Süddeutsche Zeitung

Lebensmittelverschwendung:Die Politik muss diesen Wahnsinn beenden

Berge von Nahrungsmitteln werden in Deutschland weggeworfen. Wer sie aus dem Müllcontainer holt, macht sich strafbar. Andere Länder sind schon viel weiter.

Kommentar von Ulrike Heidenreich

Die Birne hat einen unschönen braunen Fleck, ein Salatblatt ist eingerissen, das Mindesthaltbarkeitsdatum des Joghurts läuft abends ab - also schnell weg in die Tonne. Es ist tägliche Routine in den Supermärkten, Ware auszusortieren und wegzuwerfen. Alles soll makellos aussehen in den Regalen. Der Makel an sich ist aber, dass hier Lebensmittel, die genießbar sind, vernichtet werden. Einfach so. Der Makel ist auch, dass sich strafbar macht, wer gegen die maßlose Verschwendung angeht und die Ware aus der Tonne herausholt.

Während in anderen Ländern per Gesetz verboten wird, Lebensmittel zu vernichten, streitet man in Deutschland noch darüber, wem eigentlich der Müll gehört. Müll, der per Schloss im Container hinter dem Supermarkt gesichert wurde. Das ist eine absurde rechtliche Diskussion. Dies zeigt eine Haltung, die nichts mit der Lebenswirklichkeit zu tun hat. Nachdenken über Nachhaltigkeit, verantwortungsvoller Umgang mit den Ressourcen, Sorgsamkeit im Umgang mit der materiellen Not anderer - viel von dem, was die Menschen bewegt, bleibt außen vor.

Das Dilemma der Richter und Staatsanwälte ist groß

Vor deutschen Gerichten müssen sich seit etwa zehn Jahren Menschen verantworten, die containern. Das sind Aktivisten einer Bewegung, die nicht aus materieller Not, sondern aus politischer Überzeugung nachts brauchbare Lebensmittel aus den Müllcontainern fischen. Sie nennen sich Lebensmittelretter - und da ist etwas dran. Diese Woche hat das Amtsgericht im bayerischen Fürstenfeldbruck deswegen zwei Studentinnen schuldig gesprochen - wegen gemeinschaftlichen Diebstahls.

Das Dilemma der Richter und der Staatsanwälte ist groß, das Unbehagen im Saal war mit Händen zu greifen. Warum junge Menschen verurteilen, die sich Gedanken um Recht und Unrecht machen, die es unsittlich finden, Lebensmittel wegzuwerfen? Ist das nicht Empathie und tolles Engagement - dringend notwendig für unsere Gesellschaft? Bei aller Sympathie des Richters für die Sache: Er konnte nicht anders, blieb mit der Verhängung von acht Sozialstunden aber am unteren Limit.

Vorbilder gibt es im europäischen Ausland genug

Bundesweit sind derzeit etwa fünf Verfahren wegen Containerns anhängig. Nach Auffassung vieler Juristen haben die Angeklagten nach Paragraf 242 Strafgesetzbuch Diebstahl begangen. Zum besonders schweren Fall wird es, wenn der Müllbehälter gesichert war. Oft werden Verfahren eingestellt, oft auch nicht. Es gibt allerlei verschiedene Gutachten juristischer Koryphäen, ob Müll eigentlich noch das Eigentum des Verursachers ist, ab wann er als herrenlos zu bezeichnen ist und wer wann für was haftet. Wie überflüssig. Als gäbe es nicht andere Probleme.

Es ist eindeutig der Gesetzgeber gefragt, gegen die Lebensmittelverschwendung vorzugehen. Vorbild könnte das europäische Ausland sein: Ein Gesetz in Frankreich verbietet, dass weggeworfene Lebensmittel mit Chlor überschüttet werden, um sie ungenießbar zu machen. Lebensmittelmärkte von einer Verkaufsfläche von 400 Quadratmeter an müssen übrig gebliebene Ware außerdem spenden. Italien plant ein ähnliches Gesetz. In Tschechien ist es seit Anfang dieses Jahres verboten, Lebensmittel wegzuwerfen.

Und warum eigentlich wird die Bewegung des Containerns immer als linke Subkultur abgetan? Es braucht keine ideologische Unterfütterung, um es nicht in Ordnung zu finden, wenn etwa 18 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr vernichtet werden. Diese Maßlosigkeit geht alle an.

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SZ vom 01.02.2019/swi
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