Fernfahrer:Warum erwachsene Männer ihren Arbeitsplatz wie eine Kirmesbude dekorieren

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Viel kräftige Farbe, viel Plüsch, viel Kunstleder: So lässt es sich fahren - und auffallen. (Foto: LKW-Zubehör)

Zu Besuch auf dem alten Autohof Berg, dem führenden Einrichtungshaus der Lkw-Republik.

Reportage von Andreas Glas, Berg

Ernst Auhuber steckt sich eine Kippe an und packt sein iPad auf die Werkbank. Zum Beispiel der Hugo, sagt er, und wischt mit dem Zeigefinger durchs digitale Fotoalbum. Armaturenbrett, Lenkrad, Rückwand, Decke, alles mintgrün. "Ich sag noch: Hugo, da wirst du doch blind." Aber der Hugo ist stur geblieben. Oder der Dirk, sagt Auhuber, und zeigt die Fotos vom Schafskopf, den er beim Dirk ins Führerhaus geschraubt hat. Samt Nebelmaschine, der Dirk wollte es so. Er kann jetzt einen Knopf drücken, dann qualmt es beim Schafskopf aus den Nasenlöchern. Ernst Auhuber lacht sein heiseres Roth-Händle-Lachen. Dann sagt er: "Mich wundert nichts mehr."

Auhuber, 66, ist ein Glatzkopf mit Schnauzer, mit tätowierten Unterarmen. Wer ihn besuchen will, fährt auf die A 9 in Richtung Hof, nimmt die Ausfahrt 31, lässt die Shell-Tankstelle links liegen und biegt ab ins "Reich der Lkw-Träume". So steht es auf der Homepage des alten Autohofs Berg, am Nordzipfel Bayerns. Direkt neben der Werkstatt befindet sich ein Laden, über dem Eingang steht: "Lkw Zubehör". Drinnen: Leuchtschilder mit Vor- und Spitznamen wie Peter, Moritz, Tobby; Mini-Schals, bestickt mit Ländernamen: Sweden, Italy, Austria; und neonfarbene Plüschwürfel, die von der Decke hängen. Als Nicht-Fernfahrer fragt man sich: Wieso, bitte schön, dekorieren erwachsene Männer ihren Arbeitsplatz wie eine Kirmesbude?

Der alte Autohof Berg ist ein guter Ort, um das rauszufinden. In der Fernfahrerszene ist er Kult, quasi das führende Einrichtungshaus der Lkw-Republik Deutschland. Eigentümerin ist die Lebensgefährtin von Ernst Auhuber. Sie ist 54 Jahre alt und trägt rahmenlose Brille zur blonden Kurzhaarfrisur. Der Aufdruck auf ihrer Weste verrät ihren Vornamen: Sabine. Über dem Namen das Logo ihres Unternehmens: ein Comic-Bär mit Westernhut. Der Trucker als lonesome cowboy. Fernfahrerromantik.

Eine Männerdomäne

"Es gab ja diese Filme", sagt Sabine Kniebaum. Sie imitiert jetzt den Sprecher aus dem Intro der alten ARD-Serie "Auf Achse", mit Manfred Krug. Sie sagt mit tiefer Stimme: "Franz Meersdonk, Günther Willers und ihre Maschinen, 320 PS". Als die Serie losging, Ende der Siebzigerjahre, da habe auch das mit der Lkw-Deko angefangen. Bei Manfred Krug hing ein Fuchsschwanz im Führerhaus. "Macht heute keine Sau mehr", sagt Kniebaum und greift eine Plastikgoldkrone aus einem Regal ihres Ladens. Eine Duftkrone, die man aufs Armaturenbrett pappt. Meistverkaufte Sorte: Vanille. "Mit der Krone habe ich angefangen", 1977 war das. "Kitsch pur."

Sie ist auf dem Autohof groß geworden. Ihre Eltern hatten hier eine Tankstelle mit Kneipe, damals die letzte Raststätte vor der Grenze. Acht Autobahnminuten bis zur DDR. Als Kniebaum zehn war, stellten ihr die Eltern einen Hocker hinter die Theke. Damit sie an den Zapfhahn kam und den Lkw-Fahrern das Bier einschenken konnte. Auch Hausaufgaben hat sie in der Kneipe gemacht, manchmal haben ihr die Fahrer geholfen. In den Sommerferien ist sie immer bei Konrad und Heinz in den Lkw gestiegen. Die haben sie mitgenommen in die Eifel, zu den Großeltern, weil sie eh immer in diese Ecke fuhren, um Holz abzuladen. Nach drei Wochen haben Konrad und Heinz die kleine Sabine wieder heimgeholt. "Die Kindheit auf dem Autohof war geil", sagt Kniebaum.

