Liebe in Europa:"Bei uns geht es zu wie in Babel"

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Wie funktioniert eine Beziehung, wenn man noch nicht einmal in derselben Sprache streiten kann? Wo sollen die Kinder aufwachsen? Was passiert, wenn fehlendes Toilettenpapier zum Kulturschock wird? Fünf Paare berichten von ihren Erfahrungen mit grenzübergreifender Liebe.

"Frans spricht mit unserem Sohn Holländisch, ich spreche mit unserer Tochter Dänisch. Wir beide sprechen Englisch miteinander, die gemeinsame Familiensprache ist aber Spanisch. Zu unserem linguistischen Universum gehören außerdem noch Deutsch und Valencianisch. Es ist ein wahres Babel, in dem unser 21-jähriger Lukas und die achtjährige Sara aufwachsen. Diese Mehrsprachigkeit ist ein riesiger Vorteil in der Erziehung. Wir sind vor zwei Jahrzehnten nach L'Alfàs del Pi gekommen. Dieser kleine Ort in der Region Valencia ist selbst ein gutes Beispiel für Vielsprachigkeit. In der Gegend leben Ausländer aus 30 verschiedenen Staaten. Die größte ist die norwegische Kolonie.

Die Dänin Aleksandra Fronciak, 44, und der Niederländer Frans Buitelaar, 44, leben in Spanien. (Foto: Pepe Olivares)

Frans arbeitet für eine Spedition und ich arbeite für eine dänische Firma, die Früchte exportiert. Lukas ging zuerst auf eine Privatschule, aber das lief nicht gut. Als er mit dem Gymnasium fertig war, haben wir ihn nach Dänemark geschickt, dort studiert er Betriebswirtschaftslehre. Sara geht nun auf eine öffentliche Schule. Sie ist in der dritten Klasse. Es läuft super. Sara hat schnell die Regionalsprache Valenciano gelernt, sie hat ein Ohr für Sprachen. Lukas tat sich in Dänemark sehr leicht, obwohl er die Sprache anfangs nur sprechen und nicht schreiben konnte. Seine Noten in Sprachen sind sehr gut.

Das spanische Schulsystem finden wir problematisch. Lukas ist schon als Dreijähriger in die Schule gegangen, mit 14 war er ausgebrannt. Es gibt kaum pädagogische Ansätze, wie man einen Jungen, der gerade ein Tief hat, da wieder herausholt. Hier wird nur bestraft, anstatt die positiven Seiten eines Jugendlichen zu suchen. Das Gymnasium ist zu theoretisch, Praktika in Betrieben? Fehlanzeige. Neue Technologien kommen kaum vor, stattdessen wird den ganzen Tag gepaukt. In Saras Klasse gab es einen Informatik-Kurs, aber sie hat fast nur gezeichnet. In Spanien gibt es zu viele Ferien; der Lehrplan müsste gleichmäßiger verteilt werden. Schon jetzt steht es um das Bildungssystem in Spanien nicht zum Besten. Durch Krise und Einsparungen wird es wohl noch schlimmer. Und dann sollen auch noch die Klassen größer werden - eine Katastrophe! Die schwächeren Schüler werden dadurch wohl noch schneller den Anschluss verlieren."

Protokoll: Santiago Navarro, El Pais

"Als wir uns kennengelernt haben, war Sophie für ein Erasmus-Jahr in Madrid. Sie war die Mitbewohnerin von einem Freund, den ich dort besucht habe. Damals habe ich noch in meiner Heimatstadt in Galicien gelebt. Sophie war schon fast ein Jahr dort, ihr Spanisch war gut. Wir sprechen immer noch meistens Spanisch. Nur wenn sie etwas Kompliziertes erklären muss, wechselt Sophie manchmal zu Englisch.

Jesús Carrera, 30, Web-Entwickler aus Spanien und Sophie Tafel, 26, Event-Managerin aus Deutschland. (Foto: Christian Sinibaldi)

Als wir uns begegneten, war ich gerade auf dem Sprung nach London. Galicien ist reizend aber provinziell, ich wollte das Leben in einer Großstadt kennenlernen. London war besonders interessant, weil es dort gute Chancen für Internet-Spezialisten gibt. Außerdem sind die Löhne dort höher. Als ich 2007 hierher kam, dachte ich, ich würde nur ein Jahr bleiben. Jetzt sind es bald fünf Jahre. Ich habe heute meine eigene Firma und helfe Unternehmen dabei, sich online besser zu vermarkten.

