Luft und Liebe:Flirten statt Rauchen

Wer bisher über den Glimmstengel Kontakte knüpfte, braucht nun eine neue Masche. Doch so mancher Jäger outet sich dabei als echte Anmach-Niete.

Violetta Simon

Seit Rauchen in öffentlichen Räumen verboten ist, muss der nach Liebe Suchende auf seinen Streifzügen auf den beliebtesten Eisbrecher in der Geschichte des Anmachens verzichten: Hast du mal 'ne Kippe?"

mann will frau küssen

Nie ist die Wahrscheinlichkeit größer, sich zum Harry zu machen, als bei einem Annäherungsversuch.

(Foto: Foto: iStockphoto)

Immer öfter ereignen sich deshalb in Kneipen, Bars und Diskotheken Szenen wie diese: Ein Mann quatscht eine Frau an, stammelt ein bisschen herum und zieht erniedrigt wieder ab. So wie neulich Jens, der sich selbst gern als "Raucher aus Leidenschaft" bezeichnet.

"Sorry, ich habe meine Telefonnummer verloren, kann ich mir deine leihen?" "Wie bitte? Du spinnst wohl!" "Wie wär's damit: Weißt du, was echt gut auf dir aussehen würde? Ich!" "Unverschämtheit. Verschwinde!" "Tut mir leid. Ich bin eben eine totale Niete, was Anmache betrifft." "Immerhin - ein vernünftiger Satz." "Eine Frage noch! Äh ... hast du vielleicht eine Zigarette?" "Wo lebst du eigentlich? Ist dir entgangen, dass hier Rauchen verboten ist?" "Nein, aber der Spruch hat früher immer funktioniert!" "Du bist doch nicht ganz bei Trost. Mach bloß, dass du wegkommst!"

Der perfekte Satz

Der Arme. Es war nicht das erste Mal, dass Jens eine Abfuhr bekam. Früher war ihm das nicht passiert. Jedenfalls nicht so oft. Früher war alles viel einfacher gewesen. "Hast du mal 'ne Kippe?" - welch perfekter Satz, um jemanden einfach mal von der Seite anzuquatschen. Jens hatte nur deshalb zu rauchen begonnen. Nach einer Zigarette zu fragen, war vollkommen ungefährlich. Jedenfalls verlor man dabei nicht gleich sein letztes bisschen Würde.

Um diesen Satz anzuwenden, musste man nur zwei Voraussetzungen erfüllen: Man musste rauchen und sprechen können. Vom hinterletzten Nerd bis zum geschniegelten Geschäftsmann konnte ihn jeder benutzen - sogar in verschiedenen Versionen. Von "Dürfte ich Ihnen eine Zigarette anbieten" bis "Haste ma ne Fluppe?" war alles erlaubt.

Auch Jens hatte es draufgehabt. Sich dabei zu versprechen oder etwas zu vergessen, war so gut wie ausgeschlossen. Der entscheidende Satz war schnell vor dem Alibert im Badezimmer einstudiert. Noch rasch mit dem Zeigefinger über die Schneidezähne geschrubbt - fertig.

Der Flirt-Guru hat es drauf

Was sollte er jetzt machen? Jens wusste aus schmerzlicher Erfahrung: Nirgendwo ist die Wahrscheinlichkeit größer, sich zum Harry zu machen, als bei einem Annäherungsversuch. Deshalb wollte er sich das nächste Mal gut überlegen, mit welcher Strategie er sich an die Auserwählte heranwanzte.

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Flirten statt Rauchen

Gestern hatte er sich im Internet schlau gemacht. Auf grellbunten Webseiten zeigten selbsternannte Flirt-Gurus und Anbagger-Könige dem verunsicherten Alleingänger, wo es langgeht und brachten Zwielicht ins Dunkel der Hoffnungslosigkeit: "Egal warum du allein bist, ob geschieden oder sitzengelassen, ob kontaktarm - in 48 Stunden zum Erfolg!" Na bitte. Genau, was er brauchte.

