Leopoldskron bei Salzburg:Ein Schloss für Träumer

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Reinhardt-Ehefrau Helene Thiemig, Max Reinhardt und Albert Einstein bei einem Galaessen 1935. Die Aufnahme entstand in den USA, wohin der deutsche Forscher nach der Machtergreifung der Nazis fliehen musste. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Das grandiose Barockanwesen Leopoldskron, am südlichen Rand Salzburgs, ist selbst so etwas wie eine Bühne: Vor 100 Jahren ließ sich hier Max Reinhardt nieder, Genie des Theaters und Gründer der Salzburger Festspiele.

Von Anne Goebel

Was für eine Riege an Palastherren und -herrinnen: Ein gottesfürchtiger Barockfürst mit finsterem Vermächtnis. Ein unglücklicher König, vom eigenen Volk davongejagt, sodann hundert Jahre später eine Ungarin, die ihr attraktives Äußeres hingebungsvoll in den Dienst der Nazis stellte. Ein Theaterimpresario, der sich keinen besseren Ort für seine Regieeinfälle hätte aussuchen können als dieses Anwesen, das vom Keller bis zum Dach voller Geschichten steckt.

Schloss Leopoldskron, unterhalb der Salzburger Festung gelegen, ist selbst so etwas wie eine Bühne. Eine besonders prächtige wohlgemerkt, schwanenweiß aufragend am Ufer eines Sees. Besucher nähern sich standesgemäß, über eine fast 200 Jahre alte Kastanienallee, durch die heute Autos brausen.

Max Reinhardt, Regisseur, Intendant, umschwärmter Schauspiel-Zampano, war der berühmteste Besitzer von Leopoldskron. Hundert Jahre ist es her, dass er im April 1918 das Palais erwarb. Ein folgenschwerer Kauf, deshalb wird in der Stadt an das Jubiläum erinnert. Denn nur zwei Jahre später verhalf Max Reinhardt als Gründer der Salzburger Festspiele dem Bischofssitz am Fuß der Alpen zu der Weltbedeutung, auf die man heute so stolz ist.

Gemessen daran fällt das Gedenken an den segensreichen Immobilienhandel recht gemäßigt aus. Eine sorgsam komponierte Fotoausstellung mit Begleitheft, ein Lunch für ausgewählte Gäste, das war's. Klein, aber fein, könnte man sagen. Es sollte wohl nicht viel Pulver verschossen werden vor der runden Festspielsause 2020.

"Vergessen S' die chinesischen Nachtigallen nicht!"

Womöglich liegt es auch daran: Das Leopoldskron von heute ist ein Ort der Diskretion (im Unterschied zu Reinhardt, der große Auftritte und dicke Zigarren liebte). Besucher werden im Jubiläumsjahr von keinem Schlossherrn empfangen, aber so ähnlich: von einem Hoteldirektor. Seit vier Jahren ist der Gebäudekomplex samt Park eine Luxusherberge, geleitet von Daniel Szelényi. Der 42-Jährige - Hipsterbart, handgenähte Schuhe - brachte die nötige Fünf-Sterne-Erfahrung mit, um das Hotel zu etablieren. Als Quartier mit Charakter, exklusiv, aber ohne glattgebügeltes Design-Einerlei. Der Hausprospekt ist auf griffigem Papier gedruckt. Hochzeitsgesellschaften feiern gerne auf der Terrasse mit Seeblick. Die Geschäfte laufen gut.

Aber Szelényi will seinen Gästen auch den "Geist dieses großartigen Ortes" nahebringen. Für ihn ist das in erster Linie der Geist Reinhardts. Eine Kollektion gerahmter Fotografien in der Bibliothek erinnert neuerdings an den "Theatermagier". Sie sollen später ausgewählte Suiten schmücken. Beim Rundgang erläutert der Hotelier den Commedia dell'Arte-Dekor im Venezianischen Salon. Lauscht dem Knarzen des Parketts, trägt mit lauter Stimme farblich markierte Passagen aus einer zerlesenen Reinhardt-Biografie vor - ein würdiger Hüter des Vergangenen. "Unglaublich, was Max Reinhardt hier in zwanzig Jahren erschaffen hat", sagt Szelényi. Länger durfte Reinhardt, 1873 geboren als Max Goldmann, Sohn eines jüdischen Kleinhändlers aus Wien, nicht Schlossherr sein. 1938 konfiszierten die Nazis Leopoldskron.

