Lego-Produktlinie für Mädchen:Gender-Ghetto in Pink und Lila

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Kuchen backen, in den Schönheitssalon gehen, Cabrio fahren: Mädchen lernen in Legos neuer Themenwelt "Heartlake City" vor allem eins - Geschlechterstereotype. Mit seiner pinken Produktlinie will das dänische Unternehmen offensichtlich Teil des Spielwaren-Geschäfts werden, das mit schamlosem Gender-Marketing jedes Jahr Milliarden Euro erwirtschaftet.

Christopher Pramstaller

Man muss nicht besonders aufmerksam Zeitung lesen, um den Eindruck zu bekommen, in Skandinavien sei alles besser. Nachhaltigkeit, Wohlstand, Internationalität, Gleichberechtigung, Design, Bildung - egal wo man hinschaut, der hohe Norden scheint in allen Bereichen Vorreiter zu sein. Auch einer der erfolgreichsten Spielzeughersteller der Welt kommt aus Skandinavien: die dänische Firma Lego. Det bedste er ikke for godt, nur das Beste ist gut genug, lautet das Unternehmensmotto.

Schade nur, dass "das Beste" bislang vor allem spielenden Jungs vorbehalten ist. In den Spielzeugregalen finden sich Reihen voller klassischer Lego-Sets mit Polizeihubschraubern, Feuerwehrstationen und Zügen; sie stehen neben Star Wars-Themenwelten und Alien Conquest-Bausätzen, die mit allerlei Raumschiffen, Laser-Kanonen und Raketen aufwarten. In der modernen Lego-Welt wird gekämpft und geballert. Kunterbunte Häuser aus zusammengewürfelten Steinen zu bauen, war gestern.

Das ist nicht nur ein Problem für all jene Eltern, die ihren Töchtern lieber Plastikklötzchen an die Hand geben, als sie beim Spielen mit einer auf Phantasiemaße getrimmten Plastikpuppe zu beobachten. Auch Lego kann es nicht gefallen, wenn 50 Prozent der Kinder - und zahlungskräftigen Eltern - kein Interesse an ihren Produkten haben.

Vier Jahre Forschung zu spielenden Mädchen

Doch das soll sich nun ändern. Lego will die Zielgruppe junger Mädchen erobern und hat eine neue Produktlinie vorgestellt: "Lego Friends". Vier Jahre lang haben die Dänen nach eigenen Angaben kulturanthropologische Studien vorangetrieben. Die besten Produktdesigner und Marketingstrategen aus dem eigenen Unternehmen wurden zusammengezogen, externe Berater dazugeholt und monatelang in kleinen Teams Mädchen beim Spielen beobachtet und Familien interviewt. "Wir fühlen uns verpflichtet, Lego auch für Mädchen interessant zu machen und ihnen die gleiche Spielerfahrung zu ermöglichen wie den Jungen", sagt Mads Nipper, Legos Vizepräsident für Märkte und Produkte.

Eltern, die auch ihren Töchtern das kreative Spielen mit den Lego-Klötzchen ermöglichen wollen, standen bislang auf verlorenem Posten - und können nun hoffen. Denn während Ninja-Phantasiewelten, Aliens und Raumschiffe gegen das schamlose Gender-Marketing rund um Mattels Barbie, Disneys Cinderella oder Coppenraths Prinzessin Lillifee keine Chance hatten, gibt es nun "Lego Friends".

Emanzipatorischer Albtraum

Das Ergebnis ist ein emanzipatorischer Albtraum: Die zentralen Figuren, die Freundinnen Mia, Emma, Andrea, Olivia und Stephanie, leben in "Heartlake City", einem Gender-Ghetto in Pink und Lila. Für die realen wie die Plastikmädchen gibt es nichts weiter zu tun, als Kuchen zu backen, in den Schönheitssalon zu gehen und sich um die Pferde zu kümmern. Wenn es hier einmal brennen sollte, sind die "Lego Friends" aufgeschmissen: Eine Feuerwehr gibt es nämlich nur im männlichen Teil der Lego-Welt.