Jens begann unter der Rubrik "Die erfolgreichsten Sprüche" zu lesen: "Nettes Kleid hast du an, kann ich dich da raus reden?" Sollte das ein Scherz sein? Diese Ansage taugte allerhöchstens dazu, der Frau zu zeigen: Es hat gute Gründe, warum dieser Mann sitzen gelassen worden war.

Eine andere Webseite klang da etwas vielversprechender: "So lande ich bei meiner Traumfrau." Jens begann zu lesen: "Ist es heiß hier drin, oder bist bloß du das?" "Ich bin neu in der Stadt, kannst du mir den Weg in deine Wohnung zeigen?" "Sag mir falls ich mich irre, aber du willst mich küssen, oder?" Jens schüttelte den Kopf. "All diese Kurven, und ich ohne Bremsen", las er und kicherte. Damit würde er bestenfalls ein müdes Lächeln ernten. Oder ein Glas Wein ins Gesicht kriegen.

In seiner Verzweiflung beschloss Jens, es trotzdem wenigstens ein Mal auf die Art und Weise zu versuchen und surfte weiter. Schließlich hatte er einen passenden Satz gefunden. Den nächsten Tag verbrachte er damit, die Nummer vor dem Spiegel zu üben. (Zur Sicherheit vor dem großen in der Diele.)

Der große Auftritt

Heute abend musste es klappen. Er warf noch einen Blick auf seinen Spickzettel und betrat seine Stammkneipe. "Nur Mut!" dachte er sich, bevor er den Tresen ansteuerte. Eine junge Frau saß dort und schaute in die Luft. Jens ging auf sie zu und räusperte sich kurz. Als sie zu ihm aufsah, leckte er seinen Finger ab, legte ihn auf ihre Schulter und sagte: "Wie wär's wenn wir zu mir gehen, da kannst du endlich aus deinen nassen Sachen raus!" Er kam gar nicht dazu, den Satz zu Ende zu sprechen, so schnell sprang sie vom Hocker auf, tauchte eine Serviette in ihr Mineralwasser und bearbeitete damit angeekelt ihre Schulter. Als sie damit fertig war, zeigte sie fassungslos auf Jens und schrie: "Der Typ da gehört in die Klapsmühle!"

In seinem ganzen Leben hatte sich Jens niemals lächerlicher gefühlt. In diesem Moment wurde ihm klar: Um mit so einer bescheuerten Tour Erfolg zu haben, hätte er die Frau mit K.-o.-Tropfen außer Gefecht setzen müssen. Er schafft es nicht. Er würde es niemals schaffen. Ohne die Nummer mit der Zigarette war er aufgeschmissen. Für heute hatte er genug. Er zahlte und ging.

Im Nieselregen stand eine junge Frau und rauchte. Sie hatte die Arme um ihre Taille geschlungen und zitterte. Als sie ihn bemerkte, drehte sie sich um und lächelte. Jens blieb stehen und zögerte. "Du hast nicht zufällig eine Zigarette?", fragte er unsicher. "Klar." Sie streckte ihm die Schachtel entgegen und gab ihm Feuer. "Danke." Mehr sagte er nicht. Er hatte Angst, es zu vermasseln. Sie sah ihn von der Seite an und grinste. Dann sagte sie: "Ganz schön kalt hier draußen. Ist es bei dir zu Hause vielleicht wärmer?" Jens schluckte und stammelte: "Äh ... ich glaub schon." "Ich kann nicht glauben, dass ich das eben gesagt habe!", ruft sie und schlägt sich an die Stirn. "Och, da habe ich schon Schlimmeres gehört." "Seit man da drin nicht mehr rauchen darf, bin ich echt aufgeschmissen. Ich dachte, ich spare mir das Vorgeplänkel. Sonst hole ich mir noch den Tod. Man muss sich eben anpassen." "Du hast ja so recht. Komm mit, ich wohne gleich um die Ecke!"

Super Sache, dieses Rauchverbot, dachte sich Jens und nahm ihre Hand.

Die Kolumne "Luft und Liebe" erscheint jeden Mittwoch auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/luftundliebe

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