Leben mit Haustieren:Du und ich, das geht nicht gut

Das Kind will ein Tier und verspricht, sich darum zu kümmern. Die Eltern unterstützen sein Vorhaben, Verantwortung zu übernehmen. Und damit beginnt der Selbstbetrug: Tiere sind einfach nicht dafür gemacht, mit uns zu leben. Über die Unmöglichkeit friedlicher Koexistenz von Haustier und Mensch.

Joachim Käppner

So fängt das an. Ein Ehepaar am Isarufer, ins Gespräch vertieft, und zwar in eines, das viele Ehepaare mit immer demselben Ergebnis führen. Das Kind will ein Tier. Das Kind wird es bekommen. Aber, wendet der Vater ein (die Rollen sind hier völlig austauschbar), das Haustier macht Arbeit, riecht vielleicht streng, spuckt auf den Teppichboden, bringt Zecken und zerkaute Mäuse ins Haus und fällt fremde Leute an. Und dann die Kosten, die Krankheiten, das Urlaubsproblem.

Über 200 Rassen bei Hundeausstellung

In Deutschland gibt es 5,3 Millionen Hunde - viele von ihnen landen im Tierheim, weil sich ihre Besitzer nicht wirklich im Klaren darüber waren, was es bedeutet, ein Haustier zu haben.

(Foto: dpa)

Aber das Kind, erwidert sie (oder er, siehe oben), denk doch an das Kind. Es lernt, Verantwortung zu übernehmen. Es wird zuständig sein für ein lebendes Wesen. Es wird sein Tier sein, nicht unseres. Und damit beginnt der große Selbstbetrug.

Jährlich führt er zum Kauf von Millionen Haustieren. Der Markt boomt seit Jahren, völlig unberührt von Finanzkrisen, Euro-Sorgen, Zukunftsängsten. Für eine Fachhandelskette mit dem hübschen Namen "Fressnapf" scheinen das alles Fremdworte zu sein, ihr Umsatz stieg allein seit 2004 von beachtlichen 140 Millionen Euro auf mehr als 400 Millionen, weltweit sogar auf weit mehr als eine Milliarde. In den Haushalten der Bundesrepublik leben seit vielen Jahren weit mehr Haustiere als Kinder und Jugendliche (23,3 Millionen gegenüber 13,5). Es gibt allein 8,2 Millionen Katzen und 5,3 Millionen Hunde. Und in den meisten Fällen sind es die Kinder, die den Kauf durchsetzen, den elterlichen Widerstand durch Dauerbeschuss brechen: Ich hätt' so gern einen kleinen Hund. Ich mache auch alles selber. Ihr müsst euch gar nicht kümmern.

Aber spätestens mit vierzehn entdeckt das Kind, dass es im Leben noch viel reizvollere Attraktionen gibt, als morgens im Eisregen den Zottel Gassi zu führen oder den Leopard-Gecko mit lebenden Schaben zu füttern. Der Heranwachsende wird das von Jahr zu Jahr seltener tun, am Ende nur noch gnadenhalber.

Im Fall der rheinischen Familie K. verhielt es sich so, dass eines der Kinder auf einem belgischen Flohmarkt ein entzückendes pelziges Wesen sah, das auf dem vereisten Boden hockte und wimmerte. Schnell war der Welpe gekauft. Der Hund wuchs heran, so wie das Kind. Das Kind ging, der Hund blieb. Seine ganze Liebe galt, außerordentlich einseitig, jenem Familienvater, der einst geschworen hatte, er werde jeden Hund eigenhändig im Wald aussetzen, der ihm ins Haus geschleppt würde. Der Vater nannte ihn "den Blödmann", und sommers lag der Blödmann treu hechelnd vor der Gartenliege des Familienoberhauptes, bereit, dieses gegen jeden Angriff der Tiefkühlfirma "Eismann" zu verteidigen, auf deren Auslieferer er aus unerfindlichen Gründen einen wilden, unbezähmbaren Hass hegte. Kam der Eismann, musste man den Hund eilends wegsperren.

