Lebenshilfe durch Designerpillen:Schöne neue Hirne

Die Schattenseiten der Leistungsgesellschaft: Doping für Geist und Seele ist längst keine Seltenheit mehr. Über das Glück im Pillenformat.

Petra Steinberger

Früher wollten wir nur besser aussehen. Die Chirurgie bearbeitete uns deshalb mit dem Skalpell. Aber inzwischen weiß die Pillen-Industrie, wie man auch noch glücklich, klug - und funktionstüchtig wird. Und jetzt reicht es. Das erledigt die Chirurgie. Aber inzwischen kann man auch das Hirn und die Seele dopen. Wir müssen ständig erreichbar sein und funktionieren. Was liegt näher als die Pille für Hirn und Seele?

Themendienst Gesundheit & Wellness: Medikamente als Dickmacher

Werden Geist oder Persönlichkeit nicht für optimal empfunden, wird häufig nachgeholfen - mit Designerdrogen.

(Foto: ag.ddp)

Brittany Murphy starb daran. Heath Ledger auch. Und Michael Jackson. Sie starben an einer Überdosis verschreibungspflichtiger Medikamente, die sie vielleicht nicht ganz den Anweisungen entsprechend eingenommen haben. Doch viel mehr Menschen, von denen wir nie etwas hören werden, weil sie nicht berühmt sind und ein unauffälliges Leben führen, nehmen solche Pillen ganz ohne medizinische Indikation ein. Und ihnen geht es recht gut damit.

Sie haben damit ihr Leben verändert. Vielleicht haben sie ihre Unsicherheit überwunden oder ihre Selbstzweifel, vielleicht das Kurzzeitgedächtnis auf Vordermann gebracht oder eine schwere Prüfung bestanden. Vielleicht sind sie einfach besser drauf. Aber vor allem: Sie haben ihren Geist oder ihre Persönlichkeit optimiert für den globalen Wettbewerb. Immer vorn dabeibleiben, als glücklicherer, klügerer Mensch. Damit kann man wenigstens noch herausstechen aus der Masse - dünn, das kann ja jeder, und neue Nasen und Brüste kann man sich schon längst von der Stange kaufen.

Also nehmen sie ein paar Pillen, irgendwo an einer Universität oder in einem Büro, in Schulen und zu Hause. Sie haben sie sich vom Arzt verschreiben lassen oder bestellen sie im Internet. "Doctor Shopping" nennt man in Amerika die Tatsache, dass man schon einen findet, der weiterhilft bei der Suche nach der richtigen Pille. Sie soll dann gar nicht mehr heilen, sondern verbessern. "Neuro-Enhancement" wird es häufig genannt, das klingt neutraler als "Hirndoping", diese "missbräuchliche Anwendung verschreibungspflichtiger Medikamente zur geistigen Leistungssteigerung", wie es Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz, in seinem gerade erschienenen Buch "Hirndoping" definiert hat.

Amerikanische Forscher experimentieren mit einem Medikament, das das Angstgedächtnis auslöschen soll. Das Militär interessiert sich besonders für ein solches Präparat - Soldaten können so ihre Traumata überwinden. Man spekuliert darüber, irgendwann gezielt Erinnerungen auszulöschen. Was aber, wenn dabei auch andere verlorengehen?

Wie verbreitet Neuro-Enhancement ist, weiß bisher keiner so genau, was in der recht illegalen Natur von Beschaffung und Gebrauch liegt. Lieb hat die drei wichtigsten Studien aufgelistet: 2006 hatten amerikanische Forscher College-Studenten nach dem Gebrauch von leistungsstimulierenden Mitteln befragt: 8,1 Prozent hatten irgendwann in ihrem Leben solche Mittel ohne medizinische Indikation probiert, 5,4 Prozent im Jahr der Umfrage.

2008 fragte die Fachzeitschrift Nature unter ihren Lesern nach, wer schon einmal Substanzen zur geistigen Leistungssteigerung eingenommen habe. Ergebnis: 20 Prozent. Diese Zahl wurde zu jenem häufig zitierten "Jeder fünfte Wissenschaftler", da man davon ausgeht, dass eine Mehrheit der Nature-Leser Akademiker sind. 2009 wollte dann die Deutsche Angestelltenkrankenkasse DAK erfahren, wie deutsche Arbeitnehmer zum "Doping am Arbeitsplatz" stehen - man kam auf etwa fünf Prozent, die damit Erfahrung hatten. Allerdings hält Lieb die letzten beiden Studien für statistisch nicht repräsentativ.

