Lebensmittel-Kennzeichnung:Fette Niederlage

Das Aus für die Lebensmittelampel bedeutet vor allem eines: Eine verpasste Chance. Die Ablehnung schadet vor allem den Verbrauchern.

Silvia Liebrich

Um die Ampelkennzeichnung für Lebensmittel wurde lange und hart gerungen. Doch nun steht fest: Rote, grüne und gelbe Punkte auf Tütensuppen, Tiefkühlpizzen oder Raviolidosen wird es so schnell nicht geben. Das hat die Mehrheit der EU-Parlamentarier am Mittwoch beschlossen - ein Votum, das nicht weiter überraschend ist. Denn schon im Vorfeld zeichnete sich ab, dass sich die konservative Mehrheit gegen das von Verbraucherschützern und Gesundheitsexperten favorisierte Modell aussprechen wird. Am Ende spielte es da auch keine Rolle, dass die Entscheidung denkbar knapp zu Ungunsten der Ampel ausfiel.

Kinderdienst: Politiker stimmen gegen Ampel auf Lebensmitteln

Politiker im Europaparlament haben entschieden: Eine Ampel auf Lebensmittelpackungen wird es auch weiterhin nicht geben.

(Foto: ag.ddp)

Das Abstimmungsergebnis ist ganz eindeutig eine Niederlage für die Konsumenten und ein Sieg für die Lebensmittelindustrie, die sich mit aller Macht gegen ein einfaches Kennzeichnungssystem sträubt, das mit Hilfe der Farben Rot, Gelb und Grün die wichtigsten Nährwertangaben auf Verpackungen hervorhebt. Zu kompliziert, irreführend und wissenschaftlich nicht fundiert, lauteten die Hauptkritikpunkte, die von den Protagonisten der Industrielobby ins Feld geführt werden. Alles Argumente, die nicht gänzlich unberechtigt sind. Auch das Ampelmodell ist nicht perfekt. Aber unter den diskutierten Kennzeichnungsmodellen gilt es mit Abstand als das verbraucherfreundlichste.

Knallharte Interessen

Doch mit der vermeintlichen Besorgnis um das Wohl der Kundschaft dürfte es bei der Lebensmittelindustrie nicht weit her sein. Tatsächlich geht es beim Streit um die Ampel um viel mehr als nur transparente Angaben auf Verpackungen, die im Supermarkt die Kaufentscheidung erleichtern sollen. Es geht um knallharte wirtschaftliche Interessen. Die Hersteller von Nahrungsmitteln sehen in der Ampel eine ernsthafte Bedrohung für ein Milliardengeschäft, das selbst in Krisenzeiten noch ansehnliche Umsatzsteigerungen vorweisen kann. Zu Recht, schließlich bedarf es keiner wissenschaftlichen Analysen, um sich auszumalen, dass zu viel Rot auf einer Verpackung nicht gerade verkaufsfördernd wirkt. Hinzu kommt: So manch appetitlich anmutende Werbebotschaft könnte so auf Anhieb als glatter Betrug entlarvt werden. Etwa dann, wenn sich auf den ersten Blick herausstellen sollte, dass der angeblich so gesunde Kinderjoghurt mindestens genauso viel Zucker enthält wie die gleiche Menge Cola.

Stattdessen hat die Industrie nun ihr Kennzeichnungsmodell durchgesetzt, und für die Verbraucher bleibt im Wesentlichen alles beim Alten. Sie müssen sich weiterhin mit einem Wust an kleingedruckten Angaben auf Verpackungen auseinandersetzen, die mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten. Dabei wäre eine einfache Auszeichnung wichtiger denn je, angesichts der zunehmenden Fettleibigkeit auch unter Kindern. Falsche Ernährung gilt zudem als Hauptursache für Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die stark zunehmen.

Chance vertan

Die EU-Politiker müssen sich vorwerfen lassen, dass sie sich zu schnell auf die Seite der Industrie geschlagen haben, anstatt nach einem Kompromiss zu suchen, der auch die Interessen der Verbraucher berücksichtigt. Denn die Mehrheit der Kunden hätte eine Ampelkennzeichnung durchaus begrüßt, wie Umfragen immer wieder gezeigt haben. Ein Zeichen dafür, dass sich viele Konsumenten von einer wachsenden Fülle an Lebensmitteln überfordert fühlen, wenn es beispielsweise darum geht, sich rasch einen Überblick über deren Inhalt zu verschaffen. Doch genau dies wird wichtiger, weil in vielen Haushalten mehr Fertigprodukte verzehrt werden, die häufig eine kaum noch überschaubare Anzahl an Zutaten enthalten.

Mit dem Aus für die Ampel wurde nicht nur eine wichtige Chance vertan, um den Markt für Lebensmittel transparenter zu machen. Mit dem Aus für das Drei-Farben-Modell geht auch der Anreiz für die Lebensmittelproduzenten verloren, gesündere Fertigprodukte zu entwickeln, die weniger Fett, Zucker und Salz enthalten.

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