Der Hund hat es weit gebracht vom Hof der mittelalterlichen Burg - in dem er hauste, um unbefugt Eintretende zu zerfleischen - bis zum Hundeschlosshotel von Prinz Nikolaus und Prinzessin Jeanette von Ratibor. Dort gibt es Caniden-Wellness im Pool, und der blaublütige Direktor erklärt, 70 Prozent "der Klientel sind Stammgäste, die geben mir schon am Eingangstor persönlich die Pfote" (aus dem Buch: Wohnen mit Hund. Besondere Menschen und ihre besten Freunde. Callwey Verlag 2011).

Bauern, Hirten, Polizisten, Landbewohner können Hunde gut gebrauchen, der gemeine Städter aber neigt in seiner Vereinzelung dazu, das Tier als Menschenersatz zu begreifen oder gleich wie einen Menschen zu behandeln. Dann steht der Halter am Isarufer und sagt zu seinem triefnassen, verfilzten Bobtail: Ich habe dir schon tausendmal gesagt, du sollst nicht einfach ins Wasser springen. Sie streiten mit anderen Hundebesitzern, welches Tier denn die Rauferei angefangen habe (meines war es nicht!), kaufen dem eigenen beim ersten Schneefall den Hundewintermantel "Ischgl" oder schicken ihn zur ganzheitlichen Ertüchtigung ins Yoga für Hunde. Dabei hat Heinrich Heine dazu eigentlich alles gesagt, in der Ode an den Mops: "Du willst auch nur ein Hund sein / und willst nicht scheinen mehr. / All meine übrigen Freunde / verstellen sich zu sehr."

Nicht minder problematisch ist die Katze. Bei den K.s tauchte sie, dem Himmel sei Dank, nur einmal auf, im Süditalienischen in Gestalt einer trächtigen Straßenkatze. Sie wurde dann, als ihre sehr niedlichen Jungen geboren waren, von K.s Kindern und zur Überraschung des Tiers hingebungsvoll mit Milch, Salami und Gummibärchen gepäppelt. Die enttäuschten Augen der Sprösslinge, als die vielköpfige Katzenschar leider, leider nicht mit nach München kommen durfte, hingen den Eltern noch lange nach.

Zu Katzen ist generell zu sagen, dass sie es auch nicht leicht haben. Zu ihren typischen Besitzern gehört die neurotische Städterin, die das Tier zur "Hauskatze" erklärt, einsperrt, als eine Art Philosoph des Tierreichs verklärt - und danach entmannen lässt. Mit Zuckerstückchen wird es gefüttert, bis der Tierarzt akute Verfettung feststellt. Frauen reizt, wie herzlose Männer nur zu gut wissen, das Unnahbare; deshalb lieben sie die Katze, sie wollen das Herz des Tiers gewinnen. Die Katze aber liebt das Streunen. Sie will nicht, was wir von ihr wollen.

Andere Menschen verfallen daher auf den Gedanken, sich einen Vogel anzuschaffen. In der Zeitung gab es kürzlich einen Nachruf auf den guten alten Kanarienvogel, der als Symbol des aussterbenden Nachkriegsbürgertums zu betrachten sei: manierlich anzusehen, wohlversorgt und doch auf Lebenszeit in seinem Käfig piepsend. In Wahrheit waren Ziervögel 2010 die stärkste Wachstumsbranche auf dem Heimtiermarkt, mit 5,3 Millionen Tieren.

Du hast jetzt einen Vogel, sagte der Vater K. uncharmanterweise zur Gattin, nachdem diese zur eigenen und der Kinder Erbauung einen quietschegelben Wellensittich angeschafft hatte. Der Sittich trillerte und trällerte, auch pfiff er nach einiger Zeit die Erkennungsmelodie der Sportschau. Das Problem war, dass er immerfort trillerte und trällerte und pfiff und das Haus mit einem Lärmteppich überzog, der sehr erstaunlich war für ein so kleines Tier. Sittiche sind nämlich Gruppentiere. Sie tauschen sich von früh bis spät mit anderen Sittichen aus, ihr Sozialverhalten gleicht dem einer großen Gruppe Kölner im "Früh am Dom" nach einem der raren Heimsiege des FC.