Ihr Vater nahm sie immer mit zu Trucker-Treffen. Im Sommer 1977, beim Treffen in Geiselwind, fiel ihr ein Händler auf, der Wimpel, Fähnchen und Schals verkaufte. Eine gute Geschäftsidee, fand Sabine Kniebaum. Ein kurzlebiger Trend, fand ihre Mutter. Am Ende setzte sich die Tochter durch, mit Unterstützung des Vaters. Kniebaum war 13 Jahre alt, da hing die erste Verkaufswand mit Lkw-Deko im Tankstellen-Shop ihrer Eltern. Die Ware hatte sie selbst ausgesucht, bestellt und einsortiert. Sehr bald, sagt Kniebaum, "hat auch meine Mutter erkannt, dass man damit Geld verdienen kann."

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Und warum geben die Fahrer dafür Geld aus? Woher kommt ihre Lust am Dekorieren? "Der Mensch will sich abheben", sagt Kniebaum. Vielleicht ist das wirklich schon die Antwort. Es gibt ja kaum eine Berufsgruppe, die derart uniform wahrgenommen wird wie die der Lkw-Fahrer. Sie steuern ihre Fahrzeuge so synchron über die Autobahn, so dicht an dicht, dass man den Blick für den einzelnen Lkw verliert. Man sieht nur noch die Kolonne, die wie ein einziger, monströser Wurm die rechte Spur entlangkriecht. Wer will schon in der Masse untergehen?

Der Fernfahrer ist nicht mehr Herr der Straße - aber Herr über sein Führerhaus

Sabine Kniebaum marschiert weiter durch die Regalreihen ihres Ladens. Vorbei an Lenkradschonern, Fußmatten, Kaffeemaschinen, Ventilatoren, Plüschtieren. Auch T-Shirts gibt es hier zu kaufen, mit Sprüchen drauf. Ein Beispiel: "Schlaf mit einem Lkw-Fahrer, Sie liefern immer." Na ja, die Szene sei halt immer noch eine Männerdomäne, sagt Kniebaum, "eine Macho-Clique". Dann zeigt sie auf diesen T-Shirt-Spruch: "Einige von uns wuchsen damit auf, mit Trucks zu spielen. Die Glücklichen unter uns tun das noch immer."

Die Glücklichen? Das war einmal, sagt Sabine Kniebaum. Die Cowboy-Romantik, die Freiheit der Straße, das sei längst vorbei. Termindruck, überfüllte Lkw-Parkplätze, der digitale Tachograf, der Lenk- und Ruhezeiten überwacht und bestimmt. Dazu die Billigfahrer aus Osteuropa, die von Speditionen ausgebeutet und von deutschen Fahrern angefeindet werden, weil sie die Löhne in der ganzen Branche drücken. Früher waren die Fernfahrer die Rebellen der Straße. Heute sind sie Getriebene. Getriebene, die in der Stadt zudem auch noch ständig Gefahr laufen, Fahrradfahrer oder Fußgänger zu übersehen. Die Angst vor einem schlimmen Unfall fährt ständig mit.

Angesichts solcher Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten von bis zu 60 Stunden die Woche verwundert es nicht, wenn der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung jüngst vor einem "Versorgungskollaps" warnte. Etwa 60 000 Arbeitsplätze für Lkw-Fahrer sind hierzulande aktuell frei. Die 560 000 Fahrer, die bei Speditionen in Deutschland angestellt sind, sind im Schnitt älter als 50. Jedes Jahr gehen 30 000 in Rente. Doch Nachwuchs gibt es kaum - da helfen auch die verrücktesten Ausbauten und Trucker-Verzierungen von Ernst Auhuber nicht.

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Während Sabine Kniebaum weiter durch die Regalreihen spaziert, erzählt sie von Beate Uhse. Die habe "mit Schmuddelkram ihr Geld gemacht", habe ihre Kunden aber "freier machen" wollen. Das will auch Kniebaum: die Kunden freier machen. Der alte Autohof Berg ist ein Ort der Selbstvergewisserung. Der Fernfahrer ist nicht mehr Herr der Straße, aber immer noch Herr übers eigene Führerhaus. Das ist die trotzige Botschaft, die Kniebaums Laden und die Werkstatt nebenan ausstrahlen.

