Lange Unterhosen:Das Pfuideifigwand

Mythos lange Unterhose: Wer ein echter Mann ist, verzichtet darauf - außer er strebt nach literarischem Ruhm.

Hans Kratzer

30.000 bayerische Bauernburschen sind im Mörderwinter des Jahres 1812 zusammen mit der napoleonischen Armee in Russland an Kälte und Erschöpfung zugrunde gegangen. Was hätten diese frierenden armen Teufel nicht alles gegeben, wenn ihnen eine hilfreiche Hand eine warme lange Feinrippunterhose gereicht hätte.

Das Pfuideifigwand, Lange Unterhosen; ddp

Lang, weiß und Feinripp: Solche Unterhosen gelten als Inbegriff des Abtörners. Aber sie halten halt warm.

(Foto: Foto: ddp)

Doch leider war diese vor 200 Jahren noch nicht erfunden, und überhaupt schlüpfte in jener Zeit höchstens die feine Gesellschaft in eine Unterwäsche. Spätestens seit den bitteren Erfahrungen des Russland-Feldzugs von 1812 besteht kein Zweifel mehr, dass die lange Unterhose zu den erfreulichsten Erfindungen der Textilindustrie zählt. Und doch zeigen die jetzigen kalten Januartage wieder einmal, dass es um ihr Renommee nicht gut bestellt ist.

Legionen von Männern marschieren frühmorgens frierend und zitternd in ihre Büros, weigern sich aber standhaft, in eine lange Unterhose zu schlüpfen. Aus der Textilbranche ist zu vernehmen, dass in der Generation der 16- bis 29-Jährigen nur jeder fünfte Mann hin und wieder eine lange Unterhose trägt. Erst bei den über 50-Jährigen wächst das Bedürfnis, sich dieses praktische Beinkleid überzustreifen, bei den ergrauten Männern trägt jeder Zweite eine lange Unterhose.

Das verdienstvolle Kleidungsstück trägt einen Makel in sich, dessen Wurzel nicht auf Anhieb zu erkennen ist. Dabei hat der Fotograf Guido Mangold vor 40Jahren sogar das langmähnige Mick-Jagger-Gschpusi Uschi Obermaier in eine Feinrippunterwäsche gesteckt und fotografiert.

Feuchtwanger und Filser

Das Bild trägt bis heute kulthaften Charakter, an der Feinrippunterhose aber blieb lediglich der Mief der grauen Vorzeit haften. Lang, weiß und Feinripp, so schaut nach allgemeiner Meinung der Inbegriff des Abtörners aus. "Hast du die bei der Caritas bekommen?", müssen sich jene Männer verspotten lassen, die lange Unterhosen tragen.

Und wenn es ganz arg kommt, dann lästern Machos über vermeintliche Weicheier so ähnlich, wie es der Schriftsteller Jaromir Konecny einmal in einer Erzählung geschildert hat: "Wenn dich eine Frau in dieser Unterhose erblickt, bekommt sie doch sofort Angst, dass du ihr im Bett abkratzt."

Zum mäßigen Ansehen der langen Unterhose haben auch die Fernsehbilder aus den sechziger und siebziger Jahren beigetragen, als bayerische Provinzpolitiker mit ihren Hornbrillen im Studio hockten, ihre Beine, die in zu kurzen Anzughosen steckten, von sich streckten und ihre von einer langen weißen Unterhose bedeckten Spatzenwadln hervorspitzen ließen. Schon damals galten solche Bilder als Fleisch gewordene Biederkeit. Was Wunder also, dass lange Unterhosen für junge Männer zum Horrorbild wurden.

Welche Qualen hatten Horden von Schulbuben erlitten, wenn sie bei der Sammeluntersuchung oder in der Umkleidekabine der Turnhalle die Hosen ausziehen mussten und eine lange Unterhose zum Vorschein kam. In diesem Moment waren sie als Weichlinge abgestempelt, die mitleidig belächelt wurden.

Wie gerne hätten diese Opfer mütterlicher Fürsorge mannhaft die Kälte ertragen, aber die besorgten Mamas kannten keinen Pardon und zwangen ihre Sprößlinge unter allerlei Drohungen in die lange Unterhose. Bei vielen Buben führte nicht die Reckstange zur Traumatisierung, sondern das Unterhosendrama beim Umkleiden. So wurden Heerscharen von Zöglingen auf dem steinigen Weg zur Mann-werdung meilenweit zurückgeworfen.

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Das Pfuideifigwand

Für Frauen Stehbrunzhosen

Dass die lange Unterhose ihre im Kern vorhandene erotische Ausstrahlung nie richtig ausspielen konnte, hängt vor allem damit zusammen, dass die baumwollenen Ungetüme früherer Zeiten nach mehrmaligem Waschen ihre Elastizität gänzlich verloren und radikal aus der Form gingen.

