300 Jahre Liechtenstein:Kleines Land, großes Geld

300 Jahre Liechtenstein: Schloss Vaduz in Liechtenstein.

Schloss Vaduz in Liechtenstein.

(Foto: mauritius images)

Der Zwergstaat Liechtenstein wird 300 Jahre alt. Ein Besuch bei Europas reichstem Monarchengeschlecht oben im Schloss und bei den Bürgern unten im Tal.

Von Uwe Ritzer und Charlotte Theile

Eine Tafel warnt vor dem Näherkommen. "Keine Schlossbesichtigung" steht darauf in drei Sprachen. Wobei das Wort "Schloss" eine schamlose Untertreibung ist für dieses mächtige, mehr als 700 Jahre alte und prächtig herausgeputzte Bollwerk auf dem steilen Felsenkamm hoch über Vaduz, das nicht nur Liechtenstein, sondern das gesamte obere Rheintal dominiert. Es ist in Privateigentum und Sitz der Fürstenfamilie von Liechtenstein, Europas reichsten Monarchengeschlechts.

Ausnahmsweise öffnen sich die Pforten. Massive Metallgitter schieben sich langsam zur Seite, und eine freundliche Frau kündigt an, "der Diener" werde einen im Innenhof in Empfang nehmen. Der Mann in weißem Frack führt in eines der oberen Stockwerke, in einen komplett holzvertäfelten Raum mit Sofalandschaft, gerahmten Familienfotos und historischen Nachschlagewerken in den Regalen. Hier empfängt Alois von Liechtenstein, 50 Jahre alt, Erbprinz und als solcher offizielles Staatsoberhaupt des Fürstentums Liechtenstein.

Unten im Tal, drei, vielleicht vier Kilometer Luftlinie von der Schlossburg entfernt, erwartet Stefan Sprenger, 56, den Besucher vor seinem Haus in der Vaduzer Nachbargemeinde Schaan. Früher war das Anwesen eine Kokosfaserweberei; später haben seine Eltern hier elektrische Steuerungen und Schaltschränke hergestellt und verkauft. Sprenger ist einer von 38 100 Liechtensteiner Bürgern und der einzige bekanntere Schriftsteller des Landes.

Entlang an vielen Regalmetern mit Büchern führt er durch einen schmalen Flur in einen spartanisch eingerichteten Raum. Früher stand hier ein Webstuhl; heute ist es Sprengers Schreibwerkstatt. "Es gibt Phasen", sagt er, und lässt sich in einen alten, abgewetzten Ledersessel fallen, "da muss ich beim Schreiben diesem Land entfliehen". Zu eng ist es ihm dann geworden. An solchen Tagen setzt sich der großgewachsene Mann mit den grauen Haaren am Bahnhof nebenan in einen Zug und fährt durch die Schweiz oder Österreich. "Einfach unterwegs sein. Damit mein Kopf wieder frei ist, wenn ich zurückkomme."

Man tritt weder dem Schriftsteller noch dem Erbprinzen zu nahe, wenn man festhält: Die beiden Männer verbindet nichts. Auch nicht der 300. Staatsgeburtstag, den Liechtenstein 2019 feiert. Am 23. Januar 1719 verschmolz Kaiser Karl VI. die Herrschaft Schellenberg und die Grafschaft Vaduz zum Reichsfürstentum Liechtenstein. Was Stefan Sprenger und Alois von Liechtenstein über das Jubiläum und ihr kleines Land, über Monarchie und Demokratie, über Herrschaft und Untertanengeist denken, könnte gegensätzlicher nicht sein.

300 Jahre Liechtenstein: Schloss Vaduz in Liechtenstein.

Schloss Vaduz in Liechtenstein.

(Foto: mauritius images)

"Die Interessen von Familie und Land sind im Normalfall kongruent", sagt der Erbprinz oben auf der Felsenburg, schließlich sei "die Familie dafür verantwortlich, dass Liechtenstein überhaupt existiert". Und: "Die Monarchie genießt einen großen Rückhalt in der Bevölkerung und prägt auch die Identität des Landes."

