Laufsteg-Trends für den Herbst:Warme Garne

Models Cara Delevingne and Joan Smalls present creations by British designer Stella McCartney as part of her Fall/Winter 2014-2015 women's ready-to-wear collection show during Paris Fashion Week

Gestricktes, soweit das Auge reicht: Auch die britische Modeschöpferin Stella McCartney schließt sich in ihrer aktuellen Herbstkollektion diesem Trend an.

(Foto: REUTERS)

Maschen, Zopfmuster und Kapuzenpullis: Die Modehäuser setzen in diesem Herbst verstärkt auf Gestricktes. Warum die lange als primitive Arbeitskluft verschriene Wollmode im Trend liegt - und was das Phänomen über unsere Zeit sagt.

Von Anne Goebel

Die Saison der kleinen Fluchten begann vor sieben Monaten. In Paris zeigten die Designer gerade ihre Kollektionen für diesen Herbst, und an einem trüben Märzvormittag schickte Stella McCartney die Models verhüllt auf den Laufsteg. Weite Strickkleider, grobmaschige Kapuzen: Die eingemummten Mädchen sahen aus, als kämen sie aus einem kalten fernen Land und müssten sich noch während der Show in die roten Hände pusten. Das gleiche Bild bei Céline und Tom Ford mit überlangen Wollhosen, Martin Margiela ergänzte Norwegerrauten. In Mailand hatte Antonio Marras Ganzkörperpullover präsentiert, verziert mit heulenden Wölfen.

So viel Strick bei den Großmeistern, raunte man in der Modeszene, oh là là, wann gab's das zuletzt? Jetzt, da die Ware in den Läden liegt, all die Zopfmuster und Kaschmirstücke in den sonst so unterkühlten Hochglanzmagazinen eine irritierende Heimeligkeit verbreiten, sieht es nach einer klaren Botschaft für frostige Tage aus: Alles ist besser als die Wirklichkeit. Lieber Tee kochen, sich in warme Garne wickeln und die Welt vergessen.

Gestricktes galt in der Modewelt lange als primitiv

Gestricktes hat in der Mode immer eine besondere Rolle gespielt, lange Zeit bedeutete das: gar keine. Stoff aus Maschen besitzt andere Eigenschaften als gewebte Textilien, die ihn für subtile Entwürfe kaum geeignet machen. Die Vielseitigkeit der Baumwolle, das pompöse Volumen von Seide, die Raffinesse von Spitze - ein guter Couturier weiß die Vorzüge seines Materials optimal zu nutzen. Kleidungsstücke aus Shetland Wool hingegen, aus Merino oder Hasenfell galten als primitive Arbeitskluft.

Noch heute assoziiert man Wolle mit Wärme, Weichheit, rustikalem Handarbeitsflair, sie steht eher für Emotionen als für Eleganz. Und selbst wenn der Hype um Kaschmir den edlen Fasern in den vergangenen Jahren einen Boom weit über das kreuzbrave Pulli-Jäckchen-Duo namens Twinset hinaus beschert hat: Die vielen Maschen auf den Laufstegen von Paris, London und Mailand waren neu, die dicken Wollzöpfe, die robusten Geflechte selbst bei Chanel.

Strick-Trend ist auch in Hollywood angekommen

Das Echo der Branche fiel dann auch fast erstaunt aus, als es darum ging, die wichtigsten Trends für Herbst und Winter auszurufen. "Strick stiehlt allen die Schau", verkündete mit perplexem Unterton der französische Sender Parismodes TV. Wie zahllose andere auch zog hierzulande kürzlich die Gala nach, mit einer Fotoserie unter der etwas angestrengten Rubrik "Hollywoods Woll-Lust" - Rihanna mit Häkelbeutel ist nun mal schwierig zu beschreiben.

Die Überraschung flaute aber rasch ab, was vielleicht daran liegt, dass die meisten Frauen heimlich Gestricktes lieben. Und wenn nun sogar Phoebe Philo, Meisterin des weltumspannend verehrten Labels Céline ihren Segen gibt zum gemütlichen Cardigan - umso besser.

Zuflucht in Grobstrick

In den Modestrecken der Zeitschriften jedenfalls werden die gerippten und zotteligen Stücke aus den Couture-Häusern gerade mit einer Hingabe in Szene gesetzt, dass die Schlussfolgerung naheliegt: Die Designer müssen einen Nerv getroffen haben, der über das Faible für Komfortables hinausgeht. Vielleicht sind die Zeiten wirklich zu bedrückend, die Krisen und Kriege zu viele - Eskapismus, der Wunsch nach Rückzug in private oder imaginäre Räume ist die naheliegende Reaktion. Und sie lässt sich auch über Mode ausdrücken.

