Süddeutsche Zeitung

Kultur:Quatsch mit Pose

Einfach gestrickt, aber sehr befreiend und immer für einen Lacher gut: In der Pandemie suchen die Franzosen Trost in den Komödien des großen Cholerikers Louis de Funès.

Von Nadia Pantel

Warum lieben die Franzosen eigentlich Louis de Funès? Als die Arbeit an diesem Text beginnen sollte, regnete es ungewöhnlich stark. Das Dach, so war schnell festzustellen, war nicht nur ein bisschen, sondern sehr undicht. Schnell! Eimer! Lappen! Das panische Feudeln wurde von der Nachbarskatze durchs Fenster betrachtet, die reinkommen wollte, um die Mäuse in der Küche zu jagen und alles vollzuhaaren. Draußen miaute es, drinnen tropfte es, die Mäuse hinterließen ein paar frische schwarze Kügelchen unter der Spüle, es war Sonntag, und das Leben zeigte sich in seiner geballten Lächerlichkeit.

Es war einer dieser Momente, in denen man sich weniger wie ein Mensch fühlt, sondern eher wie eine Comicfigur, der gerade mit einem lauten "Boing!" ein Amboss auf den Kopf gefallen ist. Oder eben wie Louis de Funès, der, um nur ein Beispiel zu nennen, in "Die dummen Streiche der Reichen" auf einem störrischen Esel sitzt, während alle anderen auf prächtigen Pferden reiten, und der von diesem Esel direkt unter einen Wasserfall getragen wird. Vielleicht sollte man de Funès gar nicht Schauspieler nennen, sondern Karikaturist. Andere übertreiben mit Stift und Tusche, de Funès übertreibt mit seinem ganzen Körper.

"Ich schätze diesen Grimassenschneider nicht besonders", sagt ein Moderator des Radiosenders Franceculture zu Beginn einer halbstündigen Sendung, die den Erfolg des De-Funès-Klassikers "Die Abenteuer des Rabbi Jacob" ergründen soll. Hat es bei diesem Moderator noch nie reingeregnet, saß er noch nie auf einem Esel, fiel ihm nie ein Amboss auf den Kopf? Er äußert sich dazu nicht. Doch er zieht eine Parallele zwischen der anhaltenden Begeisterung für de Funès in Frankreich und dem Brexit in Großbritannien. Letztlich seien beides Zeugnisse einer spießigen Gesellschaft, die sich auf sich selbst zurückziehe und sich an ihrer "kleinen Kultur" erfreuen wolle. Boing.

Die Sendung wurde Ende 2019 ausgestrahlt. Ein paar Monate bevor die Franzosen sich in ihre Häuser und Wohnungen einsperren mussten, um die Verbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Ein idealer Moment, um endlich mal in Ruhe alle Klassiker der Nouvelle Vague zu schauen. Angenommen, irgendetwas wäre in dieser zwölfwöchigen Ausgangssperre ideal gewesen. Angenommen, man hätte noch Energie gehabt für Charakterdarsteller, auf deren Nullmimik die Kamera Stunden verharrt. Wenn man innerlich kurz davor ist durchzudrehen, gibt es allerdings keinen besseren Trost als jemanden, der dieses Durchdrehen stellvertretend übernimmt. Der wütet, schimpft und um sich haut. 5,3 Millionen Franzosen schalteten ein, als in Woche drei des Lockdowns "Die dummen Streiche der Reichen" lief. 4,1 Millionen schauten "Rabbi Jacob". Der Sender Canal Plus richtete schließlich einen Sonderkanal ein, auf dem nichts anderes lief als de Funès.

Das war, unter anderem, billig. De Funès hat mehr als 130 Filme gedreht, die Archive sind voll. Und auf was will man sich schon einigen, wenn auf einmal Kinder und Erwachsene gemeinsam durch den kompletten Tag kommen müssen? In De-Funès-Filmen fallen Menschen in einen riesigen Topf grüner Kaugummimasse (gut für Kinder), und ganz sicher blutet nie jemand oder hat Sex (gut für Eltern). Das Leben macht Pause, alle schauen Quatsch. Kleinbürgerlicher war es nie als zu Corona.

Sogar die Cinémathèque de France widmet ihm jetzt eine Sonderausstellung

Wie schön wäre es, wenn de Funès sich noch selbst über diese Arroganz empören könnte. Er täte es vermutlich nicht. Das Wutzwerg-Gestampfe überließ er seinen Figuren, dem cholerischen Gendarm von Saint-Tropez, dem garstigen Restaurantbesitzer Septime, dem rassistischen Unternehmer Pivert. Unter der Verachtung der französischen Filmelite litt der Schauspieler de Funès still. Doch wenig dürfte ihm mehr gefallen haben als das aktuelle Programm der Cinémathèque de France. Die Pilgerstätte des Kinos widmet zum ersten Mal einem Schauspieler eine große Sonderausstellung. Und zwar: de Funès. Vier Jahrzehnte nach seinem Tod machen die Größten Platz für den Kleinen, der gern zwischen Hochgewachsenen stand, um besonders mickrig zu wirken. Mit der Pandemie und de Funès als Lückenfüller hat das nichts zu tun. Die Ausstellung wurde geplant, als Corona nur der Name eines Biers war.

In der Cinèmathèque sehen sie de Funès in einer Reihe mit den Legenden, mit Charlie Chaplin und Stan Laurel und Oliver Hardy. Komiker, die keine Worte brauchten, um witzig zu sein. Mit ihnen teilte de Funès nicht nur den Sinn für Slapstick, sondern auch die Mechanik seiner Pointen. Bleibende Künstler machen nicht andere zum Deppen, sondern sich selbst.

Im Louis-de-Funès-Museum im Badeort Saint Raphaël (2019 eröffnet, 10.000 Besucher allein innerhalb der zehn ersten Tage) beginnt der Rundgang in einem Fünfzigerjahre-Wohnzimmer mit Schrankwand. De Funès, das ist auch Nachkriegsmuff, Essen in Aspik, ein Häuschen als Lebenssinn. Deutschland kam durch diese Zeit mit Heinz Erhardt. Harmlos, gemütlich und auf eine Art unschuldig, die einen aggressiv machen kann. De Funès hingegen gab, pardon, das Arschloch. Und zwar das Arschloch, das man im ungünstigsten Fall oft selber ist. Borniert, missgünstig, selbstgerecht, obrigkeitshörig und zu allem Überfluss auch noch ein bisschen hässlich. In einer Szene in "Le grand restaurant", dessen deutscher Titel undruckbar mies ist, geht de Funès an einem Spiegel vorbei und sagt zu sich selbst: "Je sais, je suis un lâche." Ich weiß, ich bin eine Flasche.

Heute würde man erwarten, dass diese Erkenntnis zu Läuterung führt, dazu, sich selbst zu reflektieren. Bei de Funès führte sie nur dazu, dass er auf alle erdenklichen Arten auf den Kopf bekam. Seine Filme kritisieren den Spießer nicht, sie erkennen ihn.

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