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(Foto: Volker Preußer / Imago)

Kulisse großer und kleiner Dramen: Schloss Leopoldskron wurde 1736 erbaut.

Geprägt hat das Anwesen vor allem Max Reinhardt: Er ließ die berühmten Seepferdchen im Park aufstellen.

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(Foto: Alamy/mauritius images)

Auch die Bibliothek hat der Theatermacher eingerichtet - nach dem Vorbild der St. Galler Stiftsbibliothek.

Im Garten lauscht Reinhardt (im Bild links) dem Dramatiker Hugo von Hofmannsthal.

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(Foto: Manfred Siebinger/imago)

1920 gab es den ersten "Jedermann" - bis heute eröffnet das Stück hier die Sommerfestspiele. Die aktuelle Inszenierung ist mit Tobias Moretti und Stefanie Reinsperger besetzt.

Dass die Festspiele direkt vor den Toren ihrer schönen Stadt erfunden wurden, gefällt den Salzburgern natürlich sehr. Das fügt sich perfekt in den Mythos, an dem jeden Sommer weitergewoben wird, wenn von Ende Juli an Bühnenstars und Operndiven, Prominenz, Jungschauspieler und Adabeis für Hochstimmung unter Kulturmenschen und Geschäftsleuten sorgen. Dieses Jahr schaute bereits die britische Premierministerin Theresa May in bestickter Abendrobe vorbei. Kristallhersteller Swarovski lud zum Empfang der tausend Funkelsteine. Bianca Jagger lauschte den Klängen von Richard Strauss, Zaungäste trotzten stundenlang der mörderischen Schwüle - der übliche Wahnsinn zwischen Getreidegasse und Festspielhaus.

Dabei darf man nicht vergessen: Reinhardt, seit etwa 1905 Großherrscher im deutschen und europäischen Theaterhimmel, stets umgeben von Bewunderern und schönen Frauen, hätte ja Berlin erwählen können für seinen Plan eines Freilichtfestivals. Dort hatte er sich mit neuartigen Inszenierungen, ohne Interesse an Genregrenzen zwischen Sprache, Tanz, Musik, den Ruf eines Revolutionärs erarbeitet. Aber: Die Buhlschaft, der Jedermann, das ganze schöne Bahö (Bohei, Wirbel) bei den Piefkes? Das wäre aus österreichischer Sicht eine schlimme Laune des Schicksals gewesen.

"Ich bin Wiener von Geburt und ein Schüler des alten, herrlichen Burgtheaters", heißt es in Aufzeichnungen Reinhardts. Und weil im Süden die Sommerfrische Leopoldskron lockte, wurde das Festspielprojekt in Salzburg umgesetzt. Am 22. August 1920 gab es den ersten "Jedermann" auf dem Domplatz, Text: Hugo von Hofmannsthal, Regie: Max Reinhardt. Ein überwältigender Erfolg. Bis heute eröffnet das Stück hier die Sommerfestspiele.

Das verträumte Barockanwesen Leopoldskron, gedacht als Rückzugsort für Reinhardt und seine zweite Frau Helene Thimig, wurde zur In-Location der ersten Festspieljahre. Literaten, Künstler, Filmstars gingen ein und aus. 1736 erbaut von Fürsterzbischof Leopold von Firmian, der seine Regentschaft liberal begann, später aber unbarmherzig die Salzburger Protestanten vertrieb, wurde das Schloss unter dessen Neffen Ort der Künste: Franz Laktanz von Firmian sammelte Rubens, Dürer, Tizian und ließ den kleinen Wolfgang Amadeus Mozart in seinen Gemächern Klavier spielen. Weitere Höhepunkte: die Verlobungsfeier im Marmorsaal für Prinzessin Sisi und Österreichs Kaiser Franz Joseph, 1853 ausgerichtet vom bayerischen Ex-König Ludwig I. Der hatte fünf Jahre zuvor abdanken müssen, als seine Affäre mit der Tänzerin Lola Montez das Volk zur Weißglut brachte, und hauste wie ein vom Hof Gejagter ab und an auf Leopoldskron.