Die neuen Produkte sind theoretisch zwar mit allen anderen Lego-Elementen verbaubar, doch tatsächlich prallen zwei nicht kompatible Welten aufeinander, wenn die Feuerwehr der klassischen Serie in "Heartlake-City" anrückt. Denn die Lego-Männchen, die kleinen kantigen Figuren, die recht geschlechtslos daherkamen, haben Schwestern bekommen, die ganz anders aussehen.

Fünf Millimeter größer sind die Mädchen-Figuren, detaillierter und vor allem kurviger. Und selbstverständlich tragen die Freundinnen allesamt Röcke. Wie beim auf weibliche Zielgruppen ausgerichteten Marketing üblich wurden die "Lego Friends" zudem mit einer Biographie in Buchlänge ausgestattet. Mädchen projizierten sich in eine Spielfigur, heißt es bei Lego. Mia, Emma oder Andrea werden so zu Avataren, in die sich die Mädchen hineinversetzen können.

Das Vertrauen von Lego in die neue Produktlinie ist augenscheinlich groß. 23 verschiedene Sets wurden mit einem Marketingvolumen von etwa 30 Millionen Euro auf den Weg gebracht. "Das ist unsere wichtigste Markteinführung seit über einem Jahrzehnt", sagt Jørgen Vig Knudstorp, seit 2004 Lego-CEO und früherer McKinsey-Mitarbeiter, der die Dänen mit der Ausrichtung auf Jungen ab 2006 - auch damals gab es kulturanthropologische Studien - aus den roten Zahlen herausgeführt hatte.

Lego steht vor einem Paradox: Einerseits wollen die Dänen mit "Lego Friends" auch den Mädchen jenes Spiel ermöglichen, das nachweislich räumliches Denken, Feinmotorik und Kreativität fördert. Andererseits setzt man nun auch auf Gender-Marketing, das schon in frühen Jahren ein dezidiertes Rollenverständnis prägt.

Mit Mattel und Disney Teil eines Multi-Milliarden-Euro-Businesses

Es ist nicht das erste Mal, dass Lego versucht, auf dem Mädchen-Spielzeugmarkt Fuß zu fassen. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Dänen immer wieder Produktlinien gestartet, die mit Geschlechter-Stereotypen Marktanteile erkämpfen sollten. Entweder handelte es sich dabei um Selbstbauschmuck-Sets oder um Themenwelten, in denen pastellfarbene Freizeit im Vordergrund stand.1979 gab es den ersten Versuch mit Lego "Scala", 1992 folgte die "Paradisa"-Kollektion, 1994 die "Belville"-Themenwelt und 2003 schließlich der Selbstbauschmuck "Clikits". Alle wurden zwischenzeitlich wieder eingestellt. "Belville" lief 2010 als letztes dieser Projekte aus.

Man kann Lego zugutehalten, dass sie nach "Paradisa" nun zum zweiten Mal eine Mädchen-Linie vermarkten, die sich zumindest per Stecksystem in die existierende Lego-Welt integrieren lässt. Doch Lego muss mit einem Paradox leben, das sich auch damit nicht rechtfertigen lässt, dass man Studien ins Feld führt, die die scheinbare Andersartigkeit des Spieltriebs von Mädchen betonen. Einerseits will der Hersteller mit seinem Angebot an die weibliche Zielgruppe die Kreativität der Spielerinnen fördern. Andererseits werden Produkte und Marketing jedoch gnadenlos auf die alten Gender-Stereotype reduziert, die es eigentlich abzubauen gilt.

Ob das im Sinne der Erfinder ist, scheint fraglich. "Für Mädchen und Jungen" lautete eine von "zehn Produkteigenschaften", die Godtfred Kirk Christiansen, Sohn des Lego-Gründers, 1963 formulierte. Dieses Credo scheint nur noch begrenzt zu gelten. In den Jungen-Themenwelten wird gekämpft, die Mädchen backen Kuchen.

Mit aller Macht versuchen die Dänen offensichtlich, ihren Teil des Multi-Milliarden-Euro-Geschäfts abzugreifen, das Peggy Ornstein in ihrem Buch Cinderella Ate My Daughter beschreibt und darin anklagt, dass die Spielzeughersteller ihre Produkte rein mit Geschlechter-Stereotypen verkaufen. Nach Mattel, Disney und all den anderen Global Playern der Spielwarenindustrie, versucht nun auch Lego, dieses Spiel zu spielen.

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