Süddeutsche Zeitung

Lebensentwurf:Ich muss keine Kinder haben

Ein Kind ist das Schönste auf der Welt? Nicht für unsere Autorin. Sie ist viel zu gerne allein. Und wünscht sich nur eines: Dass alle anderen das endlich akzeptieren.

Von Ruth Schneeberger

Um das gleich klarzustellen: Ich will - absolut freiwillig - und da bin ich mir sehr sicher - überhaupt gar keine - Kinder haben.

Ich bin weder unglücklicher Single noch kinderlos wegen Krankheit noch auf der ständigen Suche nach einem Mann zwecks Fortpflanzung noch habe ich Torschlusspanik. Eines davon oder alles zusammen wird ja gerne vermutet, wenn frau keine Kinder hat.

Nur mal so zur freundlichen Erinnerung: Frauen müssen nicht mehr heiraten, um versorgt zu sein. Sie können sich selber versorgen. Und sie können ganz alleine entscheiden, ob sie sich fortpflanzen möchten, ihr Bauch gehört ihnen. Das ist ein Riesenfortschritt in der Geschichte der Menschheit seit nunmehr einem runden halben Jahrhundert. Kommt die Gesellschaft da nicht schnell genug mit, oder warum werden allein lebende Frauen immer noch so kritisch beäugt?

Weil Singles die neuen Sündenböcke sind. Während sich Eltern der wichtigen, mitunter anstrengenden und durchaus auch teuren Aufgabe stellen, Kinder erstens in die Welt zu setzen, zweitens im Bestfall zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft zu erziehen und drittens im Zuge ihrer Ausbildungspflicht dafür zu sorgen, dass diese später die Rente für die jetzigen Singles verdienen, drehen sich Solisten nur um sich selbst und entziehen sich ihrer hochheiligen Pflicht, zur Erneuerung einer alternden Gesellschaft beizutragen. So das Vorurteil.

Die Wahrheit ist: Singles bieten ein prima Feindbild für die ewig Unzufriedenen in einer saturierten Öffentlichkeit, in der trotzdem an jeder Ecke der Absturz lauert. Dabei stellen sie einen wesentlichen Teil der Gesellschaft: Nach aktuellen Erhebungen des Statistischen Bundesamts ist der Single-Haushalt (mit 41 Prozent) der häufigste Haushaltstyp in der Bundesrepublik. Was ist daran schlimm?

Eigentlich nichts. Singles zahlen deutlich mehr Steuern pro Kopf, entrichten mehr Sozialabgaben, konsumieren im Schnitt mehr - die Wirtschaft dürfte sich die Hände reiben ob dieser Entwicklung. Die Politik sorgt dafür, dass das so bleibt. Indem Familien sozialpolitisch unterstützt werden (leider insgesamt trotzdem noch zu wenig), werden sie entlastet und Singles belastet.

Am argwöhnischsten werden Frauen angesehen, die noch nicht einmal den Wunsch verspüren, Mutter zu werden. Diese Einstellung ist für viele offenbar schlicht nicht nachvollziehbar.

Und das obwohl sie im Trend liegt: Der britische Economist hat gerade sehr informativ zusammengefasst, warum Europäer im Vergleich zur Nachkriegsgeneration immer weniger Kinder bekommen - und warum das kein Problem ist. Etwa weil Kinderlose ihr erwirtschaftetes Geld eben nicht in Kinder investieren, sondern sich überprozentual gesellschaftlich engagieren, auch finanziell. Und weil zum Rentenerhalt nicht mehr Eltern, sondern mehr Babys vonnöten seien: Es kommt demnach nicht darauf an, dass jeder ein Kind hat. Sondern darauf, dass es neben ein paar Kinderlosen auch ein paar Kinderreiche gibt - und die gibt es.

Beruf und Familie? In Deutschland immer noch schwierig

Ich persönlich wollte einfach noch nie Kinder haben und werde das in diesem Leben auch nicht mehr wollen. Ich spüre diesen - offenbar bei vielen Menschen unbändigen - Wunsch überhaupt nicht. Und das schönste ist: Ich muss es auch nicht. Ich habe mich lange damit auseinandergesetzt und mich immer wieder dagegen entschieden. Vollen Herzens und in dem Bewusstsein, dass die meisten anderen Frauen (und Männer) nur zu gerne Kinder hätten. Ich überlasse das Thema deshalb sehr gerne den anderen.