Daher nimmt der Single-Sittich die Bewohner des Haushalts als Ersatz. Er sitzt dem Vater auf dem Haupthaar, verdreckelt die PC-Tastatur, in K.s Fall wurde er gar zum Trinker: Er nahm an Festen teil und gewöhnte es sich an, die Neige aus abgestellten Weingläsern zu schlabbern. Und er kreischte Zeter und Mordio, wenn man ihn in den Käfig sperrte. Das ist auch eine Quälerei für einen Vogel, der als freier Sittich in riesigen Schwärmen durch Urwälder zieht. Lässt man ihn aber fliegen, setzt er sich in den Park ab, um im Winter zu erfrieren.

Die Marotten von Churchills Papagei

Der Sohn des Hauses K. peinigte die Eltern über Jahre mit dem Wunsch nach einem Papagei. Nur muss man wissen, dass Papageien Jahrzehnte alt werden und im Laufe ihres langen Lebens, dem Menschen nicht unähnlich, manche Ticks und Marotten entwickeln. So wohnte im Haus einer alten britischen Dame noch 2004 ein Vogel, von dem man sagt, es handele sich um Sir Winston Churchills persönlichen Papagei, geschlüpft im Jahre 1900. Der große Widersacher Hitlers ist schon 1965 von uns gegangen. Aber sein blauköpfiger Papagei war immer noch da. Jedenfalls, wenn es sich wirklich um den echten handelte, wofür aber einiges spricht, denn das Tier grollte im typischen Churchill-Bass Dinge wie "Fuck the Naaaaazis" oder "Bloody Adolf".

Rosakakaduküken

"Fritz! Hör auf" - süß, oder? Tja, das haben wir auch mal gedacht. Leider bleiben Papageien nicht immer so putzig. Schlimstenfalls übernehmen sie unsere Ticks und schlechten Manieren.

(Foto: dpa)

Sohn K. kannte einmal eine junge, blonde Dame, welche die elterliche Wohnung mit einem Graupapagei namens Fritz teilte. An Fritz erinnert er sich insgesamt besser. Fritz ahmte die Laster nach, die draußen am Rheinufer entlangrumpelten, und rief grell: "Watt iss? Watt iss?" Ließ man ihn aus dem Käfig heraus, biss er die Gäste. Er knabberte Tische, Türen, Kanten an, bis das Haus aussah, als sei es von einer Rattenplage befallen. Ertappten ihn die Besitzer, riefen sie: "Fritz, hör auf!" Das hatte Fritz bald durchschaut. Kam man um die Ecke, tat er arglos und rief von selbst: "Fritz! Hör auf!"

Eltern, die weise genug sind, um Hund, Katze und Vogel aus dem Haus zu halten, stimmen dann oft der Anschaffung eines Kleintieres zu, etwa eines Nagers. Ein Fehler.

Meerschweinchen sind beliebte, aber leider in unerhörter Weise zur steten Paarung drängende Tiere mit Begrenztheiten im mentalen Bereich. Auch hinterlassen sie Dreck, als seien sie zehnmal größer. Sohn K. stahl beim Klassenausflug mit seinem Freund Schmitz einmal eines aus dem Käfig einer verwahrlosten Reptilienshow. Dort warteten Meersäue darauf, lebend an den Mississippi-Alligator verfüttert zu werden. Der Kalfaktor des Zoos warf zwei oder drei ins Brackwasser, durch das die Echse auf ihr hilflos ruderndes Opfer zupaddelte. Während die anderen Kinder schreckensbleich starrten, handelten Sohn K. und der Schmitz entschlossen. Sie öffneten den Nagerkäfig, nahmen das niedlichste Tier mit und versteckten es in der Jacke. Dass es dann Flöhe ins Haus brachte und das bereits vorhandene Meerschwein der Schmitzens sogleich schwängerte, ist eine andere Geschichte; keine freilich, die den Kauf eines Meerschweinchens nahelegt.