Trend geht zu "Game of Thrones" - Folklorismus

Im Herbst 2014 sehen einige Trends ganz danach aus: Der "Game of Thrones"-Folklorismus zum Beispiel mit Umhängen à la Jeanne d'Arc (Dolce & Gabbana), all die Burgfräulein-Looks mit Pelzbesatz, altmeisterlichen Gemäldeprints und Stickereien (Valentino oder Jean-Pierre Braganza) - solche phantastischen Anleihen sind an finsteren Tagen genauso tröstlich wie die Zuflucht in einem Grobstrickpullover.

Die britische Vogue hat in ihrer Oktoberausgabe alle Register des Cocooning gezogen, des Einhüllens in schichtenweise Kuscheltextil. Ein rothaariges Model mit Porzellanteint und viel zu langen Armen zeigt in einer kargen Graslandschaft Wärmendes von Marni, Chloé und Ghesquière - so schön kann Weltüberdruss sein.

Für die Kundin mit durchschnittlichem Budget ist es erfreulich, dass die High Fashion sich der guten alten Strickware angenommen hat. Das verleiht den eigenen, mittelmäßig aufregenden Sweatern von Benetton & Co. einen gewissen Glanz, wobei gerade diese Anbieter von dem Trend profitieren werden.

Preiswerte Wollmode für die junge Klientel

Umgekehrt haben für die exklusiven Marken sicher finanzielle Überlegungen eine Rolle gespielt beim Zusammenstellen der aktuellen Winterkollektionen: Über die vergleichsweise preiswerten Pullis und Wolljacken wird indirekt eine günstigere Zweitlinie ins sündteure Gesamtœuvre eingeschmuggelt. Das soll eine jüngere Klientel erschließen, denn so krisenfest sich die Luxusbranche lange gezeigt hat, vor Einbußen sind auch die hohen Häuser in Paris und Mailand nicht gefeit.

Beim Onlinehändler Mytheresa ist das Konzept schon aufgegangen. Wollpants und Stricktasche von Stella McCartney: sold out. Der Einkäufer des Münchner Unternehmens glaubt, dass dafür auch ein gewandeltes Frauenbild verantwortlich ist. "Frauen ziehen sich nicht mehr nur für Männer an. Sie wollen sich selbst wohlfühlen und genießen die Freiheit des ,dress down'", sagt Justin O'Shea über den Siegeszug des "Couture Knit", des Edel-Stricks.

Tatsächlich waren es oft starke Persönlichkeiten in der Mode, die mit Wollgarnexperimenten neue Entwicklungen angeschoben haben - sogar Karl Lagerfeld konnte in sehr jungen Jahren seine Karriere durch ein Preisgeld des Woolmark-Siegels voranbringen. Die aktuelle Ausstellung im Londoner Modemuseum lässt die wichtigsten Protagonisten Revue passieren: "Knitwear. From Chanel to Westwood" zeigt das modische Innovationspotenzial von Strick.

Echt, rau, handgemacht

Coco Chanel war vor hundert Jahren die Erste, die mit der Verwendung von Feinstrick-Jersey für ihre legendären Nachmittagskleider eine vollkommen neue Kombination von Eleganz und Freiheit schuf - ganz ohne Korsett. Ihre exzentrische Rivalin Elsa Schiaparelli setzte auf optische Effekte, in den Siebzigern wurde Sonia Rykiel - Markenzeichen: flammend rote Kugelfrisur - zur "Queen of Knits". Kein Wunder, dass Garn und Masche bis heute die experimentierfreudigsten unter den Designern anregen, zu leider nahezu unverkäuflichen Kunstwerken. Das Berliner Duo Augustin Teboul zum Beispiel oder die Niederländerin Nanna van Blaaderen.

Auf der New Yorker Fashion Week im Februar hatte einer seinen großen Auftritt, der auch noch nicht zu den Arrivierten der Branche gehört. Joseph Altuzarra zeigte Kleider in Naturfarben, scheinbar unfertig, wie ein Teppich zusammengefügt aus haarigen Wollflechten. Und die versammelte Modeprominenz stöhnte auf. Genau das war die Trophäe der Stunde, echt, rau, handgemacht - wie ein Fundstück aus versunkenen Zeiten. Das Luxuskaufhaus Neiman Marcus bestellte umgehend. So sieht Avantgarde im 21. Jahrhundert aus: Nach uralten mythischen Kulturen wie die der Berber oder Inkas, und das in der atemlosen Stadt New York.

Allerdings bekam Joseph Altuzarra dann ein sehr gegenwärtiges Problem: Er konnte der Nachfrage nicht Herr werden und ließ Digitalprints seiner Grobstrickmuster anfertigen. Ein kleiner Fake. Auch diese Modelle verkaufen sich reißend.

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