Lieb hat nun eine vierte, die eigene aktuell durchgeführte, Studie dazugestellt, die erstmals verlässliche Zahlen bieten soll über den Konsum von leistungssteigernden Pillen bei deutschen Gymnasiasten und Studenten. Bei vorläufigen Auswertungen der Antworten kam Lieb zu einer Zahl von etwa ein bis zwei Prozent von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die mindestens einmal in ihrem Leben Erfahrung mit Modafilin, Amphetaminen oder dem Ritalin-Wirkstoff Methylphenidat gemacht hatten.

Hirndoping ist also noch weniger verbreitet als in den USA. Sorgen macht Lieb aber die "unter Schülern grundsätzlich hohe Bereitschaft", Substanzen zum Hirndoping einzunehmen. Und mit dieser Bereitschaft stehen die Mainzer Schüler nicht allein; ein Großteil der Bevölkerung würde Neurostimulatoren einnehmen - wenn sie wirksam, sicher und frei erhältlich sind.

"Tod durch Propofol: Unfall, Selbstmord oder Mord?" heißt eine Studie der Uni Florida. Der Missbrauch des Narkosemittels scheint vor allem unter Ärzten weit verbreitet zu sein. In einem Fall spritzte sich ein Arzt das Mittel bis zu 100 Mal am Tag.

Es ist der uralte, zyklisch wiederkehrende Traum von der Wundermedizin, vom Wasser des Lebens, das uns endlich erlöst von unseren Schwächen. Und wie immer, wenn eine neue vielversprechende Wundermittelwelle am Horizont erscheint, herrscht seit einiger Zeit eine rege Diskussion darüber, ob das Wunder gefährlich ist oder sein könnte, welche Nebenwirkungen es haben könnte und ob es überhaupt erlaubt sein sollte, dass sich der Mensch mit Hilfe von Chemie geistig und emotional leistungsfähiger macht. "Der ursprüngliche Zweck der Medizin", schrieb der amerikanische Intellektuelle Francis Fukuyama über die Biotechnologien, "ist es, die Kranken zu heilen und nicht, gesunde Menschen zu Göttern zu machen."

Aber genau das wollen wir. Nach dem äußeren Erscheinungsbild kann man sich endlich den inneren Werten zuwenden. Vigil, Exelon, Cipralex, Adderall, Ritalin, Dexedrine und unzählige andere Medikamente wurden eigentlich gegen ADHS entwickelt, gegen Angstzustände, Depressionen, Alzheimer oder Narkolepsie. Sie sollten heilen.

Aber mit ihren Wirkstoffen wie dem amphetaminähnlichen Stimulanzmittel Methylphenidat, dem Wachmacher Modafinil oder D-Amphetamin hoffen eben auch völlig Gesunde, sich besser zu konzentrieren, mehr leisten zu können und dabei auch noch viel weniger zu schlafen. Sie werden glücklich, vielleicht sogar euphorisch. Natürlich ohne Anstrengung und ohne Überwindung. Das ist das Begehrliche daran. Und genau das, was vielen daran aufstößt: die Leichtigkeit, mit der auf einmal der posthumane Mensch geschaffen werden soll.

Diejenigen, die heute am besten über das Potential dieser Medikamente Bescheid wissen,sind offenbar diejenigen, die sie auch am ehesten einsetzen. Zweitens werden die Präparate offenbar eher bei akutem Bedarf eingesetzt, nicht ständig. Abhängige wird es jedoch immer geben, wie bei allen anderen Heil-/Suchtstoffen. Drittens funktionieren zumindest die heute verfügbaren Präparate nur sehr bedingt; sie helfen denen, die "kognitive Defizite" haben oder schlicht übermüdet sind, mehr als überdurchschnittlich leistungsfähigen Menschen.

"Wacher zu sein", lästerte der Medizin-Anthropologe Nicolas Langlitz kürzlich in der FAZ, "bedeutet nicht automatisch, auch klüger zu sein." Wozu also die ganze Aufregung, könnte man fragen, wenn es sowieso noch nicht richtig funktioniert? Braucht es dann eine Diskussion um Bioethik und darum, was vertretbar ist bei der geistig-moralisch-emotionalen Leistungssteigerung?

Pillen könnten uns netter machen. Die Pharmaforschung solle nicht nur Präparate entwickeln, die uns klüger werden lassen, sondern auch solche, die unsere Moral fördern, fordert Sean Spence, Professor für Psychiatrie an der Universität Sheffield. Denn Intelligenz allein macht uns auch nicht zu besseren Menschen.

