Süddeutsche Zeitung

Lob der Realität:Der Termin

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Die Welt ist umbrandet von einem Getöse aus Terminen. Das kann man beklagen, aber unser Kolumnist findet im Terminwahnsinn auch eine innere Schönheit. Nur eines versteht er nicht ganz: Warum braucht man für den Termin eigentlich den Kaffee?

Von Peter Licht

Ist eine Zuspitzung von Zeit. Während die einen Menschen so leben, als hätten sie IMMER eine Termin, leben die anderen, als hätten sie nie einen. Die meisten Leute leben so zwischendrin. Ein Klischee der Moderne besagt, dass die terminschwächere Existenz die glücklichere ist, weil sie sich ausbreiten kann in den Hohlräumen ihres Wesens und nicht Sklave ist von Außenbestimmung. Dieses Klischee wird umso stärker behauptet, je mehr es Termine gibt in der Welt. Und wie wir alle wissen, gibt es ja tatsächlich etliche Termine auf diesem Planeten. Man könnte sogar sagen, dass es noch darüber hinausgeht, und es ZIEMLICH viele gibt. Also ECHT VIELE. Es gibt SEHR SEHR VIELE TERMINE. Die Welt ist umbrandet von einem Getöse aus Terminen. Und was läge näher, als einen dadurch entstehenden Schwund an Glückseligkeit zu vermuten? Doch man sollte es sich nicht zu einfach machen: Betrachtet man eine wandernde Sanddüne, wird man feststellen, dass sie terminlich nicht gebunden ist. Dass die Sanddüne deshalb glücklicher wäre, mag auf den ersten Blick so erscheinen, aber Zweifel daran erscheinen berechtigt. Sie ist unterwegs in einem ewigen Brei aus Zeit und Wind, und ihre einzigen Termine sind Sturmfluten oder Deichbauarbeiten. Was aber natürlich methodisch falsch ist, denn Sturmfluten und Deichbauarbeiten sind von außen hereinbrechende Fremdereignisse und keine schönen, abgemachten und durch gegenseitigen TERMINKALENDEREINSATZ ermittelten TERMINE. Die Sanddüne ist unterwegs, alles töfte, aber ob sie auch GLÜCKLICH ist, wie sie da zerknirscht und verweht am Meer entlangtrottet, man darf es bezweifeln.

Viel kann man in Wanderdünen hineinprojizieren: Ausgeglichenheit, Resilienz, Ausdauer. Okay. Aber Glück? Wenn man ehrlich ist, wird man feststellen, dass sie in der ganzen Zeit ihrer Wanderschaft keinen blassen Schimmer davon hat, wohin die Reise geht. Das zu wissen ist aber eine Voraussetzung für das Glück, und genau dieses Wissen bringt der Termin in Hülle und Fülle, weshalb er nach wie vor so gerne eingesetzt wird. Also die Reise geht zum Beispiel zum Kollegen Günther, mit dem man mal eine Sache besprechen muss auf eine Tasse Kaffee. Der TERMIN mit Günther nimmt einem die Angst vor der Unsicherheit, dass es vielleicht auch zu KEINEM TERMIN mit dem Kollegen Günther kommen könnte, und die Sache unbesprochen bliebe. Nein, andersrum: Termin findet statt! Ah fein! Termin mit Kollegen Günther, Kaffeetrinken, Sache besprechen!

An dieser Stelle rückt ein Detail in den Fokus, ohne dass man sich einen modernen Termin heute gar nicht mehr vorstellen kann: der Kaffee. Bei einem Großteil der Termine, die wir kennen, kann man eine zwangsläufige Verknüpfung der Phänomene Termin und Kaffee feststellen. So selbstverständlich uns dies erscheinen mag, ist es trotzdem verwunderlich, denn es begegnen sich hier zwei völlig gegenläufige Tendenzen: die angstLÖSENDE Wirkung des TERMINS wird durch die angstVERURSACHENDE Wirkung des Koffeins gewissermaßen gegengeblendet. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ist bekannt, dass die Einnahme von koffeinhaltigen Nahrungsmitteln wie zum Beispiel Kaffee Angstzustände oder Panikattacken auslösen kann (siehe DSM-IV, Diagnostik- Standardwerk für psychische Krankheiten).

Man fragt sich, wie das alles zusammenpasst, und man stellt fest: Es passt nicht zusammen. Aber vielleicht ist es ein Erklärungsansatz für die Frage, warum sich viele Termine im Kreise drehen. Und man eben doch nicht so genau sagen kann, wohin die Reise geht, wenn man ja eigentlich nur im Kreise unterwegs ist. Dann kann man vielleicht doch von Glück reden, wenn man eine Sanddüne ist, die geht wenigstens nicht im Kreise herum, und wenn doch, dann dauert es so unbeschreibbar lange, dass es niemand merkt. Noch nicht mal sie selber.

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Quelle:
SZ vom 28.01.2017
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