Lotto-Gewinner:Plötzlich Millionär

Illustration Lottoverlierer

Oliver Intemann hat fast zwei Millionen Mark im Lotto gewonnen - und alles verloren.

Ein Beamter mit Spielschulden gewinnt fast zwei Millionen im Lotto. Was macht so viel Reichtum mit einem, der nicht mit Geld umgehen kann? Eine Bilanz.

Von Kim Björn Becker

Der Wagen steht in Stuttgart, eine gute Tagesreise entfernt. Ein Sport-Cabrio vom Typ BMW Z3 mit 200 PS, Vollausstattung. Oliver Intemann sieht die Annonce in der Zeitung und weiß sofort: Das wird mein Neuer. Das Cabrio hat erst wenige Hundert Kilometer auf dem Tacho, 62 000 Mark Verhandlungsbasis. Intemann geht zu seiner Bank und hebt genau 62 000 Mark in bar vom Konto ab. Danach fährt er zum Bremer Hauptbahnhof und kauft sich eine Fahrkarte nach Stuttgart. Erste Klasse, One-Way. Einen Tag später ist er zurück, vor dem Haus funkelt der neue Wagen in der Sonne. Intemann hat ihn sofort gekauft, ohne zu verhandeln, ohne Probefahrt. "Mir war von Anfang an klar: Mit dem Wagen fahre ich nach Hause."

Zu dieser Zeit, Ende der Neunzigerjahre, führt Oliver Intemann, heute 47, das Leben, das er sich lange gewünscht hat: Er lebt in einem Haus mit Garten, besitzt einen großen Fernseher, nennt jede Menge Unterhaltungselektronik sein Eigen und der Kleiderschrank ist zum Bersten voll. Neben dem neuen Cabrio parkt ein dunkler Audi auf der Straße, den hat er vor einer Weile beim Händler bestellt. Regelmäßig geht er abends aus, manchmal die ganze Woche. Und er fliegt oft in den Urlaub, bis zu fünfmal pro Jahr. Aus Spaß hat er sogar ein Bistro gekauft - seine Freunde fanden die Idee lustig. Intemann stattet den Laden mit teurer Einrichtung aus und eröffnet das "Planet Ollywood". Weil die Gäste ausbleiben und er nicht den ganzen Tag in der heißen Küche stehen will, macht er nach ein paar Monaten wieder zu. Sei es drum. "Ich war einfach der dollste Hecht im Karpfenteich."

Der 17. Dezember 1994 verändert sein Leben für lange Zeit

Oliver Intemann sagt diesen Satz draußen, auf der Terrasse seiner Wohnung im Bremer Norden. Gerade hat er sich eine Zigarette angezündet. In wenigen Hundert Metern Entfernung fließt die Weser, die Luft riecht schon ein wenig nach Meer. Intemanns norddeutscher Akzent gibt jedem Satz eine gewisse Leichtigkeit, selbst den schweren Sätzen. Der Tag, der sein Leben für viele Jahre verändern wird, ist der 17. Dezember 1994. Ein Samstag. Am Fernseher verfolgt der damals 27-Jährige Lottospieler die Ziehung der Gewinnzahlen - und kann kaum glauben, was die Maschine ausspuckt. Ein paar Wochen später ist das Geld auf dem Konto: 1,7 Millionen Mark, umgerechnet 870 000 Euro. Das war mehr Geld, als der junge Postbeamte sich je vorzustellen vermochte. Und was er erst später merkt: Es war auch mehr, als er ertragen konnte.

In jedem Jahr erleben Dutzende Menschen in Deutschland, wie es ist, plötzlich reich zu sein. Alleine 2013 kamen bundesweit 90 Lotto-Millionäre hinzu. Doch vermutlich haben nicht alle von ihnen ein so schwieriges Verhältnis zu Geld wie Oliver Intemann: Von dem Gewinn bezahlt er als Erstes seine Spielschulden. Bis zu jenem Tag hatte er ein Minus von etwa 20 000 Mark angehäuft, und um es abzustottern fuhr er nebenbei nachts Taxi. "Ich habe mich in Spielhöllen verirrt, seit ich mein erstes Gehalt bekommen habe", sagt er.

Kann es gut gehen, wenn jemand wie er plötzlich fast zwei Millionen auf dem Konto hat? Natürlich nicht. "Mir war klar, das Geld reicht nur für ein paar Jahre", sagt Intemann heute. Nach dem Gewinn sieht es aber zumindest eine Zeit lang danach aus, als ob er alles im Griff hat: Für sich und seine damalige Freundin schließt er je eine Lebensversicherung ab. Jeder in der Familie bekommt 10 000 Mark auf die Hand. Weitere 350 000 gibt Intemann einem Finanzberater zur Geldanlage. "Immerhin war ich so klug und habe das erste Jahr noch durchgearbeitet."