Sophie ist 2010 nach London gekommen, um ihren Master in European Studies an der London School of Economics zu machen. Erst da sind wir ein richtiges Paar geworden und haben die Lebensgewohnheiten des anderen kennengelernt. Am meisten begeistert mich ihre Art zu frühstücken. Früher habe ich vielleicht etwas Milch getrunken und einen Keks gegessen. Jetzt sind das richtige Mahlzeiten mit Müsli, Salami, Käse, es hört gar nicht mehr auf.

Wir mögen London, aber ich glaube nicht, dass wir hier auf Dauer bleiben. Die Stadt ist so hektisch, man kommt gar nicht zur Ruhe. Ich glaube, wir werden wieder nach Spanien gehen. Sophie gefällt es dort, und ich habe noch keinen besseren Ort auf der Welt gefunden. Sophie hat auch schon überlegt, nach Deutschland zurückzukehren, weil dort die Wirtschaftslage besser ist."

Protokoll: Lizzy Davies, Guardian

"Gerade haben wir uns nach zweieinhalb Wochen wiedergesehen, das ist der normale Rhythmus. Meistens verbringen wir ein verlängertes Wochenende zusammen, aber manchmal auch mehr, unsere Arbeiten können wir ja eigentlich überall schreiben. Wir gehen dann zusammen in die Bibliothek in Berlin oder Kopenhagen. Da sind wir natürlich als Studenten flexibler, als wenn wir eine feste Arbeitsstelle hätten. Kennengelernt haben wir uns in Dänemark bei einer Verlobungsfeier von gemeinsamen Freunden. Die haben übrigens eine transatlantische Beziehung geführt, bevor sie sich verlobt haben - von Dänemark in die USA.

Wir haben noch nie gemeinsam an einem Ort gewohnt. Aber in unserem Freundeskreis hat keiner gestaunt, da gibt es sehr viele Fernbeziehungen. Es ist heute ja fast selbstverständlich, dass man einige Zeit im Ausland studiert, so ergibt sich das. Es ist auch schön, dass man durch eine Fernbeziehung ein anderes Land, eine andere Kultur kennenlernt. So positiv muss man das sehen. Am Anfang haben wir miteinander Englisch gesprochen, aber jetzt reden wir nur noch Deutsch. Das war eine bewusste Entscheidung, weil Mathias Deutsch kann.

Keine Ahnung, in welcher Sprache wir uns streiten würden, bislang ist das noch nicht passiert. Irgendwie findet man immer einen Ausdruck für das, was man sagen will. Große kulturelle Unterschiede haben wir nicht festgestellt, eher Kleinigkeiten - zum Beispiel, dass Deutsche mittags warm essen und abends kalt; in Dänemark ist es andersrum. Wir telefonieren jeden Tag miteinander. Manchmal nutzen wir die Videofunktion von Skype, aber den anderen zu sehen, obwohl er weit weg ist, macht es auch nicht gerade leichter.

Und wir schreiben uns Briefe, nicht seitenlang, eher ein schöner Gruß. Das ist toll, wenn man abends nach Hause kommt und im Briefkasten liegen nicht nur Rechnungen. Zum Glück gibt es Billigflieger, man muss nur früh genug buchen. Deshalb ist unser Leben immer Monate im Voraus geplant. Wenn wir auseinandergehen, wissen wir immer, wann wir uns wiedersehen. Das macht es etwas leichter. Dieses Jahr beenden wir beide unser Studium, dann können wir uns neu orientieren. Wir wollen in Berlin zusammenziehen. Über Kopenhagen können wir später noch nachdenken."

Protokoll: Caroline Ischinger, SZ

"Sieht so Erasmus aus? Mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen zu werden, um seinem Erasmus-Baby das Fläschchen zu geben? Alles begann am Anfang des 21. Jahrhunderts. Ich studierte am Institut für Politik in Straßburg, und ich hatte zwei Leidenschaften: die arabische Welt und Europa. Die erste hatte ich bei einem Auslandsjahr an der Universität Birzeit im Westjordanland gestillt. Nach meiner Rückkehr lebte ich in Straßburg meine zweite Leidenschaft aus: Mit Erasmus-Studenten vom ganzen Kontinent gründete ich das mehrsprachige Europa-Magazin Cafebabel. Heute besuchen jeden Monat mehr als 300.000 Leser die Website.

