Little Britain:Spanner oder nicht Spanner?

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Je nachdem, wo man wohnt, sieht man mehr oder weniger freiwillig, was die Nachbarn so tun. (Foto: iStockphoto.com)

Je nachdem, wo man wohnt, sieht man mehr oder weniger freiwillig, was die Nachbarn so tun. Unser Kolumnist hat seine schon öfter beobachtet und lässt sich jetzt auf einen Wettbewerb ein.

Von Christian Zaschke, London

Ein grauer Londoner Mittag empfing mich, als ich vom Labour-Parteitag in Brighton zurückkehrte, auf dem ich unendlich vielen Reden gelauscht hatte, während draußen dem Sommer doch noch ein würdiges Abschiedsspektakel gelungen war. Mit dem festen Vorsatz, eine melancholische Küsten-Kolumne zu schreiben, steuerte ich sogleich auf den Schreibtisch zu, erspähte das Paar im Haus gegenüber und hielt inne.

Rechtes Dachgeschoss, die beiden waren definitiv neu. Ich kenne alle Bewohner von gegenüber besser, als ich sollte, weil ich, wenn ich nicht gerade zum Labour-Parteitag nach Brighton fahre, tagein, tagaus im Büro sitze und viele Stunden damit verbringe zu beobachten, was drüben im Haus los ist. Ungefähr so wie James Stewart in Alfred Hitchcocks "Das Fenster zum Hof", mit dem Unterschied, dass ich mir kein Bein gebrochen habe, sondern von der Pflicht an den Fensterplatz gefesselt werde.

Die beiden, ein Mann und eine Frau um die 30, standen am Fenster und wirkten, als sei ihr Blick im gleichen Moment, in dem ich sie erspäht hatte, auf mich gefallen. Die Frau sagte etwas zu dem Mann. Vermutlich sagte sie: "Schau mal, der mittelalte Sack da in dem fiesen roten Pulli." Ich schaute die beiden unverwandt an. Die beiden schauten unverwandt zurück.

High Noon in Belsize Park

Der Mann sagte etwas zu der Frau. Vermutlich sagte er: "Meinst du, der Typ kämmt sich die Haare über die Geheimratsecken?" Ich kann nicht von den Lippen lesen, außerdem waren die beiden zu weit weg, geschätzte 30, 40 Meter, aber was sollen sie sonst gesagt haben? Ich starrte unverwandt. Wollen doch mal sehen, dachte ich. Zwei Dinge kann ich wirklich gut: Ich kann sehr gut so tun, als sei nichts, und ich kann sehr gut unverwandt starren. Die beiden starrten zurück. High Noon in Belsize Park.

Die Bäume im Innenhof standen mucksmäuschenstill. Kein Lüftchen regte sich, obwohl sonst immer ein leichter Wind geht. "Das haltet ihr nicht durch", flüsterte ich, "wenn's sein muss, starr' ich euch bis morgen früh an." Ich lächelte ein feines Lächeln. "Da seid ihr an den Falschen geraten", wisperte ich. Eigentlich bin ich der Pubertät knapp entwachsen, aber ich fühlte mich herausgefordert. 20 Sekunden vergingen. 25 Sekunden. "Na los", brummte ich. 30 Sekunden. "Jetzt gebt halt auf", knurrte ich. Plötzlich gab die Frau dem Mann einen Kuss von der Art Küsse, wie man sie nicht in der Öffentlichkeit austauscht, dabei streckte sie den Arm aus und zog an einer Schnur. Mit einem Ruck sauste das Rollo nach unten.

Kurz blinzelte ich. Dann tat ich so, als sei nichts, und starrte unverwandt auf das Rollo.

© SZ vom 28.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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