Unten im Tal fragt sich hingegen der Schriftsteller, "ob das wirklich auch meine Geschichte oder die meines Staates" ist, die da ein ganzes Jahr lang gefeiert werden soll. Und kommt zum Ergebnis: "Dieses Jubiläum ist ein Geschichtskonstrukt." Kein Land feiere sich da, sondern eine Herrscherfamilie. Deswegen sei in der Bevölkerung auch "ein kollektiver Missmut, eine Unlust zu spüren. Die Menschen spüren instinktiv, dass das nicht ihr Jubiläum ist."

Oder vielleicht doch?

Liechtenstein ist in vielfacher Hinsicht ein exotisches Gebilde. Ein alpiner Zwergstaat, viertkleinster in Europa, knapp 25 Kilometer lang und maximal zwölf Kilometer breit, eingeklemmt zwischen der 260-mal größeren Schweiz und Österreich. Kein Mitglied der EU, wohl aber des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR). Das Land ist sehr reich; die öffentlichen Kassen sind voll, das durchschnittliche Einkommen pro Kopf ist weltweit eines die höchsten. Seit 1868 hat Liechtenstein keine Armee mehr, was sich nicht als Schaden erwies. Die adelige Herrscherfamilie kann durchregieren wie keine andere in Europa. Liechtenstein ist eine Demokratie von Fürsten Gnaden.

Es ist das Resultat eines anderthalb Jahrzehnte langen Machtkampfes zwischen Fürstenhaus, Parlament und einer Demokratiebewegung, an dessen Ende 2003 Landesfürst Hans-Adam II., Vater des Erbprinzen Alois, die in Teilen aufmüpfig gewordenen Untertanen in die Knie zwang. Er drohte ihnen, samt Familie nach Wien umzuziehen und das Land seines Namens seinem Schicksal zu überlassen. Davon eingeschüchtert, änderte das Volk per Abstimmung die Verfassung nach seinem Willen.

Gala voor Deense kroonprins Frederik

Prinz Alois and Prinzessin Sophie von Liechtenstein.

(Foto: Patrick van Katwijk/dpa)

Konnte der Monarch vorher schon Gesetze ablehnen, Strafverfahren niederschlagen oder den Landtag auflösen, darf Durchlaucht seit 2003 auch die gewählte Regierung entlassen oder austauschen, Richter ernennen oder den Staatsgerichtshof entmachten. "Das geht in Richtung Spätabsolutismus, Anfang 19. Jahrhundert", kommentierte 2003 Mario Frick, zwei Jahre zuvor noch Regierungschef.

Die heftigen Debatten jener Jahre scheinen verflogen zu sein, öffentlich zumindest. Unterschwellig jedoch hallen sie nach. "Wir hatten mit der Abstimmung über die Verfassung unseren Donald-Trump-Moment, dem Staatsgewalten komplett wurscht sind, solange sie ihm dienen", platzt es bei einem Mittagessen 15 Jahre später plötzlich aus Sigvard Wohlwend heraus, einem Liechtensteiner Dokumentarfilmer: "Herrschen und Teilen beherrscht der Fürst wie sonst kaum jemand, und die Parteien und Politiker lassen sich das gefallen."

Und Stefan Sprenger lästert in seiner Schreibwerkstatt über das "Staatsevangelium nach Hans-Adam", wie er es nennt, das da laute: "Die Edlen von Liechtenstein dienen dem Land und ihrer Bevölkerung, sie gewähren ihnen Schutz vor den Wechselfällen der Geschichte und sorgen für eine beschwerdefreie Zukunft." Wobei viele im Land das wirklich glauben.

Der 73-jährige Hans-Adam II. ist nach wie vor der starke Mann in Familie und Staat - auch wenn sein ältester Sohn Alois seit 2004 Staatsoberhaupt ist. Eine weibliche Thronfolge schließt das Hausgesetz aus. Dem Erbprinzen, der mit einer Ururgroßenkelin des letzten bayerischen Königs Ludwig III. verheiratet ist, scheint die bisweilen brachiale Wortwahl des Vaters fremd zu sein, zumindest öffentlich. Beim Gespräch im holzvertäfelten Empfangszimmer auf Schloss Vaduz formuliert er ruhig und überlegt. Das Staatsoberhaupt skizziert das Land als modernen, dank seiner Winzigkeit sehr flexiblen und schnellen Staat. Der Vorteil der Monarchie Liechtensteiner Prägung sei die Langfristigkeit.