Die menschliche Sehnsucht nach Glück, hinter der sich einerseits ein Streben nach Gottgleichheit verbirgt und andererseits die Angst vor Tod und Verfall - diese Sehnsucht wird uns nicht ruhen lassen. Und wo eine starke Sehnsucht herrscht, da ist ganz schnell auch ein Markt. Ein gewaltiger Markt.

Noch im Jahr 2000 wurden weltweit 13,1 Milliarden Dollar für Antidepressiva ausgegeben, 2007 waren es schon 18 Milliarden, dieses Jahr könnten es bis zu 26 Milliarden Dollar Umsatz werden. 2006 wurden allein in Amerika 227 Millionen Rezepte für Antidepressiva ausgeschrieben, 30 Millionen mehr als 2002. Wie viele davon wirklich therapeutischen Zwecken dienten und wie viele bereits der Leistungssteigerung von eigentlich Gesunden, ist allerdings nicht bekannt.

In den Vorstandsetagen der Pharmakonzerne jedenfalls muss der Gedanke euphorische Zustände auslösen, dass eines Tages der potentiell unendliche Markt der ganz gewöhnlichen Menschen erschlossen werden könnte. Dazu müssten allerdings jene Präparate frei zugänglich sein, die heute verschreibungspflichtig sind oder unter das Betäubungsmittelgesetz fallen.

In Kalifornien trafen sich gerade Wissenschaftler zur größten Konferenz über psychedelische Wissenschaft seit vierzig Jahren. Halluzinogene Drogen sind wieder Gegenstand ernsthafter Forschung. Neueste Erkenntnis: MDMA, der Hauptbestandteil von Ecstasy, bewährt sich bei der Bewältigung von posttraumatischem Stresssyndrom. Wie Timothy Leary schon sagte, damals in den Sechzigern: "Turn on, tune in, drop out."

Was möglich ist, wird auch irgendwann gemacht werden. Deshalb haben immer wieder Wissenschaftler für die Legalisierung solcher Medikamente plädiert. "Für einen verantwortungsvollen Gebrauch von kognitionsfördernden Drogen durch Gesunde" lautete der erste Aufruf in Nature von sieben Wissenschaftlern um den Bioethiker und Rechtsexperten Henry Greely von der Universität Stanford - unter drei Voraussetzungen: mehr Forschung, kein Zwang, vor allem bei Kindern und Arbeitnehmern, und faire Zugangsmöglichkeiten für alle.

In Deutschland sprachen sich in ihrem Memorandum "Das optimierte Gehirn" unter anderen der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel, Isabella Heuser, Direktorin der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité, und Bettina Schöne-Seifert, Mitglied des Ethikrats, für einen entspannteren Umgang mit den Psychodrogen aus: Es gibt, schreiben sie, "keine überzeugenden grundsätzlichen Einwände gegen eine pharmazeutische Verbesserung des Gehirns oder der Psyche".

Das Problem für sie ist in erster Linie nicht die metaphysische Seele oder die ganz reale Persönlichkeit, die sich durch NEPs, "Neuro-Enhancement-Präparate, vielleicht verändern könnten. Seele, Bewusstsein ist als Prozess, nicht als Zustand sowieso ständig im Wandel. Vielmehr sorgen sie sich um den möglichen sozialen Druck, der auch Unwillige dazu zwingen könnte, Neuro-Enhancer einzunehmen, um mithalten zu können im Verteilungskampf um Studienplätze und Jobs.

Sie sorgen sich um die Verteilungsgerechtigkeit - denn die Wohlhabenden könnten sich solche teuren Präparate wohl eher leisten als die sozial Schwächeren. Nun gebe es absolute Gerechtigkeit in der Gesellschaft jetzt schon nicht, aber sollte sich die Gesellschaft in pharmakologisch Versorgte und andere spalten, dann müsse die Politik eingreifen: "Warum, so mag man fragen, gebietet die Gerechtigkeit nicht umgekehrt eine weite und großzügig subventionierte Verbreitung von NEPs gerade unter Angehörigen benachteiligter sozialer Schichten?"

Da steht es also im Raum, das Szenario, das für die einen visionär, für andere eher ein Horror ist: die flächendeckende freiwillige Versorgung ganzer Völker mit Psychopharmaka. Es klingt, wir entkommen diesem Beispiel nicht, nach Aldous Huxleys "Schöner neuer Welt", in der eine Wohlstandsgesellschaft mit der täglichen Dosis Suma in einen immerwährenden Glückszustand versetzt wird. Das schrieb er Anfang der dreißiger Jahre, als die ersten Amphetamine entdeckt wurden. Und, natürlich, ging die Sache am Ende böse aus für den Helden, der sich geweigert hatte, beim kollektiven Hirndoping mitzumachen.

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