich an, diese Schussligkeit in den Griff zu kriegen. Mittlerweile erkundigte er sich bereits aus reiner Gewohnheit, wo seine Sachen waren, selbst wenn er davor stand. Wie neulich, als er in den Kühlschrank hineinfragte: "Hast du die Marmelade gesehen?"

Da pflaumte sie ihn an: "Was würdest du tun, wenn ich einfach aufhören würde, mich zuständig zu fühlen? Wenn ich einen Trank zu mir nähme, der heilsames Vergessen auslösen würde?" "Dasselbe, was du tun müsstest, wenn ich dich allein losschicke", antwortete er ungerührt. "Mitdenken."

Die Suche nach dem Auto - Fortsetzung nächste Seite ...

Ich bin eine Suchmaschine

Was Jana schier zur Verzweiflung trieb, war die Sache mit dem Parkplatz. Jeden Abend stellte Nico das Auto irgendwo ab, und jeden Morgen hatte er vergessen, wo. Dann rief er sie von unterwegs an und fragte: "Du weißt nicht zufällig, wo das Auto steht?" "Woher soll ich das wissen, du warst doch damit unterwegs." "Schon, ich dachte nur. Hätte ja sein können."

Am Wochenende, wenn sie gemeinsam wegfahren wollten, lief er in die eine, sie in die andere Richtung, um es zu suchen. Wenn sie sich nicht verlief und die beiden sich wieder trafen, gab es erst einmal Zoff. Irgendwann hatte sie genug davon und brachte ihn dazu, den aktuellen Parkplatz auf einen Zettel zu notieren.

Oft fand er dann keinen Stift oder keinen Zettel. Oder er verwechselte den Zettel mit dem vom Vorabend und stand vor einem fremden Wagen. Dann rief er Jana an und fragte: "Weißt du vielleicht, wo der Zettel sein könnte, auf dem ich mir den Parkplatz von gestern Abend notiert habe?"

Normalerweise legte sie dann nurmehr kommentarlos auf. Diesmal aber platzte ihr der Kragen: "Warum rufst du nicht gleich deine Mama an oder, besser noch, startest einen Aufruf im Internet", keifte sie in den Hörer.

"Du musst gerade reden", blaffte er zurück. "Wer ruft mich denn ständig an und lässt sich von mir durch die Stadt navigieren?"

Hilfe von Unbekannten

Die Woche darauf fuhr Jana für ein paar Tage zu einer Freundin - um Abstand zu gewinnen. Nico gab sich wirklich Mühe, seine Sachen zusammenzuhalten. Mit mäßigem Erfolg. Von allen Dingen, die er verschusseln konnte, mussten es ausgerechnet seine Schlüssel sein! Er suchte unterm Bett, hinterm Sofa, in den Schuhen - nichts.

Im Grunde war das mit dem Internet gar keine so schlechte Idee gewesen. Ein Mann braucht in erster Linie jemanden, der ihm zuhört, den er teilhaben lassen kann an seinem Problem. Und so suchte er in einem Internetforum Hilfe - konkrete, mentale, telepathische: "Weiß jemand, wo ich meine Schlüssel hingelegt haben könnte?", schrieb er. "Ansonsten kann ich leider nicht das Haus verlassen."

Prompt bekam er Antwort. Ernstgemeinte Ratschläge. Kluge und weniger kluge. Und niemand verspottete ihn.

"Du musst immer denken: Wenn du ein Schlüssel wärst, wo würdest du liegen?", schrieb Gänseblümchen4. "Meist da, wo man nicht damit rechnet", gab Terminator zu bedenken. Manche schienen sich auch richtig gut in fremden Wohnungen auszukennen: "Hast du zuerst den Briefkasten geleert, liegen sie zwischen der Post", tippt Schnüffler999. "Warst du auf der Toilette, liegen sie am Waschbecken." Andere kannten den Suchenden offenbar besser als er sich selbst: "Entweder in der Jacke oder in der Hose. In der Regel schmeißt man sie aber in der Küche neben die Spüle."

Und plötzlich war da diese Antwort, deren Ton so seltsam vertraut klang: "Hast Du schon im Kühlschrank geschaut? Da war er das letzte Mal doch auch". Nico stutzte. Wie war nochmal ihr Name? ... J.A.N.A. War ja klar. Diese Frau fand einfach alles. "Ich vermisse dich", schrieb er, "komm zurück!" "Würd ich ja gern - wenn ich nur wüsste, wie ...".

Eine Sammlung der besten Kolumnen ist unter dem Titel "Hurra, wir lieben noch!" beim Droemer Knaur Verlag erschienen.

Alle "Luft und Liebe"-Kolumnen im Überblick finden Sie gesammelt unter dem Bookmark www.sueddeutsche.de/luftundliebe

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