Schade ich mir damit selbst? Nein, denn ich müsste mich verbiegen, wenn ich etwas tun würde, was mir widerstrebt. Schade ich damit der Gesellschaft? Nein, denn es gibt genug Frauen, die unbedingt Kinder haben wollen. Auch meine Mutter konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als Babys großzuziehen. Sie war trotzdem berufstätig - zum Teil. Ich hätte diesbezüglich also auch ein Vorbild. Und will es trotzdem nicht.

Ich könnte jetzt der Politik die Schuld dafür geben. Weil es in Deutschland - im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern - nur schwerlich möglich ist, Beruf und Familie zu vereinbaren. Meiner Meinung nach liegt das auch immer noch an den Nachwehen des Nationalsozialismus', weil in großen Teilen der Bevölkerung immer noch die Angst vor dem Vorwurf herrscht, eine "Rabenmutter" zu sein.

Die Wahrheit ist aber: Das spielt gar keine so große Rolle für mich. Höchstens unterbewusst. Der Hauptgrund, warum ich keine Kinder haben will, lautet: Ich bin viel zu gerne Single. Mein Ideal ist ein Mensch, der sich selbst genügt. Und damit bin ich nicht alleine.

Der "Club of Rome" würde mir am liebsten sogar eine Prämie zahlen für meine Kinderlosigkeit. Auch deshalb, weil ewiges Wachstum sich als Irrtum herausgestellt hat, gibt es Gruppen, die - aus ökologischen Gründen - jede neue Schwangerschaft als eine zu viel ansehen. Sie betrachten den Fortpflanzungsdrang des Menschen als kulturell anerzogen, nicht als unabdingbar.

Ich selbst werde gottseidank größtenteils davon verschont, aber die meisten meiner kinderlosen Freundinnen kennen zur Genüge stichelnde Schwestern, Cousinen, Tanten, die fragen: Ob nicht bald mal ein fester Partner her müsse? Oder die Mutter: Ob man denn gar kein Enkelkind liefern würde? Oder den erweiterten Bekanntenkreis: Wie lange man denn nun schon Single sei? Ob man zur nächsten Essenseinladung nicht "jemanden" mitbringen wolle? Sogar die Chefin zeigt sich besorgt: Ob im Privatleben alles in Ordnung sei?

Manche beugen sich dem Druck und heiraten den nächstbesten Partner, bekommen Kinder, lassen sich scheiden - das ganze Elend für alle Beteiligten inklusive.

Single-Frau = Monster?

Es gibt ein interessantes Buch über Rom, das weniger über die Stadt erzählt als über ihre Bewohner. "Ein Albtraum" sei die Nachbarin aus der oberen Etage, erzählt darin eine ältere Dame aus einem Innenstadt-Palazzo. Die junge Frau gehe jeden zweiten Abend aus, kehre in den frühen Morgenstunden zurück und werfe ihre Schuhe durch den Flur. "Das Monster" werde sie im Haus genannt. Irgendwann habe sich ein Student ihrer erbarmt und ein Kind mit ihr gezeugt. Jetzt sei Ruhe im Karton.

Ruhe? Wenn plötzlich drei Personen inklusive schreiendem Kleinkind über einem wohnen? Ich vermute, dass nicht Lärmbelästigung Stein des Anstoßes für die ältere Dame war. Sondern die Tatsache, dass die junge Frau vorher nicht ihren Vorstellungen entsprach - und nachher schon.

Ich habe auch solche Nachbarn wie die ältere Dame eine ist. Sie wohnen unter mir und sind noch jung. In der Wohnung neben mir wohnt eine noch jüngere Dame, die wohl dem Mädchen aus dem Buch entspräche: Single und ausgehfreudig. Wer ist der anstrengendere Part? Die Nachbarn von unten. Weil sie sich über jede kleinste Störung beschweren, die gar keine ist.

Kinderlos = unsozial?

All das macht einem gestandenem Single, sofern er sich sein kinderloses Singleleben leisten kann, noch nicht viel aus. Denn was er sich dadurch erkauft ist: die große Freiheit. Zu tun und zu lassen, was und wann immer er es möchte. Ein großartiges Gefühl. Wenn da nicht die Gesellschaft wäre, die immer wieder etwas zu meckern hat.

Schon vor mehr als zehn Jahren hat die Harvard-Absolventin und US-Psychologin Bella DePaulo mit dem Buch "Singled Out" eindrucksvoll beschrieben, wie Singles zu Unrecht stigmatisiert, mystifiziert und diskriminiert werden - und trotzdem oft glücklicher sind als Paare (ihre Zusammenfassung in zehn Punkten lesen Sie hier).