Das Fürstenhaus hat viele Pflichten, aber eine definitiv nicht: Steuern zahlen

"Der Fürst muss nicht alle vier Jahre wiedergewählt werden, deshalb kann er eine langfristige Ausrichtung in die Politik einbringen", sagt Erbprinz Alois. "Er kann auch unpopuläre Themen ansprechen und frühzeitig die Weichen stellen." Und überhaupt: "Das Volk kann dem Fürsten das Misstrauen aussprechen und sogar die Monarchie abschaffen. Er muss also immer auf das Volk hören." Was die Fürstenfamilie definitiv nicht muss, ist: Steuern zahlen.

Das trug und trägt enorm zu ihrem Milliardenvermögen bei. Ihre LGT-Bank ist von Vaduz aus zur globalen Größe im Vermögensmanagement geworden; sie verwaltet 180 Milliarden Euro Kundengeld. Dem Fürstenhaus gehören gewaltige Ländereien, hauptsächlich in Niederösterreich, Industriebeteiligungen, ein riesiger Immobilienbesitz und eine der größten und wertvollsten privaten Kunstsammlungen.

"Wir legen Wert auf Unabhängigkeit"

Die Grenzen zwischen privaten Geschäfts- und Staatsinteressen verschwimmen oft. Wenn etwa das Fürstenhaus die fragwürdige Enteignung von Hunderten Hektar Land 1945 in Tschechien dort vor Gerichten anficht, kann es sich auf diplomatischen Flankenschutz durch seine Regierung verlassen. Zu Recht, findet man auf Schloss Vaduz, schließlich profitiere das Land umgekehrt von der Familie.

"Liechtenstein war einst ein armer Bergbauernstaat, die Fürsten haben Geld investiert, damit es überleben konnte", sagt Erbprinz Alois: "Nicht das Volk hat die Monarchie finanziert, es war umgekehrt." Und was das leidige Steuerthema angeht - die Familie trage dafür schließlich alle "mit der Monarchie verbundenen Kosten selber".

Tatsächlich sind die Herrschaft Schellenberg und die Grafschaft Vaduz bettelarm, als Fürst Johann Adam I. von Liechtenstein sie 1699 und 1712 den verschuldeten Grafen von Hohenems abkauft. Daran ändern auch die Erhebung zum Fürstentum 1719 und die Anerkennung als souveräner Staat 1806 nichts. "Im 19. Jahrhundert gibt es sogar zwei schlimme Hungersnöte, eine davon mit Toten", sagt Andreas Brunhart, Forschungsleiter Wirtschaft am Liechtenstein-Institut in Bendern.

Erst nach mehreren Generationen lässt sich ein Fürst von Liechtenstein in seinem Staat blicken. Und mit Franz Josef II., dem Großvater von Erbprinz Alois, zieht erst 1938 ein Oberhaupt der Herrscherfamilie ins Fürstentum, 219 Jahre nach der Gründung. Allgemeiner Wohlstand entwickelt sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem sich das Land neutral verhält, gleichwohl in seinen Fabriken Teile für deutsches Kriegsgerät produziert werden.

Heute gibt es in Liechtenstein so viele Arbeitsplätze wie Einwohner. Ein Drittel davon in der Industrie; der bekannteste Konzern ist der Werkzeug-Riese Hilti. Gerade erst feierte Wirtschaftsminister Daniel Risch das Land als Exportweltmeister. Weit mehr als die Hälfte des Inlandsprodukts erwirtschafte man mit dem Verkauf ins Ausland und damit anteilig sogar mehr als der große Nachbar Deutschland.

Die meisten Deutschen freilich nehmen Liechtenstein nicht als Industriestandort wahr, sondern als das kleine Land des großen Geldes. Bei der Einreise von Österreich her nährt gleich das erste markante Gebäude nach dem Grenzposten diesen Eindruck: eine Spielbank. Ein grauer Klotz, der noch nicht lange da steht - und in die Irre führt. Das Fürstentum war nie ein Paradies für Zocker. Sondern für reiche Menschen aus aller Welt, die ihr Geld sicher bunkern oder waschen wollten.

Häufig war es schmutziges Geld, und manchmal klebte Blut daran. Despoten hatten es zuvor ihren Völkern in Afrika oder Lateinamerika gestohlen. Andere hatten es mit illegalen Geschäften angehäuft und wieder andere wollten es einfach nur am Finanzamt vorbeischmuggeln. Auch viele deutsche Steuerbetrüger schätzten die Verschwiegenheit Liechtensteins.