Das Schönste am internationalen Austausch war aber unbestritten diese Irin. Nuala studierte Wirtschaft, Französisch und Politik am Trinity College in Dublin und hatte sich für Straßburg entschieden. Später habe ich als freier Journalist in Irland eine Reportage nach der anderen geschrieben, um meine Irin davon zu überzeugen, das Abenteuer Europa gemeinsam zu wagen. 2004 ist Nuala schließlich nach Paris gekommen.

Heute ist sie für die Kommunikation eines europäischen Programms in Lille zuständig, und ich arbeite für den Wirtschaftsteil von Le Monde. Seit April ist der kleine Ciaran unser gemeinsames europäisches Projekt."

Philippe Jacqué, Le Monde

"Wir haben uns 2002 kennengelernt, als Juan mit einem Erasmus-Programm nach Polen gekommen ist. Ich war damals die Koordinatorin für die Studenten aus dem Ausland. Juan ist einfach geblieben. Oft werden wir gefragt: 'Was macht ihr in Polen? Und noch dazu in Kattowitz!' Schlesien, das ist doch ein Bergwerk, eine Arbeiterregion, die in Polen nicht gerade als liebreizend gilt. Wir sind geblieben, weil Juan meine Heimat kennenlernen wollte, die Sprache, das Land. Aber wir reisen viel, mindestens einmal im Jahr sind wir auch in Spanien.

Juans Mutter kommt mindestens zwei Mal im Jahr aus Galicien in Spanien mit dem Flugzeug hierher. Jedes Mal machen wir einen Ausflug mit ihr, wir übernachten bei Verwandten oder Bekannten in verschiedenen Städten. Juans Mutter liebt die polnische Suppe, den Schurek. Nur die Krankenhäuser gefallen ihr nicht. Sie arbeitet selbst als Krankenschwester, und als sie mich nach der Geburt unserer Tochter in der Klinik besucht hat, war sie schockiert über die Ausstattung, den unfreundlichen Ton des Personals und dass die Patienten ihr eigenes Toilettenpapier mitbringen mussten.

Meine Eltern waren auch ein paar Mal in Spanien zu Besuch. Die Sonne, das Meer, das leckere Essen und die Fröhlichkeit der Menschen haben ihnen sehr gefallen. Unsere beiden Mütter verstehen sich mit Hilfe ihrer Wörterbücher bestens. Wir brauchen gar nicht zu dolmetschen. Manchmal fragen wir sie, worüber sie sich unterhalten haben und fast immer hören wir dann zwei unterschiedliche Geschichten.

Das Geld war am Anfang knapp. Wir haben von meinem Gehalt an der Uni gelebt, Juan hat Spanisch unterrichtet. Dann hat er bei einer spanischen Logistikfirma Arbeit gefunden. Inzwischen ist er dort zum Generaldirektor aufgestiegen. Ob wir es in Spanien wohl besser hätten? Schwer zu sagen. Nach seinem Abschluss hatte Juan ein Angebot bekommen, für 2000 Euro im Monat in Spanien zu arbeiten. Damals war das eine Menge Geld, erst recht in Polen. Heute sind die Gehaltsunterschiede nicht mehr so groß. Jetzt, in Zeiten der Krise, hätten wir es in Spanien bestimmt schwerer. Juan findet es faszinierend zu beobachten, wie schnell sich Polen verändert, wie Kattowitz mehr und mehr Investoren anzieht und zum Wirtschaftszentrum dieses Teils von Polen wird.

Unsere Leidenschaft ist der Sport. Wir haben gemeinsam an einem großen Triathlon teilgenommen, im nächsten Jahr wollen wir den Schlesischen Marathon mitlaufen. Juan findet, dass man den Polen die Last der Vergangenheit anmerkt. Bei der Arbeit ist es schwer, jemanden zu finden, der Entscheidungen trifft und Verantwortung übernimmt und keine Angst vor Fehlern hat. Die Menschen ziehen es vor, die Anweisungen anderer auszuführen.

Uns verbindet die Offenheit für fremde Kulturen. Außerdem: wer schaut denn schon in den Pass, wenn er sich verliebt!"

Protokoll: Izabela Zbikowska, GW

Diese Liebesgeschichten sind in der Europa-Beilage der SZ erschienen, die Süddeutsche Zeitung, El País, The Guardian, Gazeta Wyborcza, La Stampa und Le Monde zusammen publiziert haben. Das Dossier finden Sie auf dieser Seite.

© SZ vom 31.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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