Süddeutsche Zeitung

Lob der Realtität:Es leben die toten Starmenschen

Lesezeit: 3 min

Stars sterben in diesen Tagen viele. Aber Stars müssen doch eigentlich gar nicht sterben. Warum sollen sie denn? David Bowie soll tatsächlich tot sein? Er klingt doch unentwegt weiter.

Von PeterLicht

Wenn Stars sterben, verwandeln sie sich. Wenn Polit-Stars sterben, verwandeln sie sich in Flughäfen. Wir landen auf ihnen oder heben ab. Wir rollen die Rollbahn entlang und stürzen uns dröhnend in den Himmel. Je nachdem, von wo aus wir starten, rollen wir über Helmut Schmidt oder über Franz Josef Strauß und gleiten nach Teneriffa. Manch einer von uns sitzt dann am Bullauge der Flugmaschine, die er sich für seinen Flug buchte, und sucht in den Wolken nach dem Starmenschen, von dem er sich gerade erhob. Das ist ein schöner Moment. Wir finden ihn nicht, die Sicht ist nicht ausreichend, doch wir sind gerührt. Wen würden wir alles sehen, wenn die Sicht reichte! Wir blicken von oben in die Wolken und was wir sehen, sind die schaumigen Seelenlandschaften unserer eigenen Biografie.

Man fragt sich, warum Stars sterben. Sie müssten es doch nicht. Es ist abwegig, dass David Bowie nun tot ist, er klingt unentwegt weiter. David, Lou, Lemmy, Glenn, oder wie sie alle heißen. Oder Günther. Sie verwandeln sich in Sound. Klanglichen, stilistischen, autobiografischen, emotionalen Sound. Unsere stecken gebliebenen Tränen, wir spüren sie, wir könnten sie noch weinen, wenn es uns wieder packte, aber irgendwie krochen sie zurück in ihre Löcher und warten auf den nächsten Toten. Was haben sie uns nicht alles gegeben: die Idee von einer freien Welt, den Klang unserer Kindheit, die Verzweiflung einer tausendfachen Jugend. Die Vergewisserung, nicht allein zu sein. Wir könnten nicht leben ohne all das. Was würde alles sterben, wenn David Bowie es täte!

Doch halt. Nichts stirbt hier. Dass der Starmensch tot sei, wir bezweifeln es. Er war ja schon immer nicht von dieser Welt, wie sollte er dann nicht mehr Teil unserer Zeit sein? Der Starmensch (aus Kultur oder Politik oder wasauchimmer) lebt immer genau an dem Ort, an dem wir nicht leben. Er ist nicht wir. Und wir sind nicht er. Wir überbrücken diese Trennung durch verstärktes Sehnen. Wir spüren eine dranghafte Tendenz in uns, ihm nah zu sein, was verabredungsgemäß nie gelingt. Der Starmensch ist nicht wir. Okay, das gilt auch für alle anderen Menschen, die über diesen Planeten rennen, aber beim Starmenschen wissen wir: Er ist AUF GAR KEINEN FALL wir.

Der Moment, in dem der Star dann tatsächlich zum Menschen wird, ist der Moment, in dem er tot ist. Und das wiederum ist der Moment, in dem er sich vollends von uns entfernt. Es ist wunderbar. Was wir also an Starmenschen so mögen: dass sie keine Menschen sind (okay, das gilt auch für Kommoden und Wäschespinde, aber das ist ein anderes Thema). Dadurch spüren wir uns und begreifen, wer wir sind (okay, auch das gilt für Kommoden und Wäschespinde, aber das ist wirklich ein anderes Thema). In dem Moment, in dem der Star zum Menschen wird, ist er keiner mehr. Es gibt kein Entrinnen. So geht es immer weiter.

Wer schon einmal ein Begräbnis mit militärischen Ehren erlebt hat, der wird wissen: Niemand ist hier gestorben. Kein Menschenleben ist hier beendet. Es geht immer weiter. Der tote alte General (oder Staatenlenker oder wasauchimmer) kann zwar nicht mehr aus eigenen Kräften stehen, aber es wird weiter paradiert. Das Ehrenbatallion marschiert im Gänsemarsch in die Unendlichkeit hinein und wird auch dort noch die Karabiner nach vorne halten und in die Trompeten blasen. Man kann es sich nicht anders vorstellen, als dass der General sich nach seinem Staatsbegräbnis die Flusen vom Revers streicht, die Tagesbefehle auf seinem Schreibtisch ordnet und neue Termine macht. Wir sehen den Leichenwagen vom Kirchplatz fahren mit dem Bundesadler am Kotflügel und hinten auf der Pritsche der fahnenbedeckte Sarg, von dem behauptet wird, es läge jemand drinnen.

Es ist abwegig, dass die Toten alle tot sind. Wir möchten Kinder bleiben, auch wenn wir lange keine mehr sind. Wir wollen nicht allein sein. Jemand soll da sein und das alles irgendwie für uns regeln. Niemand hat uns je gefragt, ob wir nicht Kinder bleiben wollten. Und kein Mensch konnte sich je selbst entscheiden, keins mehr zu sein. Ah okay, geht nicht. Wir nehmen es zur Kenntnis und wurschteln uns durch. Und was klar wird: wie richtig es ist, Helmut Schmidt in einen Flughafen zu verwandeln, und dass man jede Platte hören, jedes Buch lesen, jeden Film und jedes Tor sehen sollte, als wäre es von einem Toten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2837476
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 30.01.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.