Dem Ästheten Reinhardt war die prunkvolle (und 1918 etwas abgehalfterte) Residenz mit Sälen, Zimmerfluchten und riesigem Treppenhaus nicht ungewöhnlich genug. Er ließ nicht bloß renovieren, sondern ordentlich aufhübschen. Eine komplette Wandverkleidung mit Theaterszenen wurde aus Venedig herangeschafft. Ein hölzernes Interieur für die Bibliothek gedrechselt, nach dem Vorbild der St. Galler Stiftsbibliothek und per Geheimtreppe mit den Schlafräumen des Hausherrn verbunden. Für die sogenannte Freudenhaus-Madonna, einst Zierde eines Wiener Bordells, fand sich eine Nische im Entree. Reinhardt traktierte meist seine Sekretärin Gusti Adler mit den Aufträgen. "Vergessen S' die chinesischen Nachtigallen nicht", soll er ihr nachgerufen haben, als sie exotisches Federvieh für den Park zu besorgen hatte.

Natürlich gab es auch Kopfschütteln über die Verstiegenheiten auf Leopoldskron wie die hundert Schwäne im Weiher. Im katholischen Salzburg grummelte das Volk ("Spinner"). Sogar Reinhardts Freund Egon Friedell soll gespöttelt haben, er habe den Max schon gekannt, als der in einem Mietshaus wohnte, "und nur zwei, drei Schwäne. Das ist auch gegangen."

Viel wichtiger ist aus heutiger Sicht, dass der liberale, kluge, kosmopolitische Reinhardt "seine" Festspiele als einen Hort des Widerstands gegen die Nazi-Ideologie aufrechterhielt, solange es ging. Er bot im Dritten Reich verfemten Künstlern Unterschlupf auf der Bühne und in Leopoldskron. Dem italienischen Stardirigenten Arturo Toscanini zum Beispiel, ein glühender Antifaschist, der von 1934 an den musikalischen Teil der Festspiele dominierte. Die NS-Propagandamaschinerie hetzte gegen Salzburgs "verjudeten Hexensabbath".

Im Gegenzug reiste in stillem Protest der internationale Glamour an. Marlene Dietrich etwa, die im Trachtenjäckchen durch die Gassen der Stadt flanierte, oder reiche amerikanische Juden, die Premieren besuchten. Von dieser Weltoffenheit profitieren die Festspiele und ihr internationales Renommee bis heute. Für Max Reinhardt wurde es 1938 nach dem "Anschluss" Österreichs ein abrupter, bitterer Abschied von Leopoldskron, der nicht einmal ein richtiger Abschied war. Der Regisseur hielt sich für Regiearbeiten in den USA auf, als Leopoldskron von den Nazis enteignet wurde. Reinhardt kehrte nie wieder zurück und starb im Alter von 70 Jahren 1943 im New Yorker Exil.

"Ich habe gebaut, geschmückt, gepflanzt und geträumt davon, wenn ich nicht da war."

In dem Schloss am See gingen bis Kriegsende nur noch düstere Inszenierungen über die Bühne. Die als Hitlers Spionin bekannte Prinzessin Stéphanie zu Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst durfte es als Anerkennung für ihre Kontakte zu britischen NS-Sympathisanten zeitweise bewohnen. Später nutzten es Gauleiter als Domizil und die Wehrmacht als Unterstellplatz für Pferde. Nach 1945 wurde das Schloss Sitz der amerikanischen Non-Profit-Organisation Salzburg Global Seminar, die sich als Diskussionsforum für Völkerverständigung versteht und 2013 das Hotel Schloss Leopoldskron initiierte.

Max Reinhardt hat, als Sprachkünstler, viele schöne Sätze über das Schloss formuliert. "Ich habe achtzehn Jahre in Leopoldskron gelebt", notierte er, "wirklich gelebt. Ich habe gebaut, gezeichnet, geschmückt, gepflanzt und geträumt davon, wenn ich nicht da war. Ich habe es immer feiertäglich geliebt, nie als etwas Alltägliches."

© SZ vom 04.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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