Danach hingen sie schlaff an den Beinen, als wäre ihnen die Luft ausgegangen, und zu allem Unglück stand vorne auch noch der Eingriff weg, der ja eigentlich eine revolutionäre Erfindung darstellte - aber eben nur im jungfräulichen, elastischen Zustand. Lion Feuchtwanger hat diesem Unterhosen-elend in seinem Münchner Romanepos "Erfolg" ein literarisches Denkmal gesetzt, indem er den Komiker Balthasar Hierl (in Wirklichkeit meinte er Karl Valentin) beschrieb, nachdem dieser die Hosen heruntergelassen hatte: "Knurrig, mit gelangweiltem, hohlwangigem Kopf, ausgemergelt, in schlottrigen alten Unterhosen stand er da, kläglich ..."

Die Anrüchigkeit dieses Pfuideifigwands verdichtete dann später der Kabarettist Gerhard Polt, indem er von seinem zukünftigen Rentnerdasein in Spanien erzählte, "wo er kein Nasivin und keine Angoraunterhose" mehr brauche. In Bayern herrschte außerdem lange Zeit Konsens darüber, dass es ohne Unterhose keine Sittsamkeit geben könne. Einer, der vehement auf diese Problematik aufmerksam machte, war Ludwig Thoma, nur gab er ihr eine neue, unerwartete Richtung.

So ließ er den fiktiven Abgeordneten Josef Filser über einen ansonsten weniger beachteten Zweck der Unterhose räsonnieren und ihn behaupten, der biedere Ökonom schäme sich bereits im Hemd, weswegen er sich in der langen Unterhose ins Bett lege. "Und bald ich meine kristgadollische Ehefrau anschauge, ist es mir viel liber, bald sie mer anhat als wie wehniger, hobwol es beim ferheirateten Zuschtand keine Unkeischheid nicht gibt sontern es ist gesetzlich. Haber man kahn sein Schamgefiehl nicht einmahl bei der Ehe unterdriken."

Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts gab es freilich nur wenige Frauen, die Unterhosen trugen, sagt Ruth Kilian vom Rieser Bauernhofmuseum in Maihingen. Bis dahin schützten sie sich lediglich mit langen Hemden und mehreren Schichten von Unterröcken gegen die Kälte. Dann setzten sich zuerst die im Schritt offenen Unterhosen durch, die im Dialekt "Stehbrunzhosen" hießen.

Die geliebte Armee-Unterhose

Ansonsten war die Unterhose ein männliches Privilegium, gegen Ende des 19.Jahrhunderts wurden die ersten Soldaten mit Unterwäsche ausgestattet. Die wussten das zu schätzen, bei der Bundeswehr genießt die tarngrüne lange Unterhose seit jeher einen guten Ruf, nicht zuletzt weil die Rekruten draußen im herbstnassen Feld in Grafenwöhr froh sind über jedes Kleidungsstück, das dem verweichlichten Körper Schutz gegen Nässe und Kälte bietet. So mancher Soldat liebte die Armee-Unterhosen so sehr, dass er sie auch später im Berufsleben anzog, bis sie vom vielen Waschen zerfaserten.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich die lange Unterhose in ein High-techkleidungsstück verwandelt. Vor allem Sportler, Radfahrer und Holzarbeiter genießen die neue Freiheit. "Die modernen Unterhosen sind atmungsaktiv und federleicht, sie sind angenehm zu tragen, trocknen schnell und verwöhnen die Haut", fasst der Camping-Experte Georg Eberle ihre Vorzüge zusammen.

Davon sind die alten schweren Unterhosen weit entfernt. Selbst in den Textilkaufhäusern auf dem Land werden sie nur noch als Randsortiment geführt. "Die weißen Feinrippunterhosen kaufen nur noch ältere Damen für ihre Männer", sagt die Verkäuferin in einem Modehaus in Vilsbiburg. "Von 70 aufwärts, diese Generation ist das halt so gewöhnt. Für sie muss eine Unterhose einfach weiß sein, und sie muss beim Waschen ausgekocht werden."

Es ist jene Generation, die noch mit den grauen Wollunterhosen der Nachkriegszeit aufgewachsen ist, die schwere Gummizüge hatten, innen aufgeraut waren und die Oberschenkel rot wie Feuer werden ließen. Im Kramerladen lagerten sie im obersten Regal, und einmal im Jahr kamen die Bauern, probierten sie im Laden umständlich und unter großem Gekrächze an.

Das häufige Wechseln der Unterhose war noch kein geläufiger Brauch, was auch damit zusammenhing, dass sie mühsam zu waschen waren und ewig nicht trockneten. Nicht umsonst ermahnten die Dorflehrer ihre Schüler noch in den siebziger Jahren, mindestens einmal in der Woche die Unterhose zu wechseln.

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