Die Rolle als willfähriger Helfer, der nie nachfragt, sondern lieber mitkassiert, habe das Fürstentum selbst massiv verändert, glaubt Stefan Sprenger. Es habe sich "vor allem in den Siebziger- und Achtzigerjahren vom Finanzplatz abhängig gemacht. Er hat die Menschen in eine Art Geiselhaft genommen und dem Land das Gesetz der Omertà, des Schweigens, aufgedrückt." Der Schriftsteller hat darüber ein Theaterstück und ein Buch geschrieben, "Krötenarie" heißt es.

Andreas Brunhart vom Liechtenstein-Institut analysiert volkswirtschaftlich neutral: "Der Finanzplatz hatte einen direkten Einfluss auf die Entwicklung des Wohlstandes, aber auch einen indirekten." Weil er auch ausländisches Kapital für Investitionen im Land generiert habe: "Ein liberales Wirtschaftsrecht und niedrige Steuern waren ebenfalls wichtig."

Die Geldgeschäfte selbst liefen lange großartig. Hinter den meist unscheinbaren Fassaden von Treuhandbüros und Banken wurden gegen ordentliche Gebühren Hunderte Milliarden Euro verwaltet, in Stiftungen, Briefkastenfirmen und anderen Konstrukten. Bis am 14. Februar 2008 zerbrach, was Stefan Sprenger poetisch den "flaumigen Traum des Landes" nennt.

Ausgerechnet an Hans-Adams Geburtstag durchsuchten Polizei und Staatsanwälte das Haus von Deutsche-Post-Chef Klaus Zumwinkel in Köln. Schon vorher waren immer wieder Geldverstecke deutscher Steuerhinterzieher in Liechtenstein aufgeflogen; diesmal aber knallte es richtig. Heinrich Kieber, Mitarbeiter der fürstlichen LGT, hatte die Daten Hunderter Kunden kopiert und an die Finanzbehörden ihrer Heimatländer verkauft. Danach tauchte er mit Hilfe von Geheimdiensten unter.

Nach dem Finanzskandal kämpfte sich Liechtenstein weg vom internationalen Pranger

"Er hat eine australische Identität angenommen und wird vermutlich nirgendwo in der Welt als Heinrich Kieber erkannt", sagt Sigvard Wohlwend, der einen Dokumentarfilm über ihn gedreht hat. In Liechtenstein ist der Datendieb Staatsfeind Nummer eins - und ein Tabu. "Hier ist jeder froh, wenn das Thema nicht mehr angesprochen wird", sagt Wohlwend.

Nach dem Steuerskandal ging alles schnell. Beschimpfte Hans-Adam II. kurz danach Deutschland noch als "viertes Reich", kündigten Fürstenhaus und Fürstentum bald an, dass man künftig nur noch sauberes Geld annehme. USA und EU im Nacken, kämpfte sich das Land mit Reformen und Abkommen weg vom internationalen Pranger. Schneller als die Schweiz verpflichtete man sich, automatisch die Kontostände ausländischer Anleger deren Heimatländern zu melden. Längst hat auch Deutschland wieder seinen Frieden mit dem Nachbarn gemacht. "Die Art und Weise, wie der Finanzplatz Liechtenstein früh und konsequent auf Transparenz gesetzt hat, ist sehr erfreulich", lobt der deutsche Botschafter Norbert Riedel.

Im Jubiläumsjahr 2019, das am 23. Januar mit einem Sternmarsch samt offiziellem Festakt beginnt, dürfte der Steuerskandal keine Rolle mehr spielen. Ausstellungen, Vorträge, Theater, Forschungen und Feste sind geplant. Aber identifiziert sich das Volk nun wirklich mit 300 Jahren Fürstentum?

Sehr, glaubt der Erbprinz. Kaum, meint der Schriftsteller. Sprenger kramt einen Brief hervor, den er 2017 an eine Schweizer Zeitung geschrieben hat. Sie hatte ein Inserat der LGT-Bank mit einem Zitat von deren Chef, Fürstensohn Philipp von Liechtenstein, gedruckt: "Wir legen Wert auf Unabhängigkeit, deshalb haben wir 1719 unser eigenes Land gegründet." Fürstenhaus, Bank, Staat - alles ein und dasselbe? Stefan Sprenger findet: Das geht dann doch zu weit.

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