Stark im Kommen sind exotischere Tiere, Kornnattern, Warane, mexikanische Schwanzlurche namens Axolotl, deren Absatz 2010 zur Verwunderung der Händler zunahm, bis sie entdeckten, dass ein Buch namens "Axolotl Roadkill" erschienen war; von Helene Hegemann, deren umstrittenes Wirken auf diese Weise ganz unerwartete Folgen zeitigte.

Der Wunsch des Kindes, eine persönliche Beziehung zum Tier aufzubauen, bleibt dem Exoten in der Regel freilich ganz unverständlich. Bei der Schildkröte ist es, als betrachte sie durch ihre ratlos blickenden Augen jenes seltsame Umfeld aus Stuhlbeinen, Kuscheltieren und Küchenfliesen, in dem sie ihr Leben verbringen muss; gut für sie, dass sie nicht so viel darüber nachdenken kann.

Familie K. wiederum hatte - noch im Bestreben, den Hundewunsch abzufangen - seltene Kamm-Molche erworben und ein schönes Terrarium bereitgestellt. Aber die Molche entwickelten eine erstaunliche Fertigkeit im Ausbrechen, kleine, bläulich schimmernde Houdinis der Amphibienwelt. Eines Morgens war der erste fort, sehr viel später fand man seine skelettierte Leiche unter der Garderobe. Ein zweiter entkam in den Garten, dort verlor sich seine Spur. Auf den dritten trat die Großmutter, als er es schon bis zur Küche geschafft hatte. Die anderen wurden von Familie K. in einem Teich ausgesetzt.

Tier und Mensch sind nicht für einander geschaffen. Jedenfalls nicht für die häusliche Kuschelgemeinschaft. Tiere brauchen Freiheit, aber kein Dasein in engen Wohnungen und Wellnessanlagen. Der amerikanische Dichter Walt Whitman schrieb im 19. Jahrhundert, "ich könnte mich den Tieren zugesellen", und er blickte dem Gänserich nach: "Ja-honk ruft er, und es klingt wie eine Einladung / Die Vorwitzigen mögen es für bedeutungslos halten, ich aber finde aufhorchend / daß es einen Zweck und Platz hat dort oben im winterlichen Himmel."

So ist das wohl. Nicht einmal das hohlköpfigste aller Haustiere eignet sich für die Gefangenschaft. Das ist der Triops, die älteste überlebende Tierart der Welt. Viele Jahre überdauern seine Eier im Sand. Die Firma "Kosmos" preist die Zucht der Urzeitkrebse als harmloses Vergnügen an. Tiere wachsen da heran, die es schon zur Epoche des Raubsauriers Tyrannosaurus rex gab. Man muss den für teuer Geld gekauften Sand nur in ein Bassin füllen und mit Wasser begießen, bald schon schlüpfen sie. Leider sind die Triopse entschlossene Killer; gegen sie ist der Tyranno, der größte Fleischfresser der Geschichte, ein im Grunde verträglicher Geselle. Die kleinen Krebse scharrten erst niedlich im Sand des Aquariums und verzücken die kindlichen Betrachter. Aber plötzlich fehlte einer und noch einer, nur ein paar Schalenreste kündeten von ihrem grausigen Geschick: Kannibalen! Lange wollten die Kindertränen nicht trocknen. Danach entsorgte Vater K. den letzten Triops in der Kanalisation. Keine Sorge, Tierfreunde, das nennt man survival of the fittest: Er wird dort unten gut zurecht kommen.

K.s Kollege H. hat übrigens einen Nachbarn, bei dem es sich um einen lebensklugen Mann handeln muss. Lebensklug durch Erfahrung, denn offenbar hat er all die Fehler der Heimtierhaltung begangen, die man als Familienvater ohne eisernen Willen, beim "Nein!" zu bleiben, so begeht. Wie auch immer, der Nachbar hat gesagt: Ruhe wird erst einkehren, wenn die Kinder aus dem Haus sind und der Hund gestorben ist.

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