Kniebaum weiß ja selbst, wie sich das anfühlt, wenn einem die Freiheit abhandenkommt. Im Jahr 1991 übernahm sie von ihren Eltern den Pachtvertrag für den Autohof. Nach der Grenzöffnung war die Raststätte vom Rand der Republik in die Mitte gerückt. Zur Jahrtausendwende zog sie mit Tankstelle und Kneipe um, noch näher an die Autobahn. Im Jahr 2007 kauft sie den alten, brachliegenden Autohof. "Goldgräberzeiten", sagt Kniebaum über die Zeit nach der Wiedervereinigung. Doch im Laufe der Jahre seien die Verträge mit den Tankstellenketten "härter" geworden. Alles habe man ihr vorschreiben wollen, "die Twix mussten hierhin, die Mars dorthin". Man kennt das ja auch als Autofahrer: Alle Tankstellen einer Marke sehen heute gleich aus, alle haben die gleiche Systemgastronomie. "Irgendwann habe ich mich in dieser Welt nicht mehr wohlgefühlt."

Vor vier Jahren holte sie sich ihre Freiheit zurück. Der Pachtvertrag endete, Kniebaum zog wieder aufs Gelände des alten Autohofs. Sie erfüllte sich einen Traum und ließ die "Berg-Hütte" bauen, ein Trucker-Restaurant in Skihütten-Optik, samt großem Lkw-Parkplatz. Anstelle einer Tankstelle entstanden der Lkw-Zubehörladen und die Werkstatt für die Innenausstattung der Trucks.

FC Bayern, "Rolling Stones", Phil Collins: für jeden Spleen die richtige Innenausstattung

Dort, in der Werkstatt, steht gerade ein Dreiachser, Achtzylinder, 620 PS, 26 Tonnen Eigengewicht. Der Fahrer des Lkw möchte, dass Ernst Auhuber sein Führerhaus komplett in braunem und cremefarbenen Kunstleder ausstattet. "Warme, gemütliche Farben. Das wollen die meisten haben", sagt Auhuber. Was das kostet? Etwa 1200 Euro für Decke, Rück- und Seitenwände. "Ungefähr ein Zehner" ist für die Rundumausstattung fällig, 10 000 Euro. Für einen Lkw-Fahrer ist das viel Geld. Zumal der Lkw in den allermeisten Fälle nicht ihm selbst gehört, sondern der Spedition. Man kann das mit dem Mieter einer Wohnung vergleichen, der sich auf eigene Kosten einen edlen Holzboden ins Wohnzimmer legt.

Ja, einen Holzboden habe er auch schon in einem Lkw verlegt, sagt Auhuber. Oft macht er auch thematische Innenausstattungen. FC Bayern, Rolling Stones, Phil Collins. Der Collins-Fan hatte sich den Sänger bereits großflächig auf Lkw und Anhänger lackieren lassen, mit Airbrush. Auhuber hat ihm dann goldene Schallplatten in die Rückwand montiert, seine Kollegen haben Fußboden und Sitze mit Collins-Signatur bestickt. Früher war Auhuber ja selbst Fernfahrer. Er nannte sich "Red Warrior", war vor allem im Süden unterwegs, Spanien und Portugal. In den Neunzigern war er einer der ersten Fahrer, dessen Fahrzeug komplett mit Airbrush lackiert war. "Da war ich der King", sagt Auhuber. Sein Führerhaus hatte er sich mit rotem Leder ausgestattet. Er sagt: "Ich wollte es gemütlich haben, wie daheim."

Wie daheim. Das ist natürlich der große Unterschied zwischen einem Lkw und einem Büro, einer Werkstatt oder einer Fabrik. Der Fernfahrer arbeitet nicht nur an seinem Arbeitsplatz, er wohnt und schläft auch dort. "Ich steige am Sonntag ins Auto ein und steige ein, zwei Wochen später wieder aus", sagt Ernst Auhuber. Im Grunde, sagt er, sei das alles leicht zu erklären: "Wenn nicht alles mausgrau ist, dann macht das einfach Freude."

© SZ vom 15.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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