Der Kaufrausch beginnt

Doch irgendwann endet die Klugheit - oder setzt zumindest vorübergehend aus. Der Kontrollverlust beginnt im Frühjahr 1996, da lässt sich Intemann zunächst für zwei Jahre unbezahlten Urlaub geben. Dass er wohl nie zur Post zurückkommen wird, ist ihm da wohl bereits klar. In der schier endlosen Freizeit setzt der Kaufrausch ein. Mit seiner Freundin, die inzwischen seine Verlobte ist, will Intemann eine Familie gründen. "Ein großes Haus musste her." Marktpreise interessieren ihn nicht, er findet schnell ein großes Grundstück. "Ich habe dann einfach einen Katalog vom Hausbauer genommen und ein 200-Quadratmeter-Haus ausgesucht." Es kostet fast eine Million Mark. Dazu kommen Autos, Unterhaltungselektronik, Partys.

Mit dem Luxus zieht die Eitelkeit in Oliver Intemanns Leben ein. Neues kann sehr schnell sehr zu alt werden, wenn das Bankkonto keine Grenzen zu kennen scheint - und das Gefühl der Befriedigung, das jeder Kauf in ihm auslöst, verschwindet immer mehr. "Ich war ein arrogantes Arschloch", sagt er. "Habe mich über alles und jeden aufgeregt." Irgendwann geht die Beziehung in die Brüche. Intemann sagt die Hochzeit ab, überlässt seiner Ex-Freundin das Grundstück und storniert das bestellte Haus. "Am Ende war die erste Million weg und ich dachte mir: Das ging ja flott."

Er lernt eine neue Frau kennen, heiratet, kauft ein neues Haus, doch die Ehe hält nur kurz. Als er eines Tages - Mitte der Nullerjahre - seinen Kontostand prüft, zeigt der Auszug gerade einmal 150 000 Euro Haben an. Intemann beginnt, wieder über Arbeit nachzudenken, doch da ist es längst zu spät. Zu seinem alten Arbeitgeber kann er nicht zurück. Er besucht Schulungen, nimmt verschiedene Jobs an, aber keinen macht er länger als ein paar Wochen.

Am Ende verkauft Intemann alles, was er hat, auf eBay

Irgendwann sind die letzten Scheine abgehoben, das Konto ausgetrocknet. Zum Problem wird eine Geldanlage, die Intemann kurz nach dem Gewinn auf den Rat seines Finanzberaters hin getätigt hat: Für etwa 350 000 Mark hat er sich an einem Reihenhaus-Projekt in Niedersachsen beteiligt - vollständig auf Kredit finanziert. Kaum ist der Gewinn weg und die Mieter bleiben aus, kann er die Raten nicht mehr zahlen.

Um sich über Wasser zu halten, verkauft Intemann alles, was er hat, auf Ebay: Erst sind Haus und Keller dran, danach die Autos. Schließlich fragt der frühere Lotto-Millionär Bekannte, ob die nicht noch Sachen im Keller haben. Danach Hartz IV, doch bald streicht ihm das Amt auch die Beihilfe, weil er Einkünfte nicht anmeldet: Für ein paar Euro hatte er seine Glatze als Werbefläche vermietet und lief dafür einen Monat lang durch Bremen. Die Geschäftsidee mit der Glatzenwerbung soll ihn finanziell retten, doch am Ende floppt sie. Intemann verkauft sein fast leeres Haus und steht mit Schlafsack, ein paar Koffern und seinem Hund auf der Straße. Erst kommt er bei einer Bekannten unter, später in einer Obdachlosenunterkunft. Auf einem Bauernhof schuftet er für ein paar Scheiben Brot.

Erst als ihm das Arbeitsamt eine Stelle bei einem privaten Postdienstleister vermittelt, geht es im Leben des einstigen Lotto-Millionärs langsam wieder bergauf. Zwischenzeitlich hat er Privatinsolvenz angemeldet, das Verfahren läuft noch. "Ich bin heute glücklicher als damals", sagt Intemann und zieht an seiner Zigarette, es ist die fünfte mittlerweile. "Das Geld kommt und das Geld geht." In dieser Philosophie hat er sich eingerichtet - vielleicht, weil er es wirklich so sieht, vielleicht, weil sich das Scheitern nur so ertragen lässt. Seit einiger Zeit leitet er die Niederlassung des Briefzustellers und fährt täglich mit dem Firmen-Roller Post aus. Wie es die Ironie will, gehört auch sein früheres Haus zu seinem Bezirk. Vom Nachbesitzer weiß er praktisch nichts. Nur den Namen.

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