Luft und Liebe:Er muss ein Schwein sein!

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Es gibt zwei Typen von Männern: miese Kerle und nette Kerle. Die einen kriegen die Frauen ins Bett, die anderen auf die Couch.

Violetta Simon

Martin war Akademiker, ging regelmäßig ins Theater, spielte Cello, besaß ein Gespür für Ästhetik und eine umfangreiche Bibliothek. Außerdem konnte er wunderbar zuhören, hatte stets guten Wein, Espresso und jede Menge gefühlvoller CDs zuhause.

Es ist ein Naturgesetz: Nette Kerle kriegen keine netten Frauen. Nur das, was die Mistkerle davon übrig lassen. (Foto: Foto: iStockphotos)

Kein Wunder, dass alle Frauen von Martin nur das eine wollten: Heulend auf seinem Corbusier-Zweisitzer hocken, wüste Geschichten von irgendwelchen miesen Kerlen loswerden und dabei Martins gestärkte Stoff-Taschentücher durchnässen.

Wenn er sie dann verständnisvoll in den Arm nahm, schluchzten sie auf seine nassgeweinte Schulter: "Du bist der Beste!" Und das war noch untertrieben, denn: Martin war eindeutig zu gut für diese Welt.

Obwohl Martin auch nur ein Mann war, hielt er sich stets vorbildlich zurück und begnügte sich damit, all jene waidwunden Geschöpfe zu trösten, die in regelmäßigen Abständen auf sein Designer-Sofa gespült wurden. Oder das, was die Mistkerle da draußen von ihnen übrig gelassen hatten.

Eine von ihnen, Susanne, kam in regelmäßigen Abständen vorbei. Erst wegen Rainer. Dann wegen Stefan. Und nun wegen Georg. Georg war klein, hatte einen Schnauzer und nannte sich "Georgio". Er rief prinzipiell nicht zurück, kam meistens zu spät (außer im Bett), fuhr nie mit ihr in Urlaub, baggerte ihre Freundinnen an und meckerte an ihrer Figur herum. Mit anderen Worten: Genau der Typ Mann, auf den Susanne abfuhr.

Eines verstand Martin nicht: Wie konnte es sein, dass sie sich derart schlecht behandeln ließ, wenn sie doch einen Mann wie ihn haben konnte. Er hätte sie auf Händen getragen, ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Susanne aber wollte einen von den bösen Jungs. Einen, der keinen Respekt vor ihr hatte. Der nicht erst fragte, sondern zupackte, wenn sich eine Gelegenheit ergab.

Deshalb konnte jeder dahergelaufene, unkultivierte Macho sich in Nullkommanichts mit einem hirnrissigen Spruch ein Ticket in Susannes Bett erquatschen, während er anschließend das zweifelhafte Vergnügen hatte, dem Opfer im Minutentakt Kleenex zu reichen und Sätze zu sagen wie: "Das hat er nicht so gemeint. Er ruft sicher an. Wirst sehen, der kommt wieder angekrochen."

Körperflüssigkeiten auf der Schulter ... Fortsetzung nächste Seite ...

Manchmal fragte er sich, ob er eigentlich noch ganz bei Trost war. Warum spielte er hier den Ausputzer für all die paarungsbereiten, aber bindungsunwilligen Ignoranten, die ihre Körperflüssigkeiten mit Frauen wie Susanne austauschten, während die einzige Flüssigkeit, die jemals zwischen ihm und Susanne floss, kleine schwarze Seen aus Tränen und Wimperntusche waren, die seine Hemden zierten. Eine skurrile Sammlung lachhafter Trophäen.

Sicher wäre er längst mit Susanne im Bett gelandet, wenn er nur ein bisschen mehr Schwein wäre. Aber er war kein Schwein. Er war was viel Schlimmeres: ein kompletter Idiot. Ein Loser, wie er im Buche stand.

Wie oft hatte er Susanne all das gegeben, was sie an anderen Männern vermisste: Aufmerksamkeit, Mitgefühl, Geduld. Von anderen ließ sich Susanne mit viel weniger rumkriegen. Von Martin nicht einmal unter Zuhilfenahme teuerer Wein oder sentimentaler Kuschelklassik-CDs. Sie würde noch nicht einmal aus Mitleid mit ihm ins Bett gehen.

Das hatte sie ihm deutlich genug verklickert, als er ihr in einem schwachen Moment seine Gefühle offenbarte. Es war niederschmetternd. Sie hatte diesen grässlichen Satz gesagt: "Ich mag dich wirklich sehr, Martin. Aber als Freund." Und es war noch nicht alles: "Ich finde, du hast was Besseres verdient", säuselte sie. "Dann haben wir immerhin eine Gemeinsamkeit: Du hättest auch was Besseres verdient als diese Testosteron-Sadisten", konterte er. "Jetzt übertreib mal nicht." "Warum gönnst du mir nicht auch einmal diese Erfahrung? Nutz mich aus!" "Ach, Martin. Lass gut sein." "Und wenn ich mich so richtig scheiße benehme, genau wie Georgio?" "Aber bei wem soll ich mich denn dann ausheulen?"

Das war mehr, als er ertragen konnte. So deutlich hatte ihm noch nie jemand gezeigt, dass er eine Witzfigur war. Ein Geschlechtsneutrum. Selbst seine Bücherwand stand besser da als er. Für heute hatte er genug. Er vergaß seine guten Manieren, holte Susannes Mantel, drückte ihn ihr in die Hand und schob sie zur Tür hinaus. Und er sagte etwas, das er noch nie zu einer Frau gesagt hatte: "Mach, dass du raus kommst!"

Am nächsten Tag blinkte der Anrufbeantworter: "Tag, Martin! Ich bin's, Susanne. Meld dich doch mal". Martin rief nicht zurück. Susanne sprach nochmal aufs Band - diesmal hörbar geknickt: "Sag mal, hast du heute abend schon was vor? Wir könnten Essen gehen." Martin stand daneben, aber er ging nicht hin. Und wieder Susanne: "Ich flehe dich an, geh ran!" Martin nahm den Hörer ab: "Damit du es weißt: Ich wollte immer nur mit dir ins Bett. Deine Probleme haben mich nie interessiert!" "Martin? Bist du das?" "Nenn mich nicht so. Für dich immer noch Martinez!". Dann legte er auf.

Zehn Minuten später läutete es an der Tür. Es war Susanne. Und sie trug eindeutig zu wenig Stoff für diese Jahreszeit.

Die Kolumne "Luft und Liebe" erscheint jeden Mittwoch auf sueddeutsche.de . Bookmark: www.sueddeutsche.de/luftundliebe

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