Sie räumt darin auch mit dem Mythos auf, der so hartnäckig wie unverständlich ist: dass Singles egoistisch seien oder gar unsozial. Wie kommt man denn auf sowas? Ich pflege seit zehn Jahren - neben dem Job - meine schwer pflegebedürftige Mutter. Das könnte ich nicht, wenn ich eine Familie hätte, denn dann hätte ich dafür keine Zeit. Gut, dass ich das sowieso nie vorhatte. Keine meiner Freundinnen würde das so machen, was ich auch okay finde. Ich will nur nicht komisch dafür angeschaut werden, denn: Ich bin diejenige in meinem Freundeskreis, die den am wenigsten egoistischen Lebenswandel pflegt.

Werden Ihre Kinder Sie im Alter pflegen? Eher nicht

Bella DePaulo hat herausgefunden, dass die Hälfte der in unzähligen Studien befragten Singles absolut freiwillig in diesem Zustand lebt (da sie die Daten per Meta-Analyse. erhoben hat, ist das Ergebnis wahrscheinlicher als einzelne Befragungen von etwa Single-Börsen). Dafür gibt es viele Gründe, manche davon sind gut. Unter anderem der, dass man niemandem Rechenschaft schuldig ist für was immer man tut. Sie entkräftet auch ein Vorurteil, das vielen Angst macht: dass Singles am Ende ihrer Tage traurig im Elend sterben müssten - die berüchtigte Katzenfrau mit Messie-Haushalt, nach Jahren von den Nachbarn entdeckt durch Verwesungsgeruch, der durchs Treppenhaus zieht.

In der Realität seien Single-Ladies diejenigen, die am wenigsten befürchten müssten, im Alter mutterseelenallein zu sein - weil sie sich zu Lebzeiten ein Netzwerk aus Freunden und Helfern aufbauen und sich nicht auf "den einen" Menschen verlassen, der eben auch früher sterben - oder gehen kann.

Dass auch Kinder schon lange kein Garant mehr dafür sind, im Alter nicht alleine zu sein, sieht man in deutschen Altenheimen: Die meisten dort haben Verwandtschaft - aber kümmert sich einer? Immer weniger Menschen tun das. Weil sie damit beschäftigt sind, sich um die Arbeit, sich selbst und ihre eigene Familie zu kümmern. Die ist vereinnahmend genug.

Hollywoods "hoffnungslose" Fälle - alles Frauen

Und auch wenn sie sich aufgrund ihrer längeren Reproduzierbarkeitsphase bei der Nachwuchsfrage weniger unter Druck gesetzt fühlen: Alleinstehende Männer sind bisweilen mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Ein Bekannter aus München, Architekt von Beruf, bemühte sich jahrelang vergeblich um einen Kredit für den Kauf seiner Wohnung. Kaum hatte er geheiratet, willigte die Bank ein - weil er ihr nun "solider" erschien. Derselbe Mann. Nur jetzt mit Frau.

Die Historikerin Bärbel Kühn hat zur Jahrtausendwende in ihrem Buch "Familienstand ledig: Ehelose Männer und Frauen im Bürgertum (1850 - 1914) beschrieben, wie die Gesellschaft Singles um die vorherige Jahrhundertwende gesehen hat. Auffällig war: Während alleinlebende Frauen als "alte Jungfer" und als "schrullig, hässlich, lächerlich, merkwürdig und suspekt, als eine, die nicht erwählt wurde", angesehen wurden, war es bei den Männern anders: Das Bild des "Hagestolzes" wurde - bei aller Kauzigkeit - mit einer Aura von Selbstbestimmung und Freiheit vermischt.

Wenn ich mir aktuelle Betrachtungen der Medien zur Ehelosigkeit sehr attraktiver Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts anschaue, scheint dieses Weltbild - entgegen unserem Selbstverständnis - noch immer stark verbreitet zu sein. Wo Stars wie Liv Tyler oder Sharon Stone aufgrund von Ehelosigkeit als "Hollywoods hoffnungslose Fälle" bezeichnet werden, da macht die Emanzipation wohl gerade Urlaub.

Das Mädchen neben mir ist übrigens an diesem Wochenende ausgezogen. Ich glaube, sie wollte nicht länger als Monster wahrgenommen werden und hat sich eine lässigere Nachbarschaft gesucht. Ich kann das gut verstehen. Mehr Toleranz in Beziehungsfragen